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Triple-C für die Zeit

In "Zyklen der Zeit" geht es um "CCC" – und nein: Damit ist nicht der bekannte Chaos Computer Club gemeint. Obwohl die neue Theorie von Roger Penrose, emeritierter Rouse-Ball-Professor der Universität Oxford, tatsächlich mit Chaos etwas zu tun hat, wie wir noch sehen werden. Um es gleich zu sagen: Das Buch ist keine Bettlektüre! So etwas sollte man vom Autor auch nicht erwarten, schließlich verdanken wir ihm bahnbrechende Erkenntnisse in der Kosmologie und der Theorie Schwarzer Löcher. Kongenialer Partner (und ständiger Konkurrent in Cambridge) war Stephen Hawking. In seinen späten Jahren hat sich Penrose dem Schreiben "populärer" Bücher zugewandt, darunter "Computerdenken", "Schatten des Geistes" oder das opulente Meisterwerk "Der Weg zur Wirklichkeit". Die große Reputation des Autors – übrigens auch als Mathematiker – lässt für "Zyklen der Zeit" einiges erwarten.

Was hat das Buch mit Chaos zu tun? Den Zusammenhang liefert die Entropie: das Maß für die Unordnung in einem abgeschlossenen System. Nach dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik kann sie niemals abnehmen. Für ein ideales Gas – definiert als ein Ensemble von freien, also nicht wechselwirkenden Punktteilchen – bedeutet das: Aus einem geordneten Anfangszustand (geringe Entropie), etwa wenn sich alle Moleküle in einem bestimmten Teilvolumen aufhalten, entwickelt sich stets ein ungeordneter Endzustand maximaler Entropie, bei dem sie den Raum statistisch ausfüllen. Dieses thermodynamische Gleichgewicht (mit konstanter Entropie) ist wesentlich wahrscheinlicher als jede Ordnung; der Vorgang ist praktisch irreversibel. Die Entropie hängt dabei von der Temperatur ab: Je heißer das Gas, desto größer ist das molekulare Chaos.

Gilt der Zweite Hauptsatz auch für das größtmögliche System, das Universum? Die Antwort muss folgende Umstände beachten: Nach dem modernen Standardmodell ist es unendlich groß (offen) und dehnt sich ewig aus; auf Grund der positiven kosmologischen Konstanten verläuft die Expansion mittlerweile sogar beschleunigt. Ist das Universum also ein abgeschlossenes System und lässt sich für seine Objekte eine Entropie definieren? Penrose bejaht beides, und der Zweite Hauptsatz sollte somit global gelten. Das bedeutet: Am Anfang gab es einen hoch geordneten und damit extrem unwahrscheinlichen Zustand, das heutige Universum ist ungeordnet, und die Entropie wächst weiter und erreicht irgendwann ein Maximum. Das mag seltsam erscheinen, denn ist nicht das genaue Gegenteil der Fall? Der Urknall war extrem heiß, was eine große Entropie impliziert, und gegenwärtig enthält das Universum wohldefinierte Objekte (Planeten, Sterne, Galaxien) in einer hierarchischen Struktur, was auf eine geringe Entropie hindeutet. Wo steckt der Fehler?

Antwort: Die Objekte im Universum verhalten sich nicht wie ein ideales Gas! Dieser Zustand existierte näherungsweise nur am Anfang. Durch Expansion kühlte die Materie schnell ab – das Relikt sehen wir heute als Kosmische Hintergrundstrahlung –, und irgendwann dominierte die Gravitation alle anderen Fundamentalkräfte. Für ein System von Massen, die sich gegenseitig anziehen, ist nun der Zustand größter Entropie nicht die Gleichverteilung sondern die Verklumpung. Zweifellos besaß der heiße Urknall eine beachtliche Entropie, sie ist aber wesentlich geringer als die Gesamtentropie aller heute existierenden, gravitativ verdichteten Objekte. Wenn schließlich nur noch Schwarze Löchern existieren, hat sie ihr Maximum erreicht.

