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Ein Arzt erklärt aus der Perspektive des Patienten

Erinnern Sie sich noch an "Sofies Welt"? Vor mehr als 20 Jahren rekapitulierte der norwegische Schriftsteller Jostein Gaarder die Geschichte der europäischen Philosophie mit Hilfe eines Briefwechsels zwischen einem Gelehrten und einer Schülerin. Hier ist der Gelehrte seit 20 Jahren Krebsmediziner, Professor für Radioonkologie in Tübingen und Leiter eines Zentrums für Radiochirurgie. Martin Bleif erklärt uns auf mühelose Art alles, was man über diese komplexe Krankheit wissen muss. Schrittweise erfährt der Leser, weshalb sich die eigenen Zellen manchmal in bösartige Widersacher verwandeln, wie die verschiedenen Therapien funktionieren und warum manche Krebserkrankungen immer noch so schwer zu besiegen sind. Die Fragen stellt dabei Bleifs Frau Imogen, die sich zum einen als Unfallchirurgin mit dem menschlichen Körper auskennt und zum anderen selbst 2008 an Brustkrebs erkrankte.

Der Autor eröffnet jedes Kapitel mit einem Gespräch zwischen ihm selbst und seiner Frau, die ihre Krankheit so genau wie möglich verstehen will. Neben Ursachen und Risikofaktoren geht es auch um praktische Aspekte wie Vorsorge, Diagnose und Behandlung. Bleif beginnt stets mit den Grundlagen, so dass auch der Leser ohne Vorwissen den Faden nicht verliert. In klarer und präziser Sprache erläutert er zuerst die Funktion der genetischen Bausteine einer Zelle und die Ursachen von Mutationen, bevor er zur Krankheit selbst kommt. Parallel verfolgt das Buch die Entwicklung der Krebsforschung; dem Leser begegnen bekannte Namen wie Hippokrates und Paracelsus, Koch und Virchow, Mendel und Curie.

Auf viele von Imogens Fragen gibt es noch keine Antwort. Krebs ist eine unendlich vielgestaltige Krankheit; deswegen ist die Suche nach einem universellen Heilmittel so gut wie aussichtslos. Die Forschung strebt stattdessen beständig nach Therapien für bestimmte Krebsarten. Dieser Aspekt des Buchs ist erstaunlich aktuell und durchaus auch für fachnahe Leser interessant. Der Autor ist hier weder unnötig kritisch, noch weckt er falsche Hoffnungen – im Gegenteil: Besonders in den Kapiteln zu alternativen Therapien und Spontanheilungen räumt er mit einigen Mythen auf.

Als seine Frau erkrankt, verändert sich Bleifs Blickwinkel von der Vogelperspektive des Arztes zur Froschperspektive von Betroffenen und Angehörigen. Er setzt sich zum Ziel, mit seinem Buch die grundlegende Erklärungsarbeit zu leisten, die im Alltag eines vielbeschäftigten Arztes oft keinen Platz findet.

Obwohl viele persönliche Erfahrungen mit eingeflochten sind, mangelt es dem Buch nie an der nötigen Sachlichkeit. Wer als Betroffener oder Angehöriger nach objektiven Informationen sucht, erfährt daraus alles, was er wissen muss. Gerade dadurch gelingt es Bleif, der Krankheit etwas von ihrem Schrecken zu nehmen.

Als Imogen zwei Jahre nach der Diagnose stirbt, endet auch das Buch. Die letzten Seiten sind entsprechend persönlicher, bleiben aber auf einem guten Mittelweg zwischen Nähe und Distanz. Und wo dem Autor am Ende die Worte fehlen, nimmt er Zuflucht zu einem Gedicht.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 08/2013

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