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Phosphor - ein Element auf Leben und Tod

John Emsley, Professor am King’s College in London und Autor zahlreicher Sachbücher, hat für sein neuestes populärwissenschaftliches Buch ein ungewöhnliches Thema gewählt: ein einziges chemisches Element, und zwar den lange Zeit gefürchteten Phosphor. Der Autor hat selbst über sämtliche Eigenschaften des Phosphors gearbeitet und sein Wissen in eine 1992 ausgestrahlte Fernsehserie der BBC eingebracht, die mit dem Glaxo Award ausgezeichnet wurde. Das umfassende Wissen und die Darstellungskunst des Autors sind auch im vorliegenden Buch zu spüren. Emsley ordnet den Stoff nicht nach Lehrbuchkriterien, sondern eher nach der Geschichte und bestimmten Themenkomplexen wie Magie oder Umwelt. Insgesamt setzt er dem gegenwärtig miserablen Ruf der Chemie ein faszinierendes Panoptikum entgegen.Ausgerechnet eine Halbwissenschaft des finsteren Mittelalters, die Alchemie, hat die Grundlagen für die exakte Naturwissenschaft Chemie gelegt. Die Geschichte der Darstellung des Phosphors gibt dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Während des Mittelalters war elementarer Phosphor, der in der Natur praktisch nicht vorkommt, als "leuchtendes Element" von den Alchemisten so begehrt, dass sie ihre Herstellungsmethoden um jeden Preis geheim hielten. So sind die Geschichten der Alchemisten Hennig Brandt, Johann Kunckel und Daniel Kraft, die allesamt im späten 17. Jahrhundert die Gewinnung von Phosphor aus Urin entwickelten, geprägt von persönlichen Eitelkeiten und Geheimhalterei. Erst mit einem Brief von Robert Boyle (1627-1691), einem der Gründerväter der modernen Chemie, in dem es um die Herstellung des Phosphors geht und der erst nach Boyles Tod veröffentlicht werden durfte, beginnt dessen Untersuchung nach wissenschaftlichen Maßstäben.Mit einem Sprung geht Emsley dann zu der Rolle des Phosphors im Gesundheitsbereich über. Der Iatrochemie des Paracelsus zufolge gibt es für jede Krankheit eine bestimmte Ursache und daher ein bestimmtes chemisches Heilmittel. Auf den Grundzügen dieser Lehre aufbauend wurde auch ein für Menschen so giftiger Stoff wie der Phosphor über Jahrhunderte als Heilmittel für verschiedene Krankheiten eingesetzt. Der deutsche Apotheker Johann Lincke (1675-1735) verkaufte seine von einer Oxidschicht geschützten Phosphorkügelchen unter dem Namen "Kunckelpillen" als Mittel gegen Koliken, Schlaganfälle, Wundstarrkrampf und asthmatische Beschwerden.Wer erstmals Phosphor für Zündhölzer verwendete, ist umstritten. Wahrscheinlich war es der junge französische Chemiestudent Charles Sauria 1830/31, der dafür erst ein halbes Jahrhundert später durch die Regierung seines Landes mit einer Medaille geehrt wurde. Patentiert wurden die Zündhölzer erstmals 1836 in den USA. Damals wurden sie als Congreve-Hölzer bezeichnet, weil sie so glühten wie die Raketen des britischen Waffenherstellers William Congreve. Entscheidend war die Zusammensetzung der Zündmasse aus weißem Phosphor, Schwefel, Kaliumchlorat und anderen Stoffen; deswegen wurden diese Geheimnisse vom jeweiligen Hersteller sehr gut gehütet. Schnell wurden verschiedene Zündmittel entwickelt, und zur Waffenherstellung war es dann nicht mehr weit. Dieser dunklen Seite des Elements, das vor allem in den beiden Welkriegen viel Leid angerichtet hat, sind denn auch drei Kapitel des Buches gewidmet.Zum Schluss dreht sich alles um die Beziehung zwischen Phosphor und der Umwelt: Phosphordünger und -waschmittel, den Phosphorgehalt von Nahrungsmitteln und die Rolle dieses Stoffes bei der Eutrophierung von Seen. Dabei erfährt man unter anderem, dass die Salze der Phosphorsäure weit verbreitete Nahrungsmittelzusätze sind und vor allem bei der Käseherstellung als Emulgatoren Verwendung finden. Die Bemühungen zur Rückgewinnung von Phosphor machen große Fortschritte: "Eines nicht allzu fernen Tages wird das Phosphat, das wir mit den Speisen verzehrt haben, im Geschirrspülerpulver wieder auftauchen, anschließend werden wir damit die Tischdecken waschen, unsere Zähne putzen und so weiter – ad infinitum."Emsley spricht mit seinen vielen interessanten Einzelheiten und unzähligen Anekdoten sowie den Informationskästen über Hintergründe ein breites Publikum an. Ausführliche Quellenangaben zu jedem Kapitel und ein Sachregister befriedigen weiter gehenden Informationsbedarf. Insgesamt ein sehr schönes Buch.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 04/2002

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