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400 Jahre fern sehen

Schon 1608 hatten Optiker in den Niederlanden die ersten funktionsfähigen Fernrohre gebaut. Das älteste bekannte Dokument dazu ist der Patentantrag des deutschstämmigen Jan Lipperhey für sein "Instrument, um in die Ferne zu sehen".

Zunächst waren die Fern-seh-Geräte primär für die militärische Verwendung gedacht; die Niederlande befanden sich schon seit Jahrzehnten im Krieg mit Spanien. Als jedoch Galileo Galilei in Padua von den Instrumenten erfuhr, muss er sogleich ihre Bedeutung für die Himmelsbeobachtung erkannt haben. Er optimierte die Optik für seine Zwecke und richtete 1609 ein Fernrohr zunächst auf den Mond, wenig später auf die Planeten und erblickte dabei nie zuvor Gesehenes: Strukturen auf dem Mond, Phasen der Venus, vier Monde um Jupiter und die Henkel des Saturns, die sich später als Ringsystem herausstellten.

Die UNESCO nahm dies zum Anlass, 2009 zum Jahr der Astronomie zu deklarieren (www.astronomie2009.de). Die Internationale Astronomische Union (IAU) wählte den vorliegenden Band als offizielle Publikation aus, ebenso wie die darin enthaltene DVD, deren Inhalt dem des Buchs weitestgehend folgt. Sieben Kapitel beschreiben die Erfindung des Teleskops, seine Perfektionierung bis an die Grenzen des – zur jeweiligen Zeit – technisch Machbaren, den Sprung ins digitale Zeitalter, die Erweiterung auf andere Frequenzen des elektromagnetischen Spektrums sowie Bau und Einsatz von Weltraumteleskopen und die Pläne für die Giganten der kommenden Jahrzehnte.

Buch und DVD richten sich an den interessierten Laien. Sie legen weder Wert auf Vollständigkeit, noch sind sie als Nachschlagewerke oder gar als Lehrmittel gedacht. Vielmehr beweist sich der bekannte niederländische Astronomiejournalist Govert Schilling einmal mehr als versierter Geschichtenerzähler. Großformatige Bilder begleiten die einzelnen Episoden, die DVD glänzt mit fantastischen Zeitrafferaufnahmen. Im Buch befassen sich kleine Infokästen mit speziellen Fassetten des Themas.

Insgesamt wird dem halbwegs kundigen Leser auffallen, dass an mehreren Stellen wichtige Beiträge deutscher Forscher und Instrumentenbauer nicht gewürdigt werden, von Johannes Kepler (1571 – 1630) über Joseph von Fraunhofer (1787 – 1826) bis hin zu Bernhard Schmidt (1879 – 1935), dessen Name nur bei der Nennung einzelner Teleskope im Buch auftaucht. Die Übersetzung hätte dringend der redaktionellen Bearbeitung bedurft. An zahlreichen Stellen hält der Text zwanghaft an amerikanischen Floskeln des Originals fest; neben einigen "false friends" tauchen manchmal Begriffe oder Eigennamen auf, bei denen die falschen Wortbestandteile übersetzt oder fälschlich im Original belassen wurden; in zahlreichen Passagen wird der ursprüngliche Sinn verzerrt oder zumindest missverständlich wiedergegeben. In diesem Punkt hinterlässt die etwa einstündige DVD einen besseren Eindruck. Sie stammt von demselben Team, das bereits 2005 mit einer Produktion zum 15-jährigen Dienstjubiläum des Weltraumteleskops Hubble eine hervorragende Arbeit abgeliefert hat.

Präsentator ist ein Astronom mit dem Spitznamen "Doctor J", der dem Publikum bereits als Moderator der beiden Podcast- Reihen über das Hubble-Teleskop (wo übrigens auch die Kapitel aus der genannten Jubiläums- DVD zweitverwertet wurden) und von der europäischen Südsternwarte ESO bekannt ist. Es handelt sich um Joe Liske vom ESO Science Office für das E-ELT, das geplante europäische Riesenteleskop. In den Studiosequenzen spricht er englisch, während der Erzähler, der auch die weiteren Bilder und Filme erläutert, ihn simultan übersetzt.

Eine rein deutsche Fassung besäße sicher einen höheren Genussfaktor – und wäre prinzipiell möglich gewesen, denn Joe heißt eigentlich Jochen und ist gebürtiger Deutscher. Jedenfalls macht er seine Sache hervorragend: Mimik, Gestik und Intonation halten sich in sehr angenehmen Grenzen und wirken nicht so übertrieben und gekünstelt wie bei manchem Profimoderator.

Letztlich ist es das überwältigende Bildmaterial, das die DVD zu einem Erlebnis macht. Die schon erwähnten Zeitrafferaufnahmen, aufwändige Animationen und faszinierende Bilder von Teleskopen an den besten Standorten der Erde und im Weltraum ziehen den Betrachter in ihren Bann. Hierbei stehen das Wann, das Wo und das Wie im Vordergrund, die Erklärungen bleiben auf Einsteigerniveau. Auf die zu Grunde liegende Physik wird weitestgehend verzichtet, auch der eigentlichen Astronomie und Astrophysik bleibt eher die Rolle als Bildgeber vorbehalten. Die Natur der einzelnen Objekte und die bei ihnen ablaufenden Prozesse werden nur flüchtig angerissen, ihre Vielzahl wird für den Leser oder Zuschauer kaum überschaubar.

Interessierte Laien oder gar Amateurastronomen, die sich neue Erkenntnisse oder ein Nachschlagewerk erhoffen, werden vom Informationsgehalt des Werks enttäuscht sein, aber diesen Anspruch erhebt es auch nicht. Vielmehr soll die breite Öffentlichkeit einen Einblick in die Faszination der Astronomie als Forschungszweig erhalten, wie – ansatzweise – auch als Hobby. Dieses Ziel wird sicher erreicht, nicht zuletzt durch die DVD, die in den meisten Belangen den Vergleich mit aufwändig produzierten BBC-Dokus nicht zu scheuen braucht.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 5/2009

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