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Die geheimnisvolle Welt der Heilpflanzen

Wussten Sie, dass die Schafgarbe im Mittelalter auch die "Augenbraue der Venus" genannt wurde? Und dass sich ihr lateinischer Name Achillea vom griechischen Helden Achilleus ableitet, der – im Kampf am Fuß verletzt – von Aphrodite den Rat erhalten haben soll, die Verletzung mit Schafgarbe zu behandeln? Heute kennt man die Heilpflanze in Gestalt vielfarbiger Filipendulina-Hybridformen im Staudenbeet und in der Arzneikunde als altes Frauenheilkraut, das schon Pfarrer Kneipp pries. Doch sie ist weit vielseitiger, kann gegen Hämorrhoiden, Blasen- und Nierenerkrankungen ebenso hilfreich sein wie bei nervösem Herz und wird in den verschiedensten Formen angewendet – von Tee über Tinktur, Bad, Kompresse und Saft bis zum Wein.

Auch die Kamille kennt man als Allheilmittel, das vor allem in Form von Tee verabreicht wird. Anders als bei vielen anderen Heilpflanzen ist hier die Heilwirkung sogar wissenschaftlich belegt und seit der Antike bekannt: antibakteriell, krampfstillend, beruhigend, gut für das Immunsystem und zur Muskelentspannung. Doch Kamille ist nicht gleich Kamille und zwischen Echter und Hundskamille, Falscher und Römischer Kamille liegen Welten: Dinge, über die ein Pflanzenfreund ebenso Bescheid wissen sollte wie darüber, dass die Ringelblume (auch als "Wucher-" oder "Niewelkblume" bekannt) bei uns nie wild wachsend vorkommt, dafür aber im Blumenbeet Schutz vor Schädlingen bietet und im Salat einen Farbtupfer darstellt. Waldmeister wurde auch "Mariae Bettstroh" genannt, da er bei Gebärenden und Wöchnerinnen in Kissen und Matratzen zum Einsatz kam, oder man trank ihn als Tee namens "Herzfreude" oder als Zusatz in der Bowle.

Ein Zweigchen Baldrian wurde zu Pestzeiten als eine Art Amulett um den Hals getragen oder gar gekaut. Heute wird er vor allem als mildes Schlaf- und Beruhigungsmittel eingesetzt. Allerdings nur bei Menschen, denn bei Katzen und Regenwürmern kann man die gegenteilige Wirkung beobachten: Sie gebärden sich wie toll. Es kommt eben auf die richtige Dosierung an. Weniger bekannt ist hingegen der Gundermann, ein efeuartig wucherndes Kraut, das am Gründonnerstag traditionell in einer Kräutersuppe serviert und mit einem heidnisch-nächtlichen Tanzfest in Verbindung gebracht. Daher wird ihm antidämonische Wirkung zugeschrieben – aber nicht nur das: Als "Milchzauber" soll er Wöchnerinnen und zudem bei eiternden Wunden und Bronchialerkrankungen helfen.

Derart kuriose, interessante und hilfreiche Informationen sind im Buch "Medizin der Erde" von Susanne Fischer-Rizzi zusammengetragen, das erstmals 1984 erschien und jetzt in einer grundlegend überarbeiteten und durch Rezepte und Anwendungen ergänzten Neuausgabe vorliegt. Die Autorin, selbst Heilpraktikerin, zählt zu den bekanntesten Kräuterfachfrauen im deutschsprachigen Raum und stellt die 33 wichtigsten heimischen Heilkräutern – darunter auch viele weniger bekannte – alphabetisch von Arnika bis Wegwarte vor.

Die Stärke dieses Nachschlagwerks liegt in den umfassenden und überhaupt nicht langweiligen Pflanzenbeschreibungen sowie in der Ausführlichkeit der Beschreibung ihrer medizinischen Wirkungsweise und Anwendung. Nach einer allgemeinen Einführung zu jeder Pflanze – über Charakter und Herkunft, Quellen und Volksbrauchtum, Symbolik und Mythos, aber auch zu Verwendung, Aussehen, Wachstum und Verwandten – geht es speziell um die "Heilwirkung". Mit Ingredienzien aus der Apotheke lassen sich Tees, Säfte, Tinkturen oder Einreibungen dann selbst herstellen, denn Rezepten sind im Buch inklusive. Darüber hinaus erhält der Leser Hinweise auf die entsprechenden fertigen Arzneimittel und auf andere gebräuchliche Heilpflanzen mit entsprechender Wirkung.

Sofern in Tierheilkunde, Kosmetik oder in der Küche gebräuchlich, gibt es Informationen zu Wirkweisen, Anwendungsformen sowie Rezepte und Tipps zum Anbau – für Hobbygärtner ein interessanter Aspekt. Am Ende eines jeden Kapitels werden übersichtlich in tabellarischer Form die Botanischen Erkennungszeichen wie Vorkommen, Standort, Sammelzeit, Inhaltsstoffe und Verwechslungsmöglichkeiten zusammengefasst. Im Anhang lässt Fischer-Rizzi die "Kommission E" nicht unerwähnt, die die Wirkungskraft von Heilkräutern wissenschaftlich untersucht, außerdem gibt es Literatur, ein Register und Pflanzenschemata.

Der erste Eindruck des Bucheinbandes trügt: Das Buch wirkt eher schlicht, das Papier erinnert etwas an früheres Umweltschutzpapier, statt Fotos gibt es nur Zeichnungen – diese allerdings zum Teil ganz- oder sogar doppelseitig und äußerst geglückt. Es ist genau genommen gerade diese Schlichtheit, die diesem Buch einen ganz besonderen Reiz gibt. Nur der Titel irritiert anfangs etwas, denkt man doch bei "Medizin der Erde" zunächst an erdbezogene Völker, Indianer und Schamanen, an Esoterisches und Mystisches. Doch das Buch bleibt durchaus auf dem Boden und entpuppt sich als Standardwerk zur Heilpflanzenkunde und als unentbehrliches Nachschlagewerk.

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