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Filmkritik »Verschwörung«: Atom-Apokalypse aus dem Laptop

Wenn die Apokalypse aus dem Laptop droht, kann nur eine furchtlose Hackerin die Katastrophe verhindern. Und so mutiert die aus der Millenium-Trilogie bekannte Lisbeth Salander zur rasanten Superheldin. Das sieht cool aus, überzeugt aber nicht wirklich.
Verschwörung - deutscher Trailer

Der Film »Verschwörung« des südamerikanischen Regisseurs Fede Alvarez spielt im winterlichen Stockholm und setzt die Millennium-Trilogie des schwedischen Autors Stieg Larsson fort. Die vom Leben arg gebeutelte, geniale Computerhackerin Lisbeth Salander muss diesmal mit ihre größte Aufgabe lösen: Sie soll die Welt retten.

Der amerikanische Softwareexperte Frans Balder bittet sie, von der NSA ein brandgefährliches Programm zu stehlen, das er geschrieben hat. Wer es startet, besitzt die Macht, sämtliche Atomraketen der Welt zu starten. Die Protagonistin hilft ihm gerne. Eigentlich hat sie sich darauf verlegt, im Stil einer antiken Rachegöttin reiche Männer zu strafen, die sich an Frauen vergreifen, vom Gesetz aber nicht belangt werden können. Der NSA eine Datei zu entwenden, ist da eine willkommene Abwechslung.

Aber nach dem Diebstahl sieht sich Lisbeth Salander nicht nur von den Geheimdiensten mehrerer Länder verfolgt, sondern auch von einer skrupellosen Verbrecherbande, die wiederum von einem Gespenst aus ihrer Jugend angeführt wird. In einer atemlosen Jagd mit vielen Wendungen wechselt Lisbeths Laptop mit dem Weltuntergangsprogramm gleich mehrfach den Besitzer. Erst das blutige Finale beseitigt die Bedrohung ein für alle Mal.

Die Fremde aus der Computerwelt

Man darf sich die Hauptperson wie eine weibliche Mischung aus James Bond und Robin Hood vorstellen, gewürzt mit einer guten Prise Computergenie. Und natürlich muss auch die zerrissene und traumatisierte Figur aus der Millennium-Trilogie erkennbar bleiben. Lisbeth sorgt für Gerechtigkeit in einer Gesellschaft, an der sie keinen Anteil hat. Während die Menschen vor dem skandinavischen Winter in ihre warmen und hellen Wohnungen flüchten, bleibt die Heldin in der kalten Außenwelt zurück.

Sie wohnt in einer karg möblierten stillgelegten Fabrik. Ihr Ausweichquartier hat sie in einem aufgelassenen Radarturm eingerichtet, und den Endkampf bestreitet sie in einem düsteren, lange unbewohnten Herrenhaus. Die britische Schauspielerin Claire Foy verkörpert diese komplexe Rolle erstaunlich glaubwürdig. Leider ist der Film derart eng auf die Hauptperson zugeschnitten, dass alle übrigen Figuren kaum ein eigenes Profil entwickeln können. Das gilt auch für die Antagonistin, wodurch dem Film einiges an psychologischer Tiefe verloren geht.

Der zentrale Zankapfel des Films ist ein Programm, das dem Besitzer die Aktivierungscodes aller Atomwaffen der Welt in die Hand gibt. Es kann, so erklärt sein Schöpfer gleich zu Anfang, nicht kopiert oder gelöscht, sondern nur verlagert werden. Wer immer es besitzt, könnte die Welt erpressen – oder vernichten. Dieses Stück Software ist damit die moderne Entsprechung des Einen Ringes der Macht. Aber – und das ist die gute Nachricht – beide Artefakte haben mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Keine Atommacht käme auf die abwegige Idee, ihre Nuklearwaffen über das offene Internet zu aktivieren. Und alle haben rigorose Sicherheitskontrollen eingerichtet.

Ein Programm, sie zu knechten …

In Indien, Pakistan und Israel müssen mehrere hochrangige Personen zusammenwirken, um den Einsatz nuklearer Waffen abzusegnen. Der britische Premierminister darf zwar den Startbefehl geben, die theoretisch letzte Entscheidung liegt aber bei der Queen. In Frankreich und den USA entscheidet der Präsident weitgehend allein. Dazu muss er natürlich jederzeit erreichbar sein. Deshalb hält sich in der unmittelbaren Nähe des US-Präsidenten ein Offizier auf, der einen ausgebeulten Koffer (»Nuclear Football«) mit einem speziellen Funkgerät und den aktuellen Szenarien für Atomschläge trägt. Der Präsident führt jederzeit eine kleine Plastikkarte mit sich, den »Bisquit«. Darauf ist ein Autorisierungsocde vermerkt, der ihn im Ernstfall als Oberbefehlshaber legitimiert.

In Russland reisen Atomkoffer mit dem Präsidenten, dem Verteidigungsminister und dem Chef des Generalstabs. Ob jeder der drei den Einsatzbefehl geben darf, ist nicht sicher bekannt. Vermutlich müssen alle drei zustimmen.

Der Film nährt die Illusion, es gebe eine weltumspannende Gemeinschaft von Computernerds, deren Mitglieder sich wie Geister im dämmrigen Maschinenraum der weltweiten Computernetze bewegen. Sie haben Zugriff auf alle Überwachungskameras und können jedes moderne Auto von ihrem Handy aus öffnen und starten. Das »Internet of Things« ist ihnen untertan. Zwischen normalen Menschen fühlen sie nicht wohl, aber durch die Objektive von Laptops und Überwachungskameras sehen sie uns bei unserem Leben zu. Glücklicherweise gehören sie meist zu den Guten. Man stelle sich vor, welchen Schaden sie sonst anrichten könnten!

Ein Thriller wie jeder andere

Diese Vorstellung ist zwar romantisch, aber völlig weltfremd. Geheimdienste in aller Welt beschäftigen Tausende von Experten für Netzwerke, Betriebssysteme und intelligente Hardware aller Art. Im Normalfall brauchen sie Wochen und Monate, um in ein abgeschirmtes Netzwerk einzudringen – wenn es ihnen überhaupt gelingt. Bisher gibt es auch keine Smartphone-App, die ihrem Besitzer binnen Sekunden den Fernzugriff auf jedes moderne Auto verschafft. Und das im Filmfinale eingesetzte Gerät, mit dem man in hoher Auflösung durch dicke Wände sieht, haben Lisbeths Hackerfreunde vermutlich aus der Gadget-Werkstatt von Q ausgeliehen.

Insgesamt funktioniert »Verschwörung« sehr gut als rasanter, solide konstruierter und streckenweise bildgewaltiger Thriller. Er behandelt archaische Motive – Rache, Inzest, Gerechtigkeit und die Versuchungen grenzenloser Macht. Die deutliche Gesellschaftskritik der ersten drei Bücher fehlt weitgehend. Die moderne Lebensweise mit ihrer Abhängigkeit von einer kaum noch verstandenen Computertechnik ist im Film nicht Thema, sondern nur Kulisse.

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