Direkt zum Inhalt

Lücke geschlossen

Die kosmische Hintergrundstrahlung ist das Älteste, was Menschen beobachten können. Vor 13,7 Milliarden Jahren, rund 380 000 Jahre nach dem Urknall, machte sich diese Strahlung in einem Universum auf den Weg, das noch keine Sterne und Galaxien kannte. Es gab nur ein etwa 3000 Grad heißes Gas, das im Wesentlichen aus 75 Prozent Wasserstoff und 25 Prozent Helium bestand und das Wärmestrahlung aussandte. Diese Strahlung überlebte bis in unseren heutigen, lokalen Kosmos und erreicht die Erde aus allen Himmelsrichtungen.

Doch die Hintergrundstrahlung hat sich bei ihrem Weg durch den sich entwickelnden Kosmos verändert: Zum einen wurden die Hintergrundphotonen an der mittlerweile geklumpten Materie gestreut und durch Linseneffekte verändert. Durch die Expansion des Universums wurde zum andern diese Urstrahlung rotverschoben und erscheint nun als Wärmestrahler bei einer Temperatur von 2,72 Kelvin, also nur knapp über dem absoluten Nullpunkt. Das Intensitätsmaximum entwickelt die Strahlungsverteilung im Bereich der Mikrowellen – daher der Name kosmischer Mikrowellenhintergrund (englisch: Cosmic Microwave Background, CMB).

Im Jahr 1965 fingen die US-Radioastronomen Arno Penzias und Robert Wilson zufällig dieses Signal mit einer hausgroßen Hornantenne auf. Zunächst war gar nicht klar, was sie da entdeckt hatten, doch die Theoretiker, allen voraus der Russe George Gamow, hatten bereits dieses Relikt des heißen Urknalls vorhergesagt. Nun war es gefunden! Im Jahr 1978 wurden die Entdecker mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.

Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre startete der NASA-Satellit COBE (Cosmic Background Explorer), der den gesamten Himmel im Licht der Hintergrundstrahlung kartierte. Genauer gesagt wurde die Strahlungstemperatur an verschiedenen Punkten des Himmels gemessen. Zieht man sämtliche Störeffekte ab, so das Leuchten des galaktischen und intergalaktischen Staubs, einige Vordergrundquellen und die Bewegung der Milchstraße relativ zum Strahlungshintergrund, dann bleibt eine Temperaturverteilung, die dennoch winzige Schwankungen von 10–5 Kelvin aufweist. Diese so genannten Anisotropien rühren von Dichteschwankungen in dem Urgas her, das die Strahlung etwa 380 000 Jahre nach dem Urknall aussandte. Das COBE-Team hatte feinste Spuren vom Saatgut der späteren Galaxien aufgespürt!

Für diese experimentelle Meisterleistung gab es abermals einen Nobelpreis für Physik, nämlich im Jahr 2006, für die Leiter des COBE-Teams John Mather und George Smoot. Mit dem im Mai 2009 gestarteten ESA-Satelliten Planck, der die Hintergrundstrahlung mit nie dagewesener Präzision vermessen wird, bekommen die Buchinhalte einen sehr aktuellen Bezug.

Nicht nur die Experimentatoren sind bei der Untersuchung der kosmischen Hintergrundstrahlung gefragt, sondern auch die Theoretiker. Die komplexen Eigenschaften des CMB-Strahlungsfelds können mit einer Reihe anspruchsvoller Methoden berechnet werden. Ruth Durrer ist Professorin für Theoretische Physik an der Universität Genf in der Schweiz und Expertin für die CMB-Theorie und für Braneworld-Modelle in der Kosmologie. Ihr ist es mit dem vorliegenden englischsprachigen Lehrbuch "The Cosmic Microwave Background" sehr gut gelungen, eine ganze Reihe theoretischer Grundlagen und Methoden für Fortgeschrittene zusammenzutragen. Dieses Buch ist ein umfassendes Werk zur Theorie der kosmischen Hintergrundstrahlung, das sich an Studenten im Hauptstudium und Forscher richtet. Fortgeschrittene Kenntnisse des Lesers in der relativistischen Kosmologie, Thermodynamik, Quantenstatistik und im Strahlungstransport sind unverzichtbar. Auf experimentelle Aspekte wird vollends verzichtet. Es handelt sich um ein Lehrbuch mit einem Verhältnis von Text zu Formeln von etwa 60 zu 40 Prozent. Abbildungen sind spärlich vorhanden und fast ausnahmslos Diagramme. Damit ist klar, dass es sich um Speziallektüre handelt.

Das 400 Seiten starke Buch ist in folgende Kapitel gegliedert: Homogenes und isotropes Universum, Störungstheorie, Anfangsbedingungen, CMB-Anisotropien, CMB-Polarisation und die Gesamtdrehimpuls- Methode, Abschätzung kosmologischer Parameter, Linseneffekte und CMB, Das CMB-Spektrum. Außerdem gibt es mit rund 70 Seiten einen sehr umfangreichen Anhang, der vor allem mathematische Details vertieft. Stichwortregister und Literaturverzeichnis runden das Gesamtpaket ab.

Ruth Durrer findet in den Textteilen eine klare und verständliche Sprache, um die Formelinhalte zu erklären. Besonders gut hat mir gefallen, dass sie auch ihrem ästhetisch-philosophischen Empfinden an einigen wesentlichen Stellen Ausdruck verleiht.

Wichtige Aspekte, die das Buch abdeckt, sollen hier stichpunktartig notiert werden: primordiale Nukleosynthese, Inflation, Reheating, lineare Störungstheorie in einem Friedmann-Lemaître-Universum, CMB-Leistungsspektrum, Spektralindex, skalare, vektorielle und tensorielle Störungen, Liouville- und Boltzmann- Gleichung, Silk-Dämpfung, Eund B-Polarisation, akustische Peaks, Sachs-Wolfe-Effekt, CMB-Comptonisierung sowie Sunjaew-Zel’dowitsch-Effekt.

Dem Leser wird auf wissenschaftlichem Niveau klar, wie aus der Hintergrundstrahlung wichtige kosmologische Parameter bestimmt werden, allen voran die Anteile von gewöhnlicher Materie, Dunkler Materie und Dunkler Energie im Kosmos. Damit deckt das Werk in der Tat alle wesentlichen Aspekte der theoretischen CMB-Physik ab. Nützlich ist auch, dass an vielen Stellen auf Sekundärliteratur beziehungsweise Publikationen verwiesen wird, um Spezialthemen weiter zu vertiefen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Ruth Durrers Werk ein theoretisches Lehrbuch ist, dass einige Voraussetzungen dem Leser abverlangt; der angehende Experte wird allerdings erfreut sein. Es ist ein Buch, auf das viele gewartet haben dürften.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

  • Quellen
Sterne und Weltraum 2/2010

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.