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Der trügerische "Christbaumeffekt"

In den vergangenen Jahrzehnten setzten Forscher ebenso wie die interessierte Öffentlichkeit große Erwartungen in die Neurowissenschaften. Sie würden auf verschiedenen Gebieten enorme Fortschritte bringen, so lautete das allgemeine Kredo. Mit ihrer Hilfe könne man vielleicht sogar einige der größten Rätsel des Menschseins entschlüsseln. Kein Wunder also, dass es im vergangenen Jahrzehnt zu einer wahren "Neuroinflation" kam.

Von der Neuroästhetik über die Neurotheologie und Neurosoziologie bis hin zur Neuroökonomie blieb kaum eine Fachdisziplin davon unberührt. Dass die Hirnforschung tatsächlich zu den erhofften Quantensprüngen führt, bezweifelt der Psychopharmakologe Felix Hasler in dieser Streitschrift.

Ähnliche Kritik übten in jüngerer Zeit schon viele Wissenschaftler, doch selten so fundiert, differenziert und verständlich wie der Forschungsassistent von der Berlin School of Mind and Brain. Laut Hasler sind nicht die neurowissenschaftlichen Befunde selbst das Problem, sondern vor allem ihre Darstellung in vielen populären Medien.

Gerade Laien seien anfällig für den so genannten Christbaumeffekt: Die bunten Flecken auf den Hirnbildern gaukeln Wissenschaftlichkeit vor, obwohl sie selten eindeutige Interpretationen zulassen. Noch dazu habe sich inzwischen eine kleine Industrie entwickelt, beklagt der Autor, die neurowissenschaftliche Befunde zur Vermarktung fragwürdiger Produkte wie Hirndopingmittel und Lügendetektoren heranzieht.

Schuld daran sind laut Hasler auch einige Neurowissenschaftler, die selbstbewusst überzogene Erwartungen geschürt haben. Vergleichsweise ernüchternd falle hingegen die tatsächliche Bilanz aus.

Ohne Zweifel habe die Hirnforschung zahlreiche faszinierende Erkenntnisse hervorgebracht und insbesondere den medizinischen Fortschritt gefördert. Und doch müsse man sich immer wieder vor Augen halten, dass von großen Auswirkungen auf unseren Alltag oder gar einer Revolution unseres Menschenbildes nicht die Rede sein kann. Haslers Buch ist daher jedem ans Herz zu legen, der dem Christbaumeffekt widerstehen möchte.

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  • Quellen
Gehirn und Geist 4/2013

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