Das bedeutet auch, dass die Zukunft im ewig expandierenden Universum leer und dunkel sein wird – eine trostlose Perspektive. Penrose sieht nun aber Licht am Ende des Tunnels! In der Kombination von Allgemeiner Relativitätstheorie und Thermodynamik steckt für ihn das Potential für eine "neue ungewöhnliche Sicht des Universums". Seine Behauptung: Die ewige Expansion kommt zu einem "Ende", und mit einem Urknall wird ein neues Universum geboren. Das impliziert eine zyklische Folge von Weltzeitaltern (Äonen).

Die Idee von Penrose ist aber nicht mit dem oszillierenden Universum vergleichbar, das Alexander Friedmann bereits 1922 vorgestellt hat. Dieses ist geschlossen und hat ein endliches Volumen. Nach dem "Big Bang" folgt eine Phase der Expansion, an die sich mit Erreichen eines maximalen "Weltradius" eine Kontraktion anschließt. Der Kollaps ist Folge einer zu großen Massendichte: Die Energie des Urknalls reicht nicht aus, um gegen die Gravitation zu bestehen (ähnlich ergeht es dem hochgeworfenen Apfel). Am Ende steht der "Big Crunch", der in einer Art Rückprall einen neuen Urknall auslöst – die Geschichte beginnt damit von vorne.

Auch Penrose beantwortet die Frage "Was war vor dem Urknall?". Sein Modell ist aber technisch ein ganz anderes Kaliber. Zwar gibt es hier ebenfalls eine periodische Raum-Zeit-Singularität, das jeweilige Vorgängeruniversum kontrahierte aber nicht. Ganz im Gegenteil: Es ist räumlich unendlich und expandiert beschleunigt. Die spannende Frage ist also: Wie kann aus einem unendlich Großen etwas unendlich Kleines werden? Antwort: mit einem mathematischen Zaubertrick namens "konforme Reskalierung". Grundlage ist eine bereits 1964 von Penrose entwickelten Methode, wobei die unendliche Raum-Zeit auf einen endlichen Bereich abgebildet wird – das gesamte Universum passt dann auf ein Blatt Papier ("Penrose-Diagramm").

Damit der Trick funktioniert, müssen für Anfang und Ende unterschiedliche Skalenfaktoren verwendet werden: Die Anfangssingularität wird auf ein endliches Maß aufgebläht und die finale Unendlichkeit auf ein endliches Maß geschrumpft. Das Überraschende: In beiden Fällen resultieren raumartige Hyperflächen, die mathematisch miteinander identifiziert werden können – Ende und Neuanfang werden quasi zusammengeklebt. Raumzeitliche Abstände spielen in der konformen Geometrie keine Rolle mehr, nur die kausale Struktur, repräsentiert durch die Lichtkegel, bleibt bestehen. Dies war die entscheidende Erkenntnis, die Penrose zu seiner neuen Theorie führte. Das Ergebnis seiner "verrückten Idee" bezeichnet er als "Conformal Cyclic Cosmology" – kurz CCC.

Penrose verkauft den mathematischen Trick als Physik, was vielen nicht schmecken dürfte. Es kommt aber noch dicker. Damit der reibungslose Übergang von einem Zyklus zum nächsten gelingt, müssen zusätzliche Annahmen gemacht werden, wie die Gültigkeit der Weyl-Krümmungshypothese oder die Existenz eines mysteriösen "Phantomfelds". In letzter Konsequenz werden sogar bewährte physikalische Prinzipien über Bord geworfen!

Penrose musste nicht nur, wie beschrieben, die räumliche Anknüpfung der Äonen in den Griff bekommen. Es besteht auch ein massives Zeitproblem, denn irgendwie muss eine Ewigkeit wieder auf Null gesetzt werden. Die Lösung: Am Ende eines Zyklus darf keine Zeit mehr vergehen. Dies gelingt nur mit masselosen Teilchen (Photonen). Sie fühlen sich in der konformen Geometrie besonders wohl, denn ihr natürlicher Ort ist der Lichtkegel. Mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, erfahren sie eine unendliche Zeitdilatation: In ihrer Eigenzeit erscheint die Ewigkeit wie ein Augenblick!

