Direkt zum Inhalt

Kleine Wunder

Damit sich Kinder und Jugendliche psychisch gesund entwickeln, brauchen sie feste Bindungspersonen: Menschen, die für sie da sind, ihnen zuhören und auf ihre Gefühle eingehen. Karl Heinz Brisch und Theodor Hellbrügge sind Herausgeber eines Buchs, das nicht nur schildert, was passiert, wenn es an solch frühen Erfahrungen mangelt. Der Psychiater und der Sozialpädiater bringen vor allem die wichtige Diskussion über Förderung und Therapie der von Bindungsproblemen betroffenen Kinder aufs Tapet: Was kann man tun, damit diese wieder Vertrauen schöpfen?

Erfreulich detailliert widmen sich die Berichte der zwölf Autoren den vielfältigen Zusammenhängen zwischen früher Bindungserfahrung und kindlicher Entwicklung. Die Konsequenzen von Misshandlung und Vernachlässigung sind hinlänglich bekannt – die Fallbeispiele stimmen trotzdem traurig: Da geht es um das Schicksal von Kindern, die 60-mal ihren Betreuungsplatz wechseln mussten, von anderen, deren drogenkranke Eltern sie nicht ausreichend versorgten und die nicht nur seelische, sondern auch körperliche Gewalt erlitten.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Trotz ähnlichem Los entwickeln sich vernachlässigte Kinder oft ganz unterschiedlich – doch ist nicht immer klar, welche Faktoren eine Traumatisierung verhindern oder begünstigen. Ganz oben auf der Liste dieser so genannten Resilienzfaktoren rangiert der soziale Rückhalt bei Freunden, Lehrern und Therapeuten. Selbst Eltern, die ihr Kind misshandelt haben, können unter Umständen noch einen positiven Beitrag zu dessen weiterer Entwicklung leisten. Sehr oft sind diese Erwachsenen jedoch selbst hilfebedürftig. Schließlich kommt es in der Regel dort zu Vernachlässigung, wo Eltern überfordert sind und mit ihrer eigenen Lebenssituation nicht fertig werden.

Damit sich vergleichbare Szenarien bei den Pflege- oder Adoptiveltern nicht wiederholen, fordern die Autoren Behörden und Betreuer auf, sich frühzeitig mit den Entwicklungschancen und -grenzen der einzelnen Kinder auseinander setzen. Schwierig wird das bei den Kleinsten, die sich noch nicht artikulieren können. Die traumatisierten Patienten leiden zudem oft unter Störungen, die von anderen Ursachen kaum abzugrenzen sind. Dann wieder gibt es Fälle, in denen man die Probleme leicht übersieht – etwa weil das betroffene Kind auf Fremde extrem freundlich und vertrauensvoll reagiert. Doch diese Fassade erweist sich meist als brüchig.

Die Texte lesen sich durch Satzkonstruktionen mit etlichen Substantiven nicht immer leicht. Sie machen trotzdem eindringlich klar, dass ein bisschen guter Wille allein nicht ausreicht, um den Kindern zu helfen. Der Weg zur Heilung ist lang und steinig. Die Autoren rufen dennoch dazu auf, sich den Problemen zu stellen und jeden Fortschritt wie "ein kleines Wunder" zu feiern.

Kennen Sie schon …

Gehirn&Geist – Beziehungen: Wie sie prägen, wann sie stärken

Das Dossier widmet sich sozialen Beziehungen in all ihren Facetten: zwischen Partnern, Eltern und Kindern, Freunden oder in Gemeinschaften. Die Beiträge liefern wichtige, aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung. Sie verdeutlichen, wie heilsam und wichtig die Verbundenheit mit anderen ist, aber auch, wann sie schaden kann. So zeigt der Beitrag zum Thema Bindungsfähigkeit, dass die Erfahrungen der ersten Lebensjahre prägend sind. Doch Bindungsstile lassen sich ändern. Mit vernetzten Hirnscannern ergründen Mannheimer Forscherinnen und Forscher die Geheimnisse sozialer Interaktionen, die einiges über die Beziehung verraten. Das Hormon Oxytozin gilt als soziales Bindemittel. Ein reines Kuschelhormon ist es dennoch nicht. Auch Umarmungen spielen im Alltag vieler Menschen eine wichtige Rolle, aber erst jetzt beginnen Psychologen, dieses Verhalten zu verstehen.

Spektrum Kompakt – Haustiere – Familienmitglieder auf vier Pfoten

Haustiere bereichern das Leben - doch machen sie auch glücklich? Wieso finden wir manche Tiere überhaupt so niedlich? Was geht im Kopf von Katzen vor? Und wie helfen wir unseren tierischen Mitbewohnern durch Hitzeperioden?

Gehirn&Geist – Die Macht der Erwartung

»Die Macht der Erwartung« zeigt, wie Psychotherapie besser wirkt. Außerdem im Heft: Frühe Beziehungen: Der Bindungstyp ist kein Schicksal; ADHS: So äußert sich die Störung bei Erwachsenen; Vibrotaktiler Sinn: Auch Gehörlose können Musik wahrnehmen; Rauchfrei: So klappt es am besten.

  • Quellen
Gehirn und Geist 05/2006

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.