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Der große Alzheimer-Schwindel

Viele Menschen fürchten sich davor, an Alzheimerdemenz zu erkranken. Doch die meisten von ihnen wissen nicht, dass die Krankheit schwer zu diagnostizieren ist und in welchem Ausmaß die Entwicklung diagnostischer und therapeutischer Verfahren von wirtschaftlichen Interessen abhängt. Ein Buch, das differenziert über diese Problematik aufklärt, könnte deshalb helfen, eine etwaige Diagnose und die empfohlene Behandlung kritisch zu hinterfragen.

Die Diplombiologin und Wissenschaftsjournalistin Cornelia Stolze schießt leider weit über das Ziel hinaus. Von Anfang an scheint für sie festzustehen, dass es Alzheimer gar nicht gibt und die Krankheit vielmehr ein Produkt einer länder­übergreifenden Verschwörung von Pharma­industrie, Wissenschaftlern und Ärzten ist.

Klingt weit hergeholt? Ist es auch. Die Autorin liefert so gut wie keinen wissenschaftlichen Beleg, der an der Existenz der Krankheit zweifeln ließe. Stattdessen zählt sie eine ganze Reihe von Scheinargumenten auf. So weist sie etwa darauf hin, dass viele Patienten eigentlich an anderen Krankheiten leiden, dass sie (zu) viele Medikamente auf einmal nehmen, dass sie schwerhörig sind oder zu wenig trinken. All dies kann tatsächlich Symptome hervorrufen, die einer Demenz ähneln, und so die Differenzialdiagnostik erschweren. Das sagt aber letztlich nichts darüber aus, ob es die Alzheimerkrankheit gibt.

Die eigentlich spannende Frage stellt Stolze denn auch gar nicht: Wie lässt sich Alzheimer besser diagnostizieren und im klinischen Alltag gegen andere Krankheiten abgrenzen? Da die Biologin fest von der Nichtexistenz der Krankheit überzeugt ist, bemüht sie sich auch nicht, die Häufigkeit etwaiger Fehldiagnosen zu erfassen. Wissenschaftler, die entsprechende Verfahren entwickeln, stellt sie noch dazu unter den Generalverdacht, aus wirtschaftlichem Eigennutz Scharlatanerie zu betreiben. Auch an anderer Stelle mangelt es der Autorin an differenzierter Betrachtung. So diskreditiert sie jegliche Zusammen­arbeit zwischen Wissenschaft und Industrie, ohne zu bedenken, dass Forscher nur auf diesem Weg aus ihren Ergebnissen Produkte entwickeln können, die den betroffenen Patienten helfen.

Tatsächlich sind Zweifel gegenüber der Verlässlichkeit klinischer Alzheimerdiagnosen und der Wirksamkeit der gängi­gen Medikamente durchaus angebracht. Nicht von der Hand zu weisen sind auch Beobachtungen wie die, dass gerade ältere Menschen zu viele Medikamente verschrieben bekommen und deren Kom­bination oft unvorhergesehene Nebenwirkungen haben kann, inklusive einer Beeinträchtigung kognitiver Fähigkeiten. Leider geht all dies in den Verschwörungstheorien und der letztlich nicht belegten These der Erfindung einer Krankheit vollkommen unter. Damit hat die Autorin eine Chance vertan: Mit ein wenig mehr Sorgfalt und Ausgewogenheit hätte sie einen bedeutsamen Beitrag zum öffentlichen Diskurs über Demenzerkrankungen leisten können.

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  • Quellen
Gehirn & Geist 4/2012

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