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Gene oder Umwelt: Was macht intelligent?

Vor Kurzem kam meine 14-jährige Tochter aus der Schule und erzählte mir, dass die Lehrerin heute im Biologieunterricht etwas merkwürdiges gesagt hätte, weil ihr noch nicht ganz klar war, was das jetzt mit Biologie zu tun hätte. Sie las dann einen Satz vor, den die Lehrerin im Unterricht gesagt hatte: "Man gebe mir ein Dutzend gesunder, wohlgestalter Kleinkinder und meine eigene spezielle Welt, in der ich sie aufwachsen lasse, und ich garantiere, dass ich aufs Geratewohl jedes beliebige von ihnen zu jeder Art von Spezialist erziehen kann – Arzt, Anwalt, Künstler, Kaufmann und Dieb und, ja auch Bettler und Dieb, ungeachtet seiner Talente, Neigungen, Vorlieben, Fähigkeiten, Berufsinteressen und der Rasse seiner Vorfahren." Das Zitat stammt vom Verhaltensforscher John B. Watson (übrigens im vorliegenden Buch fälschlicherweise als Zitat von James B. Watson angegeben).

Sofort schoss mir Thilo Sarrazin durch den Kopf, der vor etwa zwei Jahren mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" eine Debatte um den Zusammenhang zwischen Intelligenz und Herkunft entfacht hatte. Jetzt liegt ein anderes Buch auf meinem Tisch: "Ist Intelligenz erblich?" von Dieter E. Zimmer. Der Journalist und Schriftsteller versucht darin ein wenig Licht in das Dunkel zu bringen, schließlich kann man das Buch als Antwort auf die Debatten um Sarrazins Thesen sehen. Daher meine Frage: Kann man tatsächlich diese Thematik derart erhellen? Wissen wir heute Genaueres über die Intelligenz, wie und ob sie überhaupt vererbt wird? Genau dieser Frage geht Zimmer nach und kommt in seinem Buch zu dem Entschluss: "Ja, Intelligenz ist in hohem Maße erblich!" Als Biologin habe ich mir dann mal seine Anmerkungen etwas genauer angesehen.

Gibt es ein Gen für Intelligenz? Ist Intelligenz lernbar? Fragen, die sich sicherlich jeder stellt, vor allem Eltern. Ist aus ihren Kindern etwas geworden? Haben sie die richtigen Gene weitergegeben? Oder ist das Kind etwa an die Falschen geraten? Hier stellt sich wieder die Frage: Nature versus Nurture? Oder Erbe gegen Umwelt, Gene gegen Erziehung, Natur gegen Kultur, so Zimmer.

Seit Mendel wissen wir, dass Augenfarbe oder Größe erblich bedingt sind. Man kann es nachlesen, auszählen und diverse Statistiken darüber erstellen. Aber was ist mit der Intelligenz? Manchmal hört man ja Menschen sagen, jenes Kind ist so klug, weil es die Anlagen von den Eltern geerbt hat. Oder man hört sie sagen, was soll bei dem Elternhaus schon herauskommen? Aber ist es dann nicht doch merkwürdig, dass auch Kinder, deren Eltern intelligent und gut situiert sind, bisweilen völlig aus dem Rahmen fallen? Was liegt also näher, so Zimmer, als sich die Studien um die Zwillingsforschung etwas näher anzuschauen, und er gibt einen Einblick in die Forschung der letzten 20 Jahre.

Zimmer beschreibt die Entwicklung von Intelligenztests und deren Grenzen, ebenso wirft er einen Blick auf die viel besagten Pisa-Studien und deren Ergebnisse. Aus den Zwillingsstudien, die Zimmer sehr ausgiebig darstellt, kann man letztendlich ebensowenig sagen, dass nur die Gene oder nur die Umwelt für die Intelligenz verantwortlich gemacht werden können. Mir fehlen an dieser Stelle die genetischen Grundlagen, die eventuelle Intelligenzunterschiede darlegen würden.

Was Intelligenz ist, darauf findet auch Zimmer lange keine eindeutige Antwort. Die Zwillingsstudien haben ergeben, dass sie zu 75 Prozent erblich sei. Aber das bedeutet nicht, so Zimmer, dass sie tatsächlich erblich ist, sondern die in einer Gruppe gemessenen Intelligenzunterschiede auf unterschiedliche Gene zurückzuführen sind. Zimmer stellt aber auch klar, dass letztlich nicht die Gene allein die Intelligenz bestimmen, sondern die Umwelt, in der wir uns bewegen und Lernangebote wahrnehmen und aufnehmen, einen großen Einfluss auf unsere Intelligenz haben.

Einen wirklichen Zusammenhang zwischen IQ und Schul- oder Berufserfolg kann Zimmer ebenfalls nicht eindeutig aufzeigen. Vielmehr spielen hier Motivation, Ehrgeiz, Ausdauer und Beziehungen eine ebenso große Rolle. Aber der Autor sagt auch, dass eine Verbesserung der Lebensbedingungen von stark benachteiligten Kindern dazu führt, dass die messbare Intelligenz erhöht wird, ebenso wie eine Verschlechterung zu einer Verminderung führen kann.

Hervorzuheben ist die klare Sprache, der sich Zimmer bedient. Er nimmt die Sache ernst, erwähnt viele Details und und liefert zudem einen sehr gut ausgearbeiteten Anhang mit vielen Literaturangaben zum Nachlesen. Nach 249 Seiten macht Zimmer in seinem Fazit klar, dass er an der These festhält, dass Intelligenz erblich ist, wobei er sich auf die vielen verschiedenen Studien beruft: "Die Streitfrage 'Ob oder ob nicht' ist erledigt; es geht nur noch um die Feinheiten und die Implikationen der Befunde."

Wir sind also nicht gleich – auch nicht was unseren IQ betrifft, und daran werden wir nichts ändern können. Sollten wir uns damit abfinden, dass es Menschen mit einem hohen IQ gibt und welche mit einem eher geringeren? Dies ist aber nicht von Religion oder ethnischer Zugehörigkeit abhängig. Er wird durch die Gene und die Umwelt geprägt. Dennoch muss an dieser Stelle gesagt werden: Die Forschung muss erst noch jene Gene finden, die für die Intelligenz tatsächlich zuständig sind. Bis dahin sollte sich jeder mit dem glücklich schätzen, was er hat. Wir Eltern, an den Universitäten und Schulen geben uns Mühe, das Beste aus allen rauszuholen.

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