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Wahrscheinlichkeitstheorie: Warum der Schüchterne nicht immer der Mathematiker ist

Der "Satz von Bayes" aus der Wahrscheinlichkeitstheorie hilft beim kritischen Denken. Wie das anschaulich und ganz ohne Formeln geht und wie man dadurch messerscharf Vorurteile ausräumt, erklärt dieses Video.
A visual guide to Bayesian thinking

Veröffentlicht am: 16.07.2015

Laufzeit: 0:11:24

Sprache: englisch

Julia Galef ist Mitbegründerin eines "Center for Applied Rationality" im kalifornischen Berkeley. Auf ihrem YouTube-Kanal präsentiert sie Erkenntnisse aus Philosophie und Wissenschaft.

Sie gehen über einen Campus und begegnen einem schüchternen jungen Mann. Anschließend werden Sie gefragt: War dies eher ein Mathematik- oder ein Management-Student? – Vermutlich hätten Sie auf Ersteres getippt. Doch Achtung vor schnellen Schlüssen!

Das nett gewählte Beispiel stammt von Julia Galef. Sie ist Mitglied der "New York City Skeptics", Mitbegründerin eines "Center for Applied Rationality" (Zentrum für angewandte Rationalität) im kalifornischen Berkeley und betreibt einen YouTube-Kanal, in dem sich alles um kritisches Denken dreht. In diesem Video erklärt sie uns mit vielen Zeichnungen und ganz ohne Formeln, wie man Vorurteile mit Hilfe von Mathematik ausräumt.

Denn in dem Beispiel von Galef kommt es letztlich auf den Kontext an. Der Satz von Bayes, mit dem der englische Mathematiker Thomas Bayes (1701 – 1762) nachhaltig die Wahrscheinlichkeitstheorie bereichert hat, hilft bei der Klärung. Teilt man nämlich ein Quadrat in zwei Bereiche, wobei ein (kleiner) Bereich der kleinen Anzahl von Mathematik- und der andere (größere) der großen Anzahl von Management-Studenten entspricht, so entstehen zwei Rechtecke, eines schmal und eines breit.

Und man sieht rasch: Auch wenn 100 Prozent aller Mathematikstudenten schüchtern wären, so blieben sie doch ein seltener Anblick auf dem Campus. Denn selbst ein kleiner Anteil schüchterner Management-Studenten entspricht doch einer vergleichsweise großen Zahl von ihnen.

Diese Art zu argumentieren, bezeichnet man als Bayesianisches Denken. Es kommt zum Zuge, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die Elemente einer Menge mit einer bestimmten Eigenschaft (hier: die Schüchternheit) in einer bestimmten Menge (hier: der Menge der Mathematik-Studenten) groß, jedoch die Menge selbst im Gesamtkontext klein ist.

Ein weiteres typisches Beispiel ist die Diagnose einer seltenen Krankheit. Man muss in diesem Fall sehr viele Menschen testen, um einige wenige Erkrankte identifizieren zu können. Manchmal aber schlägt der Test auch falschen Alarm: "Falsch positive" Ergebnisse erklären auch Gesunde zu Kranken. Je größer die Zahl der Tests, desto häufiger geschieht dies. Dann stellt sich die Frage, wie groß die Zahl der tatsächlich Erkrankten innerhalb der Menge aller positiv Getesteten ist. In der Praxis kann das bedeuten: Selbst bei einem positiven Test (analog zur Feststellung: ist schüchtern!) ist die Wahrscheinlichkeit für eine tatsächliche Erkrankung (analog zu: ist Mathematiker!) gering.

Entscheidend ist nun aber, was Julia Galef am Ende des Videos erwähnt: dass nämlich auch das Bayesianische Argumentieren selbst einen Kontext braucht, nämlich den Kontext individueller Erfahrungen und zusätzlicher Information. Welche Kleidung trug der junge Mann? War die mathematische Fakultät in der Nähe? Welche Erfahrungen haben wir mit beiden Menschentypen schon gemacht?

Denn aus solchen Kontextinformationen speist sich unser Bauchgefühl. Wir gelangen erst dann zu einem realistischen Urteil, wenn wir die Flächen der Rechtecke auf Grundlage unserer Erfahrungen modifizieren. Intuition plus Bayes – das ist dann aber wirklich eine starke Kombination!

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