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Vogel-Crescendo

Wieso tschilpt der Spatz, flötet die Amsel und trällert der Rohrsänger? Wer sich diese Frage stellt und eine eindeutige Antwort erwartet, wird enttäuscht. Die einzig wahre Antwort gibt es nicht, obwohl die Frage schon seit vielen Jahrhunderten immer wieder die Köpfe der Menschen beschäftigt. Bei dem US-Amerikaner David Rothenberg entwickelte sich die Suche nach einer Lösung des Rätsels zu einer sympathischen Leidenschaft. Welche Erfahrungen er dabei gemacht hat, beschreibt er in seinem reizvollen Buch "Warum Vögel singen".

Auf einer Art "musikalischer Spurensuche" recherchiert der Autor, wie sich Wissenschaftler, Musiker und Dichter früher dem Phänomen Vogelgesang genähert haben und wie sie es heute tun. Der Mitbegründer der Evolutionsbiologie Charles Darwin (1809-1882) war sich zum Beispiel sicher, dass der Vogelgesang eine Funktion der sexuellen Anziehung erfüllt. Zugleich hatte er keinen Zweifel an einem angeborenen Sinn für Ästhetik bei den Weibchen. Auch zahlreiche Dichter erkannten die Schönheit der klangvollen Melodien.

Einige der daraus entstandenen Verse kann man bei David Rothenberg nachlesen. Außerdem hat er immer wieder akustische Übersetzungsversuche aufgeschrieben. Mal handelt es sich um Merkhilfen in Buchstaben à la conk-a-reeeeeeeeeee für den Rotschulterstärling. Mal sind es sogenannte Sonagramme der aufgenommenen Gesänge, die seit Ende des 19. Jahrhunderts möglich waren. Die technischen Möglichkeiten entwickelten sich beständig weiter. Dadurch stellte sich beispielsweise heraus, mit welch erstaunlicher Geschwindigkeit die Tiere in ihren Stimmkörpern Töne erzeugen und aneinander hängen können. Kritisch geht der Autor jedoch mit manchen anderen modernen Methoden um. Müsse es sein, dass Neurowissenschaftler zahlreiche Vögel töten, um in ihren kleinen Gehirnen nach gesangsabhängigen Strukturen zu suchen?

Auch Anekdoten kommen nicht zu kurz: Wenn im Wald angeblich das Telefon schrillt – könnte in Wahrheit ein Vogel dahinter stecken. Der Leser lernt nicht nur viele Vogelkundler und andere Experten kennen, sondern erfährt zugleich interessante Dinge über unsere gefiederten Begleiter. Etwa dass vielen Vogelarten ihr Gesang vererbt wurde. Zu den Arten, die ihn im Laufe ihres Lebens erlernen, gehören Singvögel, Kolibris, Papageien und Leierschwänze. Besonders komplexe Gesänge erarbeiten diese sogar individuell, oft indem sie die eigene und andere Arten oder alle möglichen Umgebungsgeräusche imitieren.

Das hat David Rothenberg auch persönlich erfahren und schildert es unter anderem in seiner Einleitung: An einem frühen Morgen trifft er sich in einer großen öffentlichen Sammlung von Käfigvögeln mit dem Künstler Pestel. Ihr Plan: Sie wollen gemeinsam mit den Vögeln eine Jam-Session machen. Für Rothenberg, ausgerüstet mit Saxophon und Klarinette, handelt es sich um eine Premiere. Als er vor einem Dickicht ein paar Takte spielt, ertönt plötzlich eine lautstarke rhythmische Erwiderung – von einem Weißhaubenhäherling. Es entwickelt sich ein ungewöhnliches Duett...

Immer wieder beschreibt der Autor derartige eigene Erlebnisse und bringt als Ich-Erzähler eine weitere Ebene in das vielschichtige Buch. Ebenso wie er als Philosoph, Musiker und Naturforscher zugleich angesehen werden kann, richten sich seine rund 300 Seiten an Vogel- wie Musikliebhaber oder einfach nur an naturwissenschaftlich interessierte Leser.

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