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Die Erklärung der Welt mit dem gewissen Extra

"Kaluza-Klein-Teilchen … kann man mit den Hosen heutiger männlicher Teenager vergleichen, die so sackartig wie möglich sein müssen, ohne hinunterzurutschen." Wer schreibt so interessant und flapsig zugleich? Und wieso sollen Teilchen, die von theoretischen Physikern postuliert wurden, etwas mit der Teenie-Mode zu tun haben?

Wer es wissen will, dem sei Lisa Randalls Buch "Verborgene Universen" empfohlen. Der Titel klingt zwar genauso wie die der unzähligen Bücher, welche die Geheimnisse des Kosmos, der Zeit oder der Relativitätstheorie zu entschlüsseln versprechen und das Versprechen dann nicht einhalten. Aber weit gefehlt: Die Harvard-Physikerin Lisa Randall präsentiert anständige Physik, und ihre Weltmodelle werden in der Wissenschaftsgemeinde ernsthaft diskutiert.

Ihre "extradimensionalen Theorien" sind für Teilchenphysiker sehr attraktiv; denn möglicherweise können sie eines Tages erklären, warum die Massen der Elementarteilchen die gemessenen Werte haben. Außerdem lässt sich die Gravitation mit in die Theorie einbinden - was schwierig ist, da die Schwerkraft sehr viel schwächer ist als die drei anderen Grundkräfte des Standardmodells der Physik. Grob gesprochen kann man in extradimensionalen Theorien die Gravitation in mehr Dimensionen wirken lassen als die anderen Kräfte. Sie ist dann ungefähr gleich stark wie ihre drei Schwestern, verteilt sich aber auf mehr Dimensionen und sieht deswegen in unserem dreidimensionalen Teilraum sehr schwach aus.

Während man bislang davon ausging, dass zusätzliche Raumdimensionen sehr klein und gewissermaßen zusammengerollt sein müssten, konnten Randalls Arbeiten das Gegenteil beweisen. Extradimensionen könnten groß sein.

Besonders betont die Autorin, dass ihre Theorien empirisch überprüfbar sind, wie es sich für eine wissenschaftliche Theorie gehört. Und im Gegensatz zu bisherigen Stringtheorien, deren Verifizierung utopisch hohe Energien erfordern würde, ist diese Überprüfbarkeit nicht nur theoretischer Natur. Wenn die Idee der großen Extradimensionen korrekt ist, müsste der bald in Genf in Betrieb gehende Large Hadron Collider (LHC) Anzeichen dafür finden. Aus diesem Grund werden Randalls Ideen heiß gehandelt. Die Reise in den extradimensionalen Raum beginnt – wie so häufig bei populärwissenschaftlichen Büchern – mit einer Einführung in Relativitätstheorie und Quantenmechanik. Diese Kapitel sind zwar frei von Fehlern, aber bestimmt nicht die beste Einführung in die Physik des frühen 20. Jahrhunderts.

Die Erklärung "genau wie ein Zentimeter unterschiedliche Entfernungen repräsentieren kann" muss man sich zurechtinterpretieren in die Aussage, dass Maßeinheiten gesetzte Konventionen sind. Ähnlich nutzlos bleibt ein Vergleich der Quantenstatistik mit der Auszählung der Stimmen in Florida bei der Wahl des US-Präsidenten, denn der eigentliche Punkt verschwindet in Polemik. Eher geschmacklos ist dagegen der Vergleich eines Schwarzen Lochs mit den Reisemöglichkeiten von Frauen in Saudi-Arabien.

Lisa Randall findet aber auch sehr anschauliche Erklärungen, etwa wenn man Massen in Elektronenvolt angibt und dabei implizit Einheiten umrechnet. Sie bemerkt richtig, dass das im Grunde nichts anderes ist als zu sagen, der Bahnhof sei zehn Minuten entfernt. Dieses Beispiel stammt aus den mittleren Kapiteln des Buchs, in denen die Autorin das Standardmodell der Teilchenphysik erläutert. Dieser Teil ist eine lesenswerte Zusammenfassung der aktuellen Forschung, mit Blickrichtung auf die folgenden Kapitel über Extradimensionen. Stringtheorien, Higgs- Teilchen und Große Vereinheitlichung werden geschickt eingeführt und als viel versprechende Konzepte vorgestellt. Am Ende dieser Kapitel ist der Leser davon überzeugt, wie wichtig der Bau des LHC ist.

Die letzten 120 Seiten des 550 Seiten starken Werks widmet Lisa Randall dann den zusätzlichen Dimensionen. Sie stellt viele Modelle vor, wirbelt mit den kurz zuvor eingeführten Begriffen und dürfte die meisten Leser hier abhängen. Vermutlich wäre es besser gewesen, einfach weniger Weltentwürfe zu diskutieren. Natürlich können nicht alle Ideen in diesen Kapiteln gleichzeitig für die echte Welt relevant sein, und wenn der LHC seine Arbeit aufnimmt, wird sich bald zeigen, ob überhaupt irgendein Vorschlag der Autorin die Welt korrekt beschreibt.

Die Übersetzung des englischen Physikerslangs ins Deutsche ist nicht besonders gut gelungen. So klingt der Ausdruck "Schwachbrane" (im Original "weak brane") wirklich merkwürdig für den niederdimensionalen Unterraum, in dem die elektroschwachen Kräfte wirken. Und was heißt "Tuhdieland"? Erst wer es ausspricht und mit englischen Ohren hört ("2-D-Land"), kommt dahinter.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 2/2007

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