Direkt zum Inhalt

»Quallen altern rückwärts«: Was Menschen länger leben lässt

Die Osterinseln und Zombiezellen bergen Geheimnisse für ein gesundes Leben. Was wirklich hilft, erklärt der Molekularbiologe Nicklas Brendborg in seinem Buch »Quallen altern rückwärts« äußerst amüsant. Eine Rezension
Quallen zählen zu den ältesten Tieren der Erdgeschichte und leben noch heute in allen Meeren.

Auf der Glatze wuchsen wieder Haare, graue Haare wurden wieder braun, der Muskelumfang nahm zu: Neun Männer sollen begeistert gewesen sein. Sie wurden jünger, ihre biologische Uhr hatte sich zurückgedreht. An einem exklusiven Kreis hatte der Biomediziner Greg Fahy vor drei Jahren ein Aufsehen erregendes Experiment durchgeführt. Um das Altern aufzuhalten, hatte er an neun Probanden einen Medikamenten-Mix aus Wachstumshormonen für die Thymusdrüse verteilt.

Danach kehrte Stille ein um diese scheinbare Revolution eines Anti-Aging-Wundermittels. Der Molekularbiologe Nicklas Brendborg handelt das Mittel in seinem Buch »Quallen altern rückwärts« extrem schnell ab, gibt es doch so viele andere Möglichkeiten für ein extrem langes Leben. Und die stecken nicht nur in männlichen Thymusdrüsen, sondern auch in der Erde der Osterinseln, der Vermehrung von Quallen, im Händewaschen und in vielen anderen Stoffen oder Maßnahmen.

Der Schlüssel zu einem langen Leben

Auch wenn der Titel des Buchs anderes vermuten lässt, geht es nur kurz um die Glibberwesen im Meer. Eine Art allerdings ist besonders, wie der Autor erklärt: Die ziemlich kleine Qualle namens Turritopsis, gerade so groß wie ein Fingernagel, ist quasi unsterblich. Bei Gefahr oder Hunger verwandelt sie sich in ihr Polypenstadium zurück und beginnt ihr Leben noch einmal von vorn. Und das beliebig oft. Am Anfang des Buchs stellt Brendborg dieses und weitere Beispiele von Tieren und Pflanzen vor, die ein langes und gesundes Leben führen können. Aber nicht nur Lebewesen scheinen ein Geheimnis gegen das Altern zu hüten, einige liegen auch in der Erde. Zum Beispiel auf einer der Osterinseln. Dort entstand im Boden ein Bakterium, das auf lebensverlängernde Weise das Wachstum von Zellen beeinflusst. Doch bevor man »die Gelegenheit beim Schopf packt« und das darauf beruhende Medikament »Rapamycin« einnimmt – Achtung, noch sind längst nicht alle Nebenwirkungen bekannt.

Der Autor schreibt von der weltweit betriebenen Forschung, die zum Ziel hat, Menschen in die Lage zu versetzen, so lange wie möglich gesund zu leben. Dazu gehört es, Infektionen und Alzheimer zu bekämpfen, die Bedeutung der Thymusdrüse sowie die Auswirkung von Schokolade zu untersuchen. Ob Genetik, Krebszellen oder Plaques im Gehirn, der Autor stellt die wissenschaftlichen Grundlagen einfach, verständlich und sachlich korrekt vor. Und er grenzt sich vom Anti-Aging-Hokuspokus ab, an den viele Menschen schon immer gern glaubten. Auch heute stellt der Bereich eine boomende Wirtschaftsbranche dar. Selbst die Wissenschaft verspreche manches Mal zu viel, kritisiert er. Einiges klinge zwar viel versprechend, funktioniere aber eben doch nur im Tierversuch. In anderen Fällen ist die Versuchsgruppe zu klein, oder man müsse so viel Obst und Gemüse »wie ein Elefant« zu sich nehmen, um einen messbaren Effekt zu erzielen. Damit relativiert der Autor so einige vermeintliche Revolutionen.

Brendborg schreibt allerdings nicht bloß von Forschung, die künftig klappen könnte. Er erklärt, wie man bereits jetzt von der Wissenschaft profitieren kann. So haben Fasten, Hungern, Sport oder Blutspenden nur in bestimmten Situationen den erstrebenswerten Effekt. Für Spaziergänge gibt es beispielsweise eine optimale Zeit, zudem wirkt Low Carb nicht bei jedem. Dabei führt er immer an, was wissenschaftlich erwiesen ist, was eher zu »Hokuspokus« zählt und warum manche so gerne an Schokoladenstudien glauben wollen. Er gibt den Lesenden, wie im Vorwort versprochen, »die besten Ratschläge für ein langes und gesundes Leben an die Hand. Und eine gute Portion Skepsis.«

Das Buch ist nicht nur faktenreich und informativ, sondern auch erfrischend amüsant geschrieben. Brendborg nimmt die Leserinnen und Leser genau an den fachlichen Stellen mit, an denen sie vielleicht sonst aufgegeben hätten. Bevor es also zu kompliziert wird mit seneszenten Zellen, nennt er sie schnell Zombiezellen. Und beschreibt, wie sie im Gewebe hängen bleiben und mit zahlreichen schädlichen Zellen um sich spucken. Oder er übersetzt einen Stoff namens Fisetin aus dem Dänischen mit »Furzetin« und merkt an, dass ein Anti-Aging-Mittel mit diesem Namen wohl nicht so gut ankäme.

Es ist ein grandioses und lehrreiches Buch, das viel Spaß beim Lesen macht und bei dem der ein oder andere auch mal laut auflachen wird. Ebenso verdienen die Arbeit des Übersetzers Justus Carl und die Förderung des Deutschen Übersetzerfonds ein Lob. Das Buch ist wohltuend lesbar und authentisch aus dem Dänischen übersetzt.

Zum Schluss schreibt Brendborg: »Alle werden alt, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Nationalität, ihrem Geschlecht, ihrem Einkommensniveau oder ihrer Bildung. Wir sitzen alle im selben Boot …« Der Wunsch nach einem langen Leben ist zutiefst menschlich und nicht mit Kriegszeiten vereinbar. Frieden ist somit das allerbeste Mittel für ein langes und auch glücklicheres Leben – auf der ganzen Welt und für alle Menschen.

Kennen Sie schon …

Spektrum Gesundheit – Beweg dich gesund - Wie Sitzen schadet und man Schmerzen vorbeugt

Neun Stunden sitzen wir jeden Tag. Ab wann das viele Sitzen zur Gesundheitsgefahr wird und Alterungsprozesse beschleunigt und wie Sie leicht mehr Bewegung in den Alltag bringen, lesen Sie in »Spektrum Gesundheit«. Plus: Faszien als Schmerzsensoren + Osteopathie im Check + Krank durch Beipackzettel.

Spektrum - Die Woche – Europaparlament nimmt Renaturierungsgesetz an

In Straßburg wurde das weltweit erste Gesetz für eine umfassende Renaturierung geschädigter Ökosysteme verabschiedet. Was genau das für die europäische Landschaft bedeutet, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von »Spektrum – Die Woche«. Außerdem: was Cholesterin so gefährlich macht.

Spektrum - Die Woche – Welche Psychotherapie passt zu mir?

Studien zufolge erkrankt jeder fünfte bis sechste Erwachsene mindestens einmal in seinem Leben an einer Depression. Doch wie finden Betroffene eine Therapie, die zu ihnen passt? Außerdem in dieser Ausgabe: Kolumbiens kolossales Problem, der Umgang mit Polykrisen und die Übermacht der Eins.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.