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Spurensuche im Indianerland. Exkursionen in die Neue Welt

Die frühen Einwanderer in die Neue Welt kamen über Ostasien und den extremen Nordosten Sibiriens nach Alaska. Sie machten sich in kleinen Horden schweifend die neue Umwelt zu Eigen und verbreiteten sich dabei schnell über den Doppelkontinent bis nach Feuerland. Dabei rotteten sie durch Jagd die gesamte Großtierfauna aus ("Blitzkrieg").Nach neueren Funden früher Menschen aus Südamerika muss man von verschiedenen Einwanderungen ausgehen, die sich über den Zeitraum von 40000 bis 10000 Jahren vor heute erstreckten und durch Zeiten getrennt waren, in denen durch raues Klima die Verbindung zu den Herkunftsgebieten abriss; die heutigen Eskimo sind die Nachfahren der spätesten Einwanderergruppe.Ein schlüssiges Gesamtbild dieser Geschichte ist nicht nur aus der Grabungsarchäologie zu gewinnen, sondern muss genetische Untersuchungen ausgewählter Populationen in Asien und Amerika, die linguistische Erforschung der Vielfalt der amerikanischen Eingeborenen-Sprachen sowie geoklimatische Rekonstruktionen mit einbeziehen. Die Autoren, beide Wissenschaftsjournalisten mit biologischer Vorbildung, tragen die jüngsten Beiträge zu diesem Gesamtbild vor, bis hin zu der – weniger wichtigen – Frage, ob die eiszeitlichen Jäger Küstenschiffer waren oder, ihrer Beute folgend, trockenen Fußes auf einen neuen Kontinent gelangten, ohne es recht zu bemerken.Aus der Vielfalt der sich später entwickelnden indianischen Kulturen stellen die Autoren drei vor, die auf dem Territorium der heutigen USA angesiedelt waren. Das Kulturareal der Prärien und Plains mit seinen berittenen und federhaubengeschmückten Kriegern hat das Bild des Indianers in Deutschland am nachhaltigsten geprägt. Es war aber das späteste und flüchtigste, denn es hat in seiner Eigenart nur von etwa 1770 bis 1890 bestanden. Seine Entstehung verdankt es dem Zusammenspiel des von Europäern eingeführten und bald wieder ausgewilderten Pferdes mit den weiten Grassteppen Nordamerikas und den dort Bisons jagenden Indianern. Dieses Zusammenspiel von Mensch und Umwelt wird klar und treffend dargestellt. Und das ist eine erfreuliche Vertiefung der sonst oft hintergrundslosen und damit erklärungsarmen Populärdarstellungen über die kriegerischen berittenen Indianer.Aus dem Osten nehmen sich die Autoren die vergangene Kultur der "Moundbuilder" vor, so genannt nach den monumentalen Erdwerken (mounds), die diese in den Flussniederungen des Ohio und Mississippi aufgeschüttet haben. Die Darstellung verflacht hier zu einem Erlebnisbericht und historischen Anekdoten aus der Forschung, ähnlich wie schon im einleitenden Kapitel über die europäische Landnahme. Doch entdeckt der aufmerksame Leser des entsprechenden Kapitels einen interessanten Aspekt, nämlich wie man durch Naturbeobachtung den Umgang längst untergegangener Völker mit ihren natürlichen Ressourcen erschließen kann, ohne selbst archäologisch zu arbeiten.Dem nordamerikanischen Südwesten, drittes Regionalthema des Buches, haben Archäologen seit jeher die größte Aufmerksamkeit gewidmet, ist das doch die einzige Region Nordamerikas, in der stehende Ruinen von Wohnsiedlungen ins Auge stechen. Anhand des Chaco Canyon mit seiner rätselhaften Großraumplanung und der Mesa Verde mit den intakt verlassenen burgenähnlichen Wohnsiedlungen in Felswänden beschreiben Stoll und Vaas die bewegte Kulturgeschichte dieser Halbwüste, die noch zahlreiche Rätsel aufgibt. Es ist das sachlich ergiebigste Kapitel des Buches.Die Autoren verbinden die Regionalthemen mit kurzen Reisehinweisen und mit Internetadressen und Telefonnummern einschlägiger Institutionen. Ob Leser des Buches, das für einen Reiseführer zu wenig bebildert und kaum mit Karten ausgestattet ist, diese Nebeninformationen nutzen werden, mag man bezweifeln.Die Frage nach dem astronomischen Wissen der Indianer führt den Leser auf ein anderes wichtiges Forschungsthema hin. Doch ist die Sicht der Autoren hier etwas eingeengt, indem sie Baureste, Steinritzungen und Ähnliches astronomisch deuten, ohne konkurrierende Deutungen ernsthaft in Betracht zu ziehen. Runde Steinkreise der nordamerikanischen Prärien kann man ganz einfach und mit ethnographischen Analogien operierend als Reste vorübergehender Kreisrituale anlässlich von Stammesfesten deuten. Und die Scharrbilder von Nazca werden von kompetenten Archäologen ebenfalls mit besseren Argumenten als den astronomischen als Wasserritualbauten interpretiert. Indem sich die Autoren bei der Suche nach astronomischem Wissen alter Kulturen auf die Deutung ortsfester materieller Hinterlassenschaften beschränken, enthalten sie dem Leser die großen mathematischen und astronomischen Leistungen vor, die Maya und Mixteken in Bild- und Schrifttexten niedergelegt haben. So handeln sie das an sich ergiebige und bedeutende Thema "astronomisches Wissen der Indianer" ungeschickt und wenig überzeugend ab.Das Buch ist gut recherchiert und angemessen, wenn auch etwas unübersichtlich mit Literaturhinweisen versehen. Einige wenige terminologische Entgleisungen, wie "autark" anstatt "autonom", die Gleichsetzung von "Nomaden" mit "Jägern und Sammlern" und die weder geografisch noch kulturhistorisch zutreffende Bestimmung von "Mittelamerika", wo es "Mesoamerika" hätte heißen müssen, werden nur dem Spezialisten auffallen.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 06/01

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