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Der Ball ist mehr als rund

"Die Schweden sind keine Holländer – das hat man ganz genau gesehen." (Franz Beckenbauer)

Fußballspieler brauchen im Interview oft nicht viele Worte, um über ein Spiel zu berichten oder Lebensweisheiten zu formulieren. Umso mehr und schöner lässt sich aus der Zuschauerperspektive über die wichtigste Nebensache der Welt philosophieren, wie das vergnügliche Buch "Vor dem Spiel ist nach dem Spiel" von Herausgeber Fritz Simon einmal mehr unter Beweis stellt.

Über Fußball wird viel geredet, schließlich ist jeder ein Experte, sei es aus eigener Spielpraxis oder vom Sofa aus. Über Fußball sind bereits hunderte ernsthafte, lustige, dicke, dünne, satirische, analytische oder autobiografische Bücher geschrieben worden. Der Carl Auer-Verlag und Herausgeber Fritz Simon haben in ihrem Werk "Vor dem Spiel ist nach dem Spiel" dennoch eine neue Annäherung an die Mutter aller Sportarten gefunden: und zwar eine systemisch-theoretische.

In 22 handlichen Essays verschiedener Autoren, die auch einzeln gelesen werden können, werden systemische Aspekte des Fußballs untersucht, das heißt grundlegende Konzepte, Strukturen und Funktionen des Spiels analysiert und im gesamtgesellschaftlichen Rahmen interpretiert. Nach Grundfragen der menschlichen Gesellschaft ("Warum Fußball?"), evolutionären Aspekten des Sports und seiner Deutung als komplettes Miniatur-Sozialsystem wird in den Kapiteln "Ballbesitz" und "Spiel ohne Ball" eher eng im soziologisch-kommunikationstheoretischen Strafraum gedribbelt.

Nach Beantwortung der Frage, warum Brasilien immer Weltmeister wird oder welche organisierende Funktion Affekthandlungen wie eine La-Ola-Welle haben können, folgen vier Kapitel zur Fußball-Metaphorik – der wohl gehaltvollste Teil des Buches. Den Abschluss bilden einige Sprach(Ball)spiele und ein kurzer Beitrag des berühmten, Ende der 1990er Jahre verstorbenen Systemtheoretikers Niklas Luhmann.

Auch die übrige Autorenschaft setzt sich hauptsächlich aus sozialwissenschaftlichen Systemtheoretikern zusammen, darunter Dirk Baecker, Norbert Bolz, Reinhard Sprenger und Hans Ulrich Gumbrecht. Glücklicherweise kommen auch ein paar Experten anderer Fachrichtungen zu Wort, so etwa Eckart von Hirschhausen, der aus medizinischer Sicht über die Gefahr von Kopfbällen referiert, als auch – als Interviewpartner von Thomas Hegemann – Oliver Kahn, der einer Fußball-interessierten Leserschaft wohl nicht explizit vorgestellt werden muss.

Der Ton des Buches pendelt (auch sehr abhängig vom jeweiligen Autor) zwischen kalauernder Leichtigkeit und soziologischem Fachjargon. Phasenweise sind die Texte dadurch etwas zu wissenschaftlich und sperrig geraten, meist lässt sich das Buch jedoch gut lesen und verbreitet Frohsinn. Und vielleicht passt auch gerade diese Widersprüchlichkeit der Form zum Inhalt, denn, wie Niklas Luhmann bemerkt, "symbolisiert die Rundheit des Balles genau das: Leichtigkeit und Schwere".

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