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Kooperation ist machbar

Der Chemiker, Physiker und Biologe Len Fisher, nach einer internationalen Karriere derzeit als Gastwissenschaftler an der University of Bristol tätig, hat sich weltweit einen Namen mit gut verständlicher, unterhaltsamer und alltagsbezogener populärwissenschaftlicher Literatur gemacht. Ein Kapitel aus seiner "Reise zum Mittelpunkt des Frühstückseis" (rezensiert in Spektrum der Wissenschaft 6/2003, S. 102) brachte ihm 1999 sogar den Ignobel-Preis für nichtswürdige Wissenschaft in Physik ein: für die Bestimmung des optimalen Verfahrens, einen Keks in den Tee zu tunken (vergleiche Spektrum der Wissenschaft 12/2010, S. 32). Mit dem vorliegenden Band wird Fisher seinem Ruf als begnadeter Autor wieder einmal gerecht.

Die noch relativ junge Spieltheorie ist an der Schnittstelle von Mathematik, Soziologie und Psychologie verortet und nimmt auch in den Wirtschaftswissenschaften eine stetig wachsende Rolle ein. Ihr Anliegen ist es, Entscheidungssituationen zu modellieren und aus solchen "Spielen" Strategien für erfolgreiches Verhalten abzuleiten. Damit findet sie überall dort Anwendung, wo Menschen interagieren und Entscheidungen treffen.

Vor allem geht es um die Frage, unter welchen Umständen die Spieler miteinander kooperieren – oder es eben nicht tun, weil sie darin einen individuellen Vorteil für sich sehen. Besonders spannend wird diese Analyse, wenn die Spieler durch Kooperation zwar sowohl den Gesamtnutzen maximieren als auch einen hohen eigenen Nutzen einfahren könnten, sich dagegen entscheiden, weil das bei isolierter Betrachtung jedes denkbaren Einzelfalls für sie persönlich vorteilhafter ist, und am Ende weitaus schlechter dastehen als bei gegenseitiger Kooperation. Ein klassisches Beispiel hierfür ist das berühmte Gefangenendilemma (Spektrum der Wissenschaft 2/1998, S. 8).

In den ersten Kapiteln gibt Fisher eine kurze, aber umfassende Einführung in die Spieltheorie. Hauptsächlich geht es ihm jedoch darum, aufzuzeigen, dass diese Theorie helfen kann, die von ihm identifizierten "sieben sozialen Dilemmas" zu lösen. Das sind neben dem Gefangenendilemma unter anderem die übermäßige Ausnutzung von öffentlichen Gütern ("tragedy of the commons"), Trittbrettfahrerverhalten oder der Kampf der Geschlechter": Mann und Frau würden am liebsten gemeinsam etwas unternehmen, können sich jedoch nicht auf einen Vorschlag einigen, sind am Ende getrennt unterwegs und daher unzufrieden. All diesen Dilemmata ist gemein, dass die Beteiligten, ob aus Eigennutz oder aus Misstrauen dem anderen gegenüber, nicht kooperieren, obwohl das sowohl die Gesamtauszahlung als auch den eigenen individuellen Nutzen steigern würde – ein grundsätzliches Problem, das in der Spieltheorie seit ihrem Bestehen kontrovers diskutiert wird.

Ausführlich beschreibt Fisher deshalb, welche Bedingungen einer Kooperation förderlich sind: die Möglichkeit, erneut aufeinanderzutreffen (direkte Reziprozität), die Sorge um das eigene Ansehen (indirekte Reziprozität), die Androhung von Strafe, besonders durch die soziale Gruppe (Netzwerkreziprozität), eine Kombination aus goldener Regel und Vergeltungsmaßnahmen, falls der andere Spieler den Kooperationspfad verlässt sowie räumliche und menschliche Nähe der Spieler.

Bekannte Strategien, die das Prinzip der Vergeltung realisieren, sind "Tit for Tat" ("Wie du mir, so ich dir") und deren Verfeinerung "win-stay/loseshift": Hast du gewonnen, bleibe bei deinem Verhalten; hast du verloren, wechsele zum entgegengesetzten.

All diese Umstände erhöhen das Vertrauen darauf, dass sich auch der Partner an die implizite Vereinbarung zur Kooperation halten wird – nach Fisher die wesentliche Voraussetzung dafür, dass Kooperation überhaupt angeboten wird. Der Autor nimmt eine sehr optimistische Grundhaltung ein: Grundsätzlich seien die sieben Dilemmata immer lösbar. Man müsse nur die Bedingungen des Spiels so gestalten, dass mindestens einer der vertrauensfördernden Mechanismen zur Anwendung kommt und eine Abkehr von der Kooperation unattraktiv erscheinen lässt. So kann der Spieler sich selbst glaubhaft zur Kooperation verpflichten, wofür Fisher mehrere Möglichkeiten aufzeigt: Beide Spieler beziehen eine dritte Person ein, etwa als Schlichter oder Wächter über eine "Kooperationskaution", oder sie stellen eine der genannten Formen von Reziprozität her.

Typischerweise besteht ein Spiel darin, dass alle Beteiligten ihre Entscheidungen für sich treffen, dann alle anderen damit überraschen, aber eben auch selbst von den Entscheidungen der anderen überrascht werden. Das titelgebende Spiel "Schere, Stein, Papier" ist dafür ein einleuchtendes Beispiel. Nun liefert die Quantenkryptografie ein Verfahren, mit dem jeder Spieler seine Absichten vorab und unwiderruflich zur Kenntnis geben kann, aber so, dass andere Spieler ihn dadurch nicht aufs Kreuz legen können. Eine solche Absichtserklärung wäre also nicht "Ich werde unter allen Umständen kooperieren" – was zum Ausnutzen einlädt –, sondern "Ich werde kooperieren, wenn alle anderen das auch tun".

Alle Absichten zusammen werden mit Hilfe verschränkter Qubits ("Quanten- Bits") an sämtliche Spieler derart übermittelt, dass alle sich darauf verlassen können, aber niemand die Absichten eines einzelnen Mitspielers erfährt. Diese quantenmechanische "Pseudo- Telepathie" entzieht dem eigensüchtigen Verhalten die theoretische Grundlage und hat in Laborversuchen tatsächlich zu mehr Kooperation geführt. Noch ist sie nicht im großen Maßstab einsetzbar, eröffnet aber viel versprechende Möglichkeiten für die Zukunft.

Nach diesem Ausblick fasst Fisher schließlich zehn alltagstaugliche Methoden zur Lösung der sieben Dilemmata kurz und prägnant zusammen.

Insgesamt ist das Buch gut lesbar, auch dank der zahlreichen amüsanten Beispiele, die oft aus dem Leben des Autors stammen. Stellenweise fällt unangenehm auf, dass sich Wortwahl und Satzstruktur in der Übersetzung sehr ans englische Original anlehnen, was den Lesefluss jedoch nicht gravierend stört. Fisher kommt fast ohne Fachwörter aus; die wenigen Ausnahmen führt er vorher gut verständlich ein. Er verzichtet auch auf Formeln. Die für die Spieltheorie typischen Auszahlungsmatrizen leuchten mit ihren Smiley- Kombinationen an Stelle der sonst üblichen willkürlichen Zahlenbeispiele auch Fachfremden auf den ersten Blick ein. Sehr hilfreich ist der umfangreiche Anmerkungsapparat mit zusätzlichen Erklärungen, Hintergrundinformationen und Literaturhinweisen.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 2/2011

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