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Entdeckerlust

Blaue Frösche bei uns in Mitteleuropa? Gibt es solche Tiere nicht nur in den Tropen? Nein. Der einheimische Moorfrosch trägt tatsächlich ein blaues Hochzeitskleid, und er ziert den Einband dieses Naturführers. Das längst überfällige Sachbuch handelt von den beiden stark gefährdeten Lebensräumen Moor und Heide.

Moore spielen heute eine wichtige Rolle im Natur- und Klimaschutz. Doch ihre aktuelle Bestandssituation ist katastrophal. Durch Überdüngung und Austrocknung werden sie stark in Mitleidenschaft gezogen. Torfabbau trägt direkt zu ihrer großflächigen Zerstörung bei – und das nur, um Gartenerde vermeintlich aufzuwerten. Dabei wäre Kompost die bessere Alternative. Neben ihrem Wert als Lebensraum für seltene Pflanzen und Tiere stellen Moore auch ein unschätzbares Kulturarchiv dar, das vielfach Zeugnisse aus früheren Zeiten birgt, etwa Moorleichen, versenkte Waffen und Schätze. Leider zerstört der heutige mechanisierte Torfabbau viele dieser Überbleibsel.

Im Gegensatz zu den natürlich gewachsenen Moore sind Heiden Produkte menschlicher Landwirtschaft und zeugen von extremer Bodenübernutzung und -auslaugung. Über die Jahrhunderte haben sich dort zahllose Lebensraum-Spezialisten angesiedelt, deren Überleben nun von der Existenz der Heiden abhängt. Diese müssen aber gepflegt werden, sei es durch Beweidung oder durch Abplaggen, das heißt durch Abtragen der obersten Bodenschicht. Ohne solche Maßnahmen würde über kurz oder lang auf diesen Flächen ein Wald entstehen. Das wäre das Aus für die an den Heideboden angepassten Organismen.

Den erfahrenen Sachbuchautoren Bruno P. Kremer und Bärbel Oftring genügen wenige Seiten, um den Lesern den besonderen Wert der beiden Lebensräume nahe zu bringen und auf die drohenden Gefahren aufmerksam zu machen. Nach der Einleitung folgt der Aufbau des Werks dem Jahresverlauf. Den vier Jahreszeiten sind die in den Lebensräumen jeweils besonders auffälligen Pflanzen- und Tierarten zugeordnet.

So werden im Frühlingskapitel die Moorvögel in Form eines kleinen ABCs vorgestellt. Auch dem Moorfrosch in seinem Hochzeitskleid begegnet man hier, ebenso wie Schlangen und Enten. Die unzähligen Insekten werden im Sommerkapitel aufgegriffen. Kurze Texte erläutern die Lebensweise bodenbrütender Vögel. Von auffällig fruchtenden Wollgräsern lenken die Autoren den Blick auf die unscheinbaren botanischen Besonderheiten: insektenfangende und parasitierende Pflanzen. Im Herbstkapitel machen sie auf fruchtende Beerensträucher im Moor aufmerksam, desgleichen auf die Blütenpracht von Heidekraut und Stechginster zu dieser Jahreszeit. Ein taufrischer Herbstmorgen lässt Netze vieler Spinnen sichtbar werden und die häufig aufziehenden Herbstnebel machen neugierig auf das Rätsel der "Moorlichter". Im Winterkapitel geht es um Flechten und Heidegehölze, die auch in dieser Jahreszeit noch gut zu finden sind – und um die Kristallstruktur von Schneeflocken.

Eingestreute Beobachtungstipps regen den Leser zu eigenen Erkundungen an. So zeigt ein Blick durchs Mikroskop die auffallend großen wasserspeichernden Zellen in Torfmoos-Blättchen oder die wunderschön gestalteten Zieralgen, die man aus Moortümpeln fischen kann. Mit der Lupe lässt sich der Blütenaufbau grasartiger Moorpflanzen, aber auch prachtvoller Schwertlilien oder des Blut-Weiderichs betrachten. Ein Fernglas ist hilfreich beim Betrachten von Moorvögeln und Bodenbrütern, aber auch von Libellen.

Brillante Fotos und aufschlussreiche Grafiken wecken die Lust, alles mit eigenen Augen sehen zu wollen. Fragen, mit denen die Unterkapitel jeweils abgeschlossen werden, geben Gelegenheit, das Gelesene Revue passieren zu lassen. Hier bekommt man auch weiterführende Informationen – etwa, ob Flechten Pflanzen sind oder nicht, warum der Schnee manchmal bei jedem Schritt knirscht und aus wie vielen Einzelaugen sich ein Libellenauge zusammensetzt.

Dieses didaktisch klug gestaltete Buch ist ein Erlebnis für alle Sinne. Es macht Erkunden zur Freude, und das schon im Sessel. Die vielen Querverweise ermöglichen es, an jeder beliebigen Stelle des Werks einzusteigen. Zudem enthält der Text zahlreiche Hinweise auf Videos und Audioaufnahmen, die sich von der Website des Verlags abrufen lassen. Die Unterteilung in kurze, meist nur eine halbe Seite lange Unterkapitel macht das Lesen kurzweilig, was sicher auch so manchen Lesemuffel motivieren kann, nach dem Buch zu greifen. Dennoch ist das Werk nicht oberflächlich, sondern sehr anspruchsvoll und steigt teilweise tief in Biologie, Chemie und Physik ein. Ein Buch, das sowohl Hobby- als auch Profibiologen zu empfehlen ist.

Runter vom Sessel, hinein in die Natur! Diesem Zuruf aus dem Klappentext folgt man gern – mit diesem wunderschönen und hilfreichen Naturführer in der Hand.

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