Direkt zum Inhalt

Schöne neue Pflanzenwelt

Zu den grundlegenden Lehrveranstaltungen eines jeden angehenden Biologen gehört das botanische Mikroskopierpraktikum im Grundstudium, das in den Aufbau des Pflanzenkörpers einführt. Ähnliche oder identische Kurse haben auch Studierende der Forstwissenschaft, der Landwirtschaft, der Lebensmittelchemie und der Pharmazie zu absolvieren. Der Thieme-Verlag hatte seit eh und je ein diese Pflichtveranstaltung begleitendes Standardwerk im Programm. Statt das bekannte Praktikumsbuch von Wilhelm Nultsch ein weiteres Mal überarbeiten zu lassen, hat man sich entschlossen, ein völlig neues Werk zu kreieren.

Gut gemacht, möchte man gleich beim ersten Aufschlagen ausrufen. Welch ein Unterschied! Beim näheren Hinsehen bestätigt und vertieft sich der erste Eindruck. Statt an einer knorrigen Eiche ein wenig Totholz zurückzuschneiden und hier und da ein bisschen Kosmetik zu betreiben, wie es bei Neuauflagen nur allzu oft geschieht, hat die Neuaussaat ein prachtvoll blühendes Kleinod hervorgebracht, dass die Blicke auf sich ziehen wird.

Das Buch ist in 16 Kapitel gegliedert. Nach drei einleitenden Kapiteln über die verschiedenen mikroskopischen Techniken befassen sich die nachfolgenden in systematischer Weise mit der Anatomie des Pflanzenkörpers, ausgehend von der pflanzlichen Zelle bis hin zu sekundären Bildungen wie Holz und Kork.

Das Werk wird von einer riesigen Anzahl exquisiter Abbildungen durchzogen. Kaum eine Seite, die den Leser nicht durch die pure Schönheit der biologischen Strukturen in ihren Bann zieht. Die große Mehrzahl der Abbildungen sind Mikrofotografien von exzellenter Qualität. Zeichnungen und Schemata verdeutlichen an vielen Stellen die anatomischen Verhältnisse oder führen die durchzuführenden Experimentalschritte dem Nutzer buchstäblich "vor Augen". Das Buch besticht durch und lebt ganz wesentlich von der hervorragenden Bebilderung. Es ist daher wirklich und wahrhaftig ein "Praktikumsbuch".

Die begleitenden Texte sind knapp gehalten und erläutern im Wesentlichen die Abbildungen. Wiewohl es kurze Einführungen zu den Kapiteln gibt, ersetzt dieses Werk keinesfalls die Vorlesung oder das Lehrbuch, stellt aber zu beidem eine großartige Ergänzung dar. Aus eben diesem Grund erweist sich das Fehlen jeglicher Literaturempfehlung als misslich. Eine ohne Zweifel zu erwartende zukünftige Auflage sollte eine halbe Seite Platz dafür finden.

Eine weitere Verbesserung zukünftiger Auflagen wäre die Aufnahme auch der englischen Entsprechungen der Fachbegriffe in das Glossar (z.B. einfach in Klammern gleich hinter den deutschen Ausdrücken). Auch Studenten kommen bereits während des Studiums regelmäßig mit der internationalen, also ganz überwiegend englischsprachigen Literatur in Berührung. Eine solche, den Umfang des Werkes praktisch nicht erhöhenden Ergänzung wäre eine willkommene Hilfestellung. Schließlich ist denkbar, dass auch der ausgewachsene Botaniker hier und da gerne auf sie zurückgreifen würde.

Diese Bemerkungen stellen aber mehr Anregungen dar, etwas sehr Gutes noch besser zu machen als eine Kritik am Bestehenden. Beim "Mikroskopisch-botanischen Praktikum" handelt es sich zweifellos um eine der erfreulichsten Neuerscheinungen des Jahres im Bereich der biologischen Literatur. Gerhard Wanner ist ein wunderbar gestaltetes Buch gelungen, das auf seinem Gebiet Maßstäbe setzt und in seiner Ästhetik mit den besten populärwissenschaftlichen "Bilderbüchern" ohne Anstrengung mithalten kann. Das Buch ist in gewohnter Thieme-Qualität hervorragend produziert und macht ohne Abstriche von der ersten bis zur letzten Seite Freude. Glücklich die Studentengeneration, die mit diesem Werk lernen kann. Am liebsten möchte man noch einmal Student sein und alles (na ja, das meiste) noch einmal erleben – allerdings mit einem gescheiten Mikroskop!

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.