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So schön kann Biologie sein

Die Naturwissenschaft kann uns sagen, wie die Welt funktioniert. Allerdings fällt es Wissenschaftlern zuweilen recht schwer, uns die Geheimnisse der Natur näherzubringen – zumindest auf eine für den Laien verständliche Art. Das kann sein, muss aber nicht, wie die mittlerweile 9. Auflage des "Purves" zeigt. Mit dem umfangreichen Lehrbuch der Biologie gelingt David Sadava und seinen Kollegen das, was nicht immer glückt: Biologie begreiflich zu machen.

Wie das die vier US-amerikanischen Autoren und das Team um den deutschen Herausgeber Jürgen Markl hinbekommen, wird deutlich, wenn man das knapp 1800 Seiten umfassende Werk genauer unter die Lupe nimmt: Die Sprache der Biologen ist so einfach wie möglich und so fachmännisch wie nötig, und die Texte heben sich von manch anderem Lehrbuch durch einen lockeren Schreibstil ab. Das macht selbst komplexe Zusammenhänge verständlich und weckt Interesse. Da fällt das Dranbleiben leicht. Für ein Lehrbuch außergewöhnlich sind auch die "Appetithappen" am Anfang eines jeden Kapitels: Geschichten zum Einstieg auf jeweils eineinhalb Seiten sollen Lust auf das nachfolgend behandelte Thema machen. So erklären die Autoren zum Beispiel am Anfang des Kapitels über "Energie, Enzyme und Stoffwechsel", weshalb die meisten Ethnien dieser Erde akute Verdauungsprobleme bekommen, wenn sie Milchprodukte zu sich nehmen.

Auffallend anders sind auch die Grafiken und Fotos dieses Lehrbuchs. Dass Abbildungen aussagekräftig sein sollten und bestenfalls dem Verständnis des Textes dienen, ist klar und wird eigentlich vorausgesetzt. In diesem Buch geht die didaktische Konzeption allerdings einen Schritt weiter: Fast alle Grafiken und viele Fotos enthalten Sprechblasen, die die wichtigsten Punkte hervorheben und durch komplizierte Sachverhalte führen. Ein Thema noch einfacher verständlich zu machen, geht wohl kaum.

Am Ende eines jeden Kapitels darf sich der Leser nicht nur über eine Zusammenfassung in prägnanten Sätzen freuen, sondern er findet auch ein Quiz zur Selbstüberprüfung. Außerdem stellen die Biologen zu jedem Kapitelende dem Leser Fragen, die zur Diskussion anregen sollen. So wird er zum Beispiel dazu angehalten, sich Gedanken darüber zu machen, wieso es selbst bei Kenntnis der Sequenzen aller Gene eines einzelligen Organismus und mit der Möglichkeit, alle diese Gene in einem Reagenzglas zu exprimieren, unglaublich schwierig ist, künstlich einen funktionsfähigen Organismus herzustellen. Das wissenschaftliche Denken des Studenten möchten die Biologen fördern, indem sie ihn über weiterführende Forschung nachdenken lassen. So soll er beispielsweise Ideen dazu ausbrüten, mit welchen Experimenten man die Auswirkungen einer schwankenden Sauerstoffkonzentration in der Atmosphäre überprüfen kann.

Erfreulich ist auch das mehr als 2000 Definitionen umfassende Glossar, das Abhilfe schafft, wenn man sich über die Bedeutung eines Begriffs im Unklaren ist. Zusätzlich zu all dem gibt es eine sehr umfassende Internetseite, die das Lehrbuch nicht ersetzen, aber ergänzen soll und kann. Auf ihr finden sich unzählige Abbildungen, Videos und zahlreiche interaktive Quizfragen sowie Lernkarten, die helfen sollen, die in diesem Lehrbuch befindliche riesige Wissensmenge auf unterschiedliche Weise zu lernen. In dem Lehrbuch selbst befindet sich an den Überschriften und Abbildungslegenden ein Symbol, das auf ein zum Thema passendes Tutorium der Internetseite hinweist.

In ihrem Mammut-Werk geben die Autoren einen Überblick über das weite, mit schwindelerregendem Tempo wachsende Forschungsfeld der Biowissenschaften. Sie beginnen mit den Bausteinen des Lebens und erklären, wie Wissenschaft überhaupt funktioniert, also wie die tägliche Arbeit eines Forschungstreibenden aussieht. In den weiteren Kapiteln beschreiben die Biologen den Aufbau von Zellen, wie sie miteinander kommunizieren und über welche Wege die kleinsten Einheiten des Lebens Energie gewinnen. Es geht demnach um Proteine, Kohlenhydrate, Lipide, Nukleinsäuren und um Zellkompartimente, Membranen, um Signalübertragung und Enzyme, Stoffwechsel und Fotosynthese.

Dass keine Neuauflage eines biowissenschaftlichen Lehrbuchs ohne kräftige Überarbeitungen auskommt, wird vor allem – aber nicht nur – in den Kapiteln über Gene, Vererbung und Genome deutlich: Im Vergleich zur vorangegangenen Auflage enthält der neue Purves unter anderem eine Diskussion über Epigenetik, und ein neues Kapitel über Mutationen beschreibt den aktuellen Stand der Behandlungsmethoden in der medizinischen Gentherapie. Besprochen werden zudem einige der neuesten Anwendungen der Biotechnologie wie etwa die Beseitigung von Umweltverschmutzungen.

Erhebliche Umstellungen und Überarbeitungen gibt es schließlich im zweiten Teil des Lehrbuchs, der die Prozesse und Muster der Evolution und die Evolution der biologischen Vielfalt behandelt. Ein eigenständiges Kapitel widmet sich anschließend gänzlich den Pflanzen, und in einem weiteren geht es um die Physiologie der Tiere, also unter anderem um das Hormonsystem, die Immunologie und das Nervensystem. Und zu guter Letzt kommt ein Kapitel über Ökologie, das eine Menge interessanter Geschichten und Diskussionen über Feldstudien enthält, die vorher nie in biologischen Lehrbüchern auftauchten und zudem Einblicke in die Arbeitsweise von Ökologen geben.

Fazit: Der "Purves" ist nicht nur eine Bereicherung für Studierende der Biologie, sondern für jeden interessierten Laien, Oberstufenschüler und Unterrichtenden. Mit diesem Lehrbuch wird Lebenswissenschaft leicht verständlich und der Lernstoff mühelos zu meistern. Das macht es zu einem angenehmen Studien-Begleiter – und nicht nur für die ersten Semester. Wer noch nicht Biologie studiert, möchte es spätestens dann machen, wenn er dieses Buch in die Hände bekommt. Und wer das Studium schon hinter sich hat, wünscht sich fast auf die Schulbank zurück.

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