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Vergnüglicher Tanz durch die Zahlenwelt

Der durchschnittliche Zeitgenosse hält Mathematik für eine sehr exotische, gesellschaftlich irrelevante Beschäftigung weniger, begabter Menschen und sich selbst zu derlei Tun für hoffnungslos unfähig. Die erste Meinung ist völlig falsch und die zweite in den meisten Fällen. Da gibt es reichlich Vorurteile abzubauen.

Hier setzt der Wissenschaftspublizist Felix R. Paturi mit seinem neuen Buch an: Es soll beim Leser die Faszination und Entdeckerfreude für die Zahlenwelt neu entfachen und sein Erstaunen erregen. Gleich zu Beginn, im Kapitel "Kakteen, Kunst und DNA", zeigt Paturi verblüffende Zusammenhänge auf. Er selbst fand als Jugendlicher heraus, dass das Verhältnis zwischen der Anzahl rechts- und linkslaufender Linien auf Kakteen gerade dem Goldenen Schnitt enspricht. Diese irrationale Zahl tritt in erstaunlich vielen Zusammenhängen auf: Man findet sie in der Geometrie von Blüten, in der Kunst bei den Kompositionsprinzipien von Rembrandt und Leonardo da Vinci und – besonders erstaunlich – im Verhältnis bestimmter Abstände in der Helix der menschlichen DNA. Handelt es sich um ein tieferes Geheimnis der Natur?

Das kann uns auch Paturi nicht verraten. Stattdessen zeigt er uns im nächsten Kapitel, wie man einen fünfdimensionalen Würfel zeichnen kann – das Kantenmodell eines solchen in der Projektion in die Ebene, um genau zu sein. Es folgt eine verblüffende Querverbindung zu den magischen Quadraten: Indem man die Ecken eines so gezeichneten mehrdimensionalen Würfels auf eine von Paturi dargelegte Weise systematisch mit Zahlen versieht, erhält man magische Würfelflächen, das heißt, vier Eckpunkte eines beliebigen Quadrats aufsummiert ergeben stets dieselbe Zahl. Wer sich an Würfeln mit derlei Eigenschaften weiter austoben möchte, findet dazu im Kapitel "Planetensiegel und magische Würfel" reichlich Gelegenheit.

Auch im Folgekapitel "Wundersame Würfelwelten" wird man schnell anfangen zu grübeln: Zwei Würfel tragen auf ihren Flächen die Zahlen 2, 11, 16, 22, 25, 35 beziehungsweise 4, 13, 18, 20, 23, 33. Wirft man sie gleichzeitig, so gewinnt der eine wie der andere genau mit Wahrscheinlichkeit 1/2. Aber verglichen mit einem dritten Würfel, zum Beispiel 3, 17, 17, 17, 26, 31, ist der eine auf die Dauer schwächer, der andere stärker.

Wie kann das sein? Jürgen ist genau so groß wie Stephan, Peter ist größer als Stephan, aber kleiner als Jürgen? Bei Körperlängen können derlei Wundersamkeiten nicht vorkommen. Die Relation "größer als" auf der Menge der Menschen – allgemeiner: auf der Menge der reellen Zahlen – ist transitiv. Warum und wie es zueinander nichttransitive Würfel gibt, zeigt uns Paturi ausführlich und gut verständlich mit Tabellen, in denen aufgelistet ist, bei welchen Kombinationen ein Würfel den anderen schlägt.

An manchen Stellen fordert der Autor seine Leser sogar auf, die falschen Schlussfolgerungen aufzudecken, mit denen er Aussagen wie "2 = 6 beweist. Das klingt sehr anstrengend; aber Paturi lockert den Text mit vielen, auch nichtmathematischen Anekdoten auf. So erfährt man nebenbei, in wie vielen, vor allem religiösen Kontexten die Drei als Symbol der Vereinigung gilt, was die Rituale der Hopi-Indianer mit der Topologie gemein haben oder wie man schnell einige publikumswirksame Tricks mit so genannten Fadenspielen erlernt. Indem Paturi als Icherzähler den Leser auf kreative Weise durch diese verschiedensten Tüfteleien führt, schafft er eine geistige Nähe und gibt ihm ab und an sogar die Gelegenheit, selbst etwas zu entdecken. Damit verschafft er dem Buch das Potenzial, eine angeblich trockene Materie faszinierend zu vermitteln.

Doch diese Chance wird an einigen Stellen verspielt: Paturis Schreibstil mit seiner oft sehr einfachen Ausdrucksweise ist gewöhnungsbedürftig. Die ständige Hervorhebung der eigenen Person und ihrer Errungenschaften kann einem sensiblen Leser auf die Nerven gehen. Magische Quadrate nehmen einen auffallend großen Teil des Buchs ein; wehe dem, der dafür nicht genügend Interesse aufbringt. Das Kapitel mit den falschen Beweisen entpuppt sich als monoton; es genügt, beim ersten falschen Beweis den Fehler zu finden, denn sie sind alle nach demselben Muster gebaut.

Die äußere Erscheinung ist wenig ansprechend: Das grobe Papier, die Textgestaltung, die ein wenig wie ein privates Word- Dokument aussieht, und die ausschließlich schwarz-weißen Abbildungen versprühen keinen besonderen Charme. Nach Paturi ist Mathematik eine Art Sprache, die inhaltliche Aussagen als "wahr" oder "falsch" bezeichnet. Dies ist insofern richtig, als beim Herangehen an ein mathematisches Problem bestimmte Grundannahmen (Axiome) und Schlussregeln bereits als gültig vorausgesetzt werden. Eine mathematische Aussage steht entweder im Einklang oder im Widerspruch zu diesen. Da in der Mathematik alles so einfach und so systematisch wie möglich formuliert wird, tritt dieser Einklang oder Widerspruch offensichtlicher zu Tage als bei Aussagen im normalen Leben.

Aber von dieser so hochgepriesenen logischen Strenge praktiziert Paturi in seinem Buch herzlich wenig; stattdessen tänzelt er häufig ausschließlich spielerisch durch die Zahlenwelt. Wir lernen, von einem Phänomen zum anderen Brücken zu schlagen und darüber zu staunen. Doch in welchen mathematischen Kontext sich solche Brücken einbetten lassen, erfährt man weniger. So hätte es sich im Kapitel über Fadenspiele und Knoten angeboten, Konzepte aus der Topologie etwas formalisierter darzustellen.

Insgesamt aber erfüllt das Buch der "Leckerbissen" seinen Anspruch: Wir werden angehalten, zu hinterfragen, und geraten auf verschiedenen Wegen, vorbei an Paradoxa, Mathematikerwitzen, Zitaten und Naturzusammenhängen, in die Welt von Zahlen. Zudem ist dieser Weg – entgegen dem Untertitel – jedem Interessierten gut zugänglich. Damit trägt das Buch dazu bei, einige Vorurteile abzubauen. Wem es allerdings um die weiterreichenden, bedeutenden Vorteile der Mathematik geht, wer sich in der hierfür notwendigen Systematik und Formalität üben möchte, dem wird diese Lektüre nicht ausreichen.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 9/2009

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