Das Modell fordert also am Ende eine "zeitlose" Welt der Photonen, das heißt alle Materie muss ihre Masse verlieren und sich in Strahlung umwandeln. Die geringsten Probleme bereiten hierbei die Schwarzen Löcher, denn nach Hawking zerstrahlen sie langsam und lösen sich nach etwa 1066 Jahren mit einem zarten "Peng" auf. Was ist aber mit den umherirrenden Elementarteilchen, die nie auf ein Schwarzes Loch getroffen sind? Soweit es sich um Protonen handelt, hält die "Grand Unified Theory" die Lösung parat: Sie zerfallen nach etwa 1033 Jahren in leichtere Teilchen. Letztlich bleibt nur das Schicksal von Elektronen, Positronen und Neutrinos zu klären. Penrose verlangt auch deren Zerstrahlung, womit ein fundamentales Prinzip verletzt wird: die Ladungserhaltung.

Für CCC müssen aber noch weitere Tabus gebrochen werden. Eines betrifft ausgerechnet den Zweiten Hauptsatz. Das alte Universum besitzt eine riesige Entropie in Form Schwarzer Löcher. Der neue Urknall verlangt aber einen extrem geringen Wert! Wohin also mit dem Überschuss? Penrose vertritt die These, dass die Entropie eines Schwarzen Lochs (und damit die gesamte "gespeicherte" Information) mit deren Auflösung vernichtet wird. Bis vor kurzem war auch Hawking dieser Meinung, er ist aber mittlerweile auf die Linie der meisten Physiker umgeschwenkt – sehr zum Ärger von Penrose. Nicht nur der Zweite Hauptsatz wird dabei geopfert. Die Hypothese des totalen Informationsverlusts verletzt auch wesentliche Grundlagen der Quantenmechanik ("Unitarität") und letztlich sogar den Energieerhaltungssatz!

Penrose zeigt zwar, dass mit CCC die Inflation obsolet wird, da Strukturen des Vorgängeruniversums auf seltsame Weise erhalten bleiben können, und er macht sogar experimentelle Vorhersagen: So soll das Phantomfeld Ursache der Dunklen Materie sein. Die "neue ungewöhnliche Sicht des Universums" fordert aber insgesamt einen hohen physikalischen Preis. Bereits die Stringtheorie hat meiner Meinung nach gezeigt, dass das mathematisch Mögliche nicht unbedingt das physikalisch Realisierte sein muss. Dabei gibt es Theorien des Universums, die sich ohne gewagte Spekulationen mit den Grundlagen der Physik befassen – insbesondere dem Wesen von Raum und Zeit. Das bemerkenswerte Buch "The End of Time" von Julian Barbour ist ein gutes Beispiel.

Für wen ist "Zyklen der Zeit" geschrieben? Penrose fordert auf seinem flotten Ritt über gekrümmte Mannigfaltigkeiten, Phasenräume und Singularitäten viel von seinen Lesern. Jedes der drei Kapitel scheint dabei seine eigene Zielgruppe zu haben – mit deutlich ansteigendem Niveau. Kann am Anfang, wenn es um Entropie geht, der interessierte Laie noch folgen, so ist danach der Physikstudent beziehungsweise Doktorand gefordert. Der mathematische Anhang ist schließlich nur etwas für Theoretiker, die auf dem Gebiet arbeiten und einschlägige Fachliteratur konsumieren. Etwas irreführend ist im Klappentext von "wenigen einfachen Formeln" die Rede, denn dahinter verbirgt sich eine komplexe Mathematik, deren Bedeutung textlich nur schwer vermittelbar ist. Die Logik des Kalküls erschließt sich wohl nur einer Minderheit. Verwirrend ist der häufige Wechsel von Argument und Gegenargument. Auch die vielen, harmlos wirkenden Diagramme haben es in sich und helfen nur bedingt weiter. Anstrengend ist auch das ständige Blättern zu den vielen Notizen im Anhang. Leser, die nicht mit der Materie vertraut sind, werden wohl irgendwann aufgeben und damit nicht zu den entscheidenden Abschnitten vordringen.

Fazit: Das Buch ist vieles zugleich: anregend, revolutionär, schwierig und problematisch – eine schwere Kost in vermeintlich leichtem Gewand. Die große Reputation des Autors ist noch keine Garantie für eine überzeugende Theorie und deren verständliche Darstellung. Letztlich muss jeder selbst abwägen, ob ihm Mathematik oder Physik wichtiger ist.

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