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Die Mystik des animalischen Sex

Zwei hervorragende Bücher waren in den letzten Tagen meine Lektüre: Sie waren leicht zu lesen, lustig und kurzweilig. Das hat man nicht oft, noch dazu bei wissenschaftlichem Inhalt. Da muss das Thema schon interessant, ansprechend und so populärwissenschaftlich geschrieben sein, dass Otto-Normalverbraucher auch Spaß daran hat. Gelungen ist dies "Kamasutra Kopfüber – Die 77 originellsten Formen der Fortpflanzung" von Tobias Niemann und "Die Evolution im Liebesrausch" von Markus Bennemann: Zwei Tage lang im strahlenden Sonnenschein im Garten auf einer Liege zu verbringen und den Rest um mich herum zu vergessen, das muss erst einmal ein Buch schaffen!

"Kamasutra Kopfüber" ist ein Handbuch über animalischen Sex: Neben dem Hinweis "Nicht für Jugendliche unter 16 Jahren geeignet", stolpert der Leser auch über den Satz, dass die "spektakulärsten Stellungen nur bedingt zur Nachahmung empfohlen werden". "Die Evolution im Liebesrausch" schildert das bizarre Paarungsverhalten der Tiere aus evolutionsbiologischer Sicht: Typische Verhaltensweisen waren und sind Prostitution, Heiratsschwindel und Geschlechtsumwandlungen – diese Verhaltensweisen gab es also schon, bevor der Mensch das Licht der Welt erblickte.

Beide Autoren behandeln sehr ausgiebig das Thema Sexualverhalten im Tierreich, sie sind aber sehr unterschiedlich: Schon das Titelbild von "Kamasutra Kopfüber" zeigt vier aufeinander hockende Kröten, die vermuten lassen, was sie gerade so treiben. Das Cover von "Evolution im Liebesrausch" zeigt zwei Böcke, die sich hinterrücks auf dem Rücken einer Hirschkuh amüsieren – auch hier ahnt der Leser sofort, worum es geht. Während Bennemann in seinem Buch nur in der Mitte echte Fotografien der Tiere zeigt, die auch in seinem Buch vorkommen, erhält Niemann Unterstützung durch den österreichischen Grafiker und Illustrator Günter Matei, dessen fabelhafte und witzige Interpretationen der Tiere in ihrem Sexualverhalten das Buch zieren.

Niemann schafft es, 77 verschiedene Tiere auf 173 Seiten in ihrem typischen Sexualverhalten darzustellen; er widmet jedem Tier damit nur rund eineinhalb Seiten. Neben dem lateinischen Namen des Tieres und dessen gängige Übersetzung erfährt der Leser die besonderen Gepflogenheiten jeder Art. Dabei achtet er auf reine Fakten und redet nicht lange um den Brei herum. Ihm geht es vor allem darum, möglichst viele Tiere und ihr Verhalten dem Leser vorzustellen. Der Leser lernt die Weinbergschnecke, den Diademseeigel, das Bankivahuhn, den Regenwurm, die Bettwanze und das Papierboot – einen Kraken – kennen: Spezies, von denen man vielleicht nicht unbedingt erwartet hätte, dass ihr Sexualleben so interessant sein könnte.

Schon durch die Wahl der Überschrift gelingt es Niemann, Interesse zu wecken. So heißt es nicht etwa ganz langweilig "Das Sexualverhalten der Weinbergschnecke", sondern "Wenn Amors Pfeil wirklich trifft", womit der Liebespfeilsack der zwittrigen Tiere gemeint ist: Er spielt eine große Rolle, wenn die Schnecke zur Fortpflanzung schreitet. Das Kapitel zum Bankivahuhn wird mit "Spar-Sex" betitelt: Bei diesem im asiatischen Raum beheimateten Huhn – dem Vorfahren unseres Haushuhns –, geht es um Vielweiberei, Vielmännerei und wie der Hahn sein begehrtes Sperma aufteilt. Etwas anders geht es wiederum beim Regenwurm zu: Er unterhält uns mit "Body Piercings", die ja mittlerweile auch bei uns Menschen hoch aktuell sind. Die witzigen Beschreibungen werden durch kleine Anekdoten begleitet.

Etwas anders ist das Buch von Bennemann. Bereits das Inhaltsverzeichnis zeigt, dass er eine andere Struktur in seinem Buch verwendet. Bei ihm werden die unterschiedlichen Tierarten in Gruppen eingeordnet, die ihr explizite Sexualverhalten aufzeigen. Insgesamt gibt es 18 Kapitel, denen jeweils drei Spezies mit ihren Liebesliedern, Liebesdüften, ewige Jungfrauen, Angebern, Akrobaten, Transvestiten, Trittbrettfahrern und Heiratsschwindlern zugeordnet werden.

Der Schwerpunkt ist damit ein anderer als bei Niemann: Ihm kommt es nicht nur darauf an, das Sexualverhalten der Tiere vorzustellen, sondern vielmehr den evolutionsbiologischen Aspekt herauszustellen. Es werden aktuelle Forschungsergebnisse und verhaltenspsychologische Experimente an Menschen erläutert, mit denen man versucht, unser Sexualleben zu erklären. Zum Beispiel wurde schon untersucht, ob Frauen eher mit Männern ins Bett gehen, wenn ihnen ein Geschenk winkt – von Eintrittskarten zu interessanten Veranstaltungen bis hin zu teuren Handtaschen. Viele der befragten Studentinnen würden sogar auf diesen Deal eingehen! Bei Skorpionsfliegen genügen dagegen schon Spuckebällchen und tote Käfer: Auch diese Tauschaktionen sind evolutionsbedingt.

Viele der Tierbeispiele zeigen gleichzeitig einen biologischen Bezug zu uns Menschen. So schreibt Bennemann von den Weltmeisterschaften im Sandburgenbauen, aber auch im Tierreich findet sich dieses Phänomen bei den Malawibuntbarschen, die in fünf bis zehn Metern Wassertiefe im ostafrikanischen Malawisee kreativ sind. Für die Leser unter uns, die ein weiteres und tieferes Interesse an diesem Thema haben, findet sich ein sehr detailliertes Quellenregister.

Beide Autoren haben sehr schöne Werke geschrieben, die sich auch für den Biologieunterricht eignen: zum Vorlesen das von Niemann und für Referate jenes von Bennemann. Damit lässt sich eine Schulstunde nicht nur aufheitern, sondern zugleich interessant und lebensnah gestalten.

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