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So bin ich halt Â…

Wer einmal versucht hat, mit dem Rauchen aufzuhören oder sein aufbrausendes Temperament im Zaum zu halten, der weiß, dass sich tief sitzende Gewohnheiten und Charaktereigenschaften nicht ohne Weiteres ablegen oder verändern lassen. Doch wie groß genau ist der Spielraum, der uns für Veränderungen unserer Persönlichkeit bleibt? Sind wir am Ende bloß "Sklaven unserer Gene"? Wie, wenn überhaupt, können wir auf unser Tun bewusst Einfluss nehmen? Wie viel tragen Umwelteinflüsse zur Entwicklung unserer Persönlichkeit bei?

Um eine Grundlage für seine Antwort auf diese Fragen zu schaffen, führt der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth den Leser im ersten Teil seines Buchs durch eine Vielzahl von Teildisziplinen der Psychologie, von der Persönlichkeits- über die Lern- und Motivationspsychologie bis hin zur Entscheidungsforschung. Diese Theorien unterfüttert er durchweg mit Erkenntnissen aus den Neurowissenschaften und verankert sie somit in den Strukturen des Gehirns.

Nach dem Modell, das seinen Ausführungen zu Grunde liegt, setzt sich die Persönlichkeit des Menschen aus den vier Ebenen "Temperament", "emotionale Konditionierung", "Ich-Identität" und "kognitive Fähigkeiten" zusammen. Roth geht dabei – ohne dies im Einzelfall näher zu begründen – davon aus, dass jeder dieser Ebenen eine klar umgrenzte Region im Gehirn entspricht, die es zu beeinflussen gilt, wenn man die entsprechenden Merkmale ändern möchte.

Ausgehend von diesem Modell und den Erkenntnissen der Lern-, Motivations- und Entscheidungspsychologie wendet sich Roth im zweiten Teil seines Buchs der Frage zu, auf welche Weise wir Einfluss auf unser Verhalten nehmen können. Das Ergebnis ist ernüchternd: Vor allem auf die unterste Ebene, also auf Eigenschaften wie Schüchternheit oder Extrovertiertheit, lässt sich durch bewusste Entscheidungen so gut wie gar nicht einwirken. Vielmehr bedarf es einschneidender emotionaler Erlebnisse bis hin zu epileptischen Anfällen und Traumata, um merkliche Veränderungen in den entscheidenden Gehirnregionen zu bewirken. Als Beispiel führt Roth die biblische Geschichte der Wandlung des Saulus zum Paulus an, die man heute rückblickend als Folge eines starken epileptischen Anfalls mit Halluzinationen deutet.

Auf der zweiten Ebene, die unsere Gewohnheiten und Vorlieben umfasst, ist es kaum besser. Ein Beispiel: Die meisten Menschen fahren auch dann weiter mit dem Auto, wenn sie zu der Überzeugung gelangen, dass es besser wäre, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Um eine solche Gewohnheit abzulegen, müssten zu der rationalen Überzeugung noch entsprechende emotionale Einstellungen hinzukommen. Allerdings seien diese, ebenso wie die Eigenschaften des Temperaments, in Hirnarealen lokalisiert, auf die wir mit unseren bewussten Entscheidungen keinen Einfluss haben.

Zwangsläufig werfen diese Erkenntnisse philosophische Fragen nach Willensfreiheit und Verantwortung auf: Wenn unsere Entscheidungen zum größten Teil durch unbewusste Prozesse determiniert sind, auf die wir mit unserem Willen keinen Einfluss nehmen können, kann dann überhaupt noch von Willensfreiheit und Verantwortung die Rede sein? Dieser Frage widmet Roth das letzte Kapitel seines Buchs. Es ist zu begrüßen, dass er sich dabei nicht mehr in dem kruden Schema "frei oder determiniert?" bewegt, das lange Zeit viele populärwissenschaftliche Beiträge zu dem Thema beherrschte. Während er in früheren Veröffentlichungen noch die Position vertrat, die üblichen Vorstellungen von Willensfreiheit und Verantwortung seien durch die Hirnforschung widerlegt, zeigt er nun, warum es auch dann noch sinnvoll ist, von Verantwortung zu reden, wenn wir davon ausgehen, dass unser Verhalten durch neuronale Vorgänge determiniert ist.

Dabei beruft er sich auf ein zentrales Argument aus der philosophischen Debatte um Willensfreiheit: Wenn meine Entscheidungen durch nichts determiniert wären, dann wären sie ein Ergebnis des Zufalls und könnten somit auch nicht mir als Urheber zugeschrieben werden. Damit eine Entscheidung meine Entscheidung ist, muss sie in meinen Motiven und in meiner Persönlichkeit verankert sein. Sie muss also, so paradox das klingen mag, determiniert sein, um überhaupt als meine Entscheidung gelten zu können.

Trotz des – vor allem in dem philosophischen Kapitel – komplexen Inhalts ist das Buch überwiegend gut verständlich geschrieben und flüssig zu lesen. Zwei oder drei Punkte gibt es dennoch kritisch anzumerken. Zum einen fällt immer wieder auf, wie undistanziert Roth mit den Erkenntnissen der Neurowissenschaften umgeht. Affirmative Sätze wie "Die Vernunft hat überwiegend im orbitofrontalen und in angrenzenden Teilen des ventromedialen präfrontalen Cortex ihren Sitz" findet man häufig. Seltener dagegen erfährt man, wie Annahmen dieser Art begründet werden oder was man darunter überhaupt zu verstehen hat. Ein Buch, das sich immerhin an Leser ohne einschlägige Vorkenntnisse wendet, sollte nicht den Eindruck vermitteln, derart gewaltige Aussagen gehörten zum neurowissenschaftlichen Lehrbuchwissen, so als hätte diese Wissenschaft alle ihre Probleme schon gelöst.

Dem Missstand wird auch dadurch nicht abgeholfen, dass Roth seine Leser mit einer Fülle neurobiologischer Details konfrontiert. Einige der neurowissenschaftlichen Passagen sind so prall gefüllt mit Aufzählungen von Hirnarealen und Hormonen, dass man leicht abgeschreckt wird und vor allem vor lauter Einzelheiten die entscheidenden Prinzipien aus dem Blick verliert.

Schließlich mangelt es in einigen Passagen an lebensnahen Beispielen. Es mag zwar interessant sein zu hören, wodurch der Saulus zum Paulus werden konnte, aber als Leser möchte man etwa auch wissen, wie es ehemalige Mitglieder gewalttätiger Gangs geschafft haben, der Gewalt abzuschwören. Von solchen Fällen hört und liest man immer wieder, und es fällt schwer zu glauben, dass es in jedem Einzelfall eines epileptischen Anfalls oder eines psychischen Traumas bedurft hätte. Hierzu hätte man von Roth, der ja ein Fachmann auf dem Gebiet der Gewaltforschung ist, gern etwas mehr gehört.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 9/2008

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