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2019-nCoV: Wie ansteckend ist das neue Coronavirus?

Wie leicht sich das Virus von Mensch zu Mensch verbreitet, bestimmt darüber, welchen Verlauf die Seuche nimmt. Doch diese Frage ist sehr schwer zu beantworten.
Wie ansteckend ist das neue Coronavirus?

Hallo und herzlich willkommen! zu »Wir Werden Alle Sterben«, dem Wissenschafts-Videocast auf Leben und Tod. Wie ansteckend ist das neue Coronavirus wirklich? Das ist die Frage, die sich im Moment alle stellen, und sie ist leider nicht so einfach zu beantworten.

Das ist aber der ganz entscheidende Punkt auch für uns hier in Deutschland. Man bekämpft ein neues Virus dadurch, dass man die Kranken möglichst schnell isoliert, ihre Kontakte ausfindig macht, beobachtet und bei den ersten Krankheitszeichen sofort in Quarantäne steckt. Auf diese Weise unterbricht man die Ansteckungskette.

Das funktioniert umso besser, je weniger ansteckend der Erreger ist. Wenn man sich nur durch häufigen, engen Kontakt infiziert, muss man meist nur die nächsten Angehörigen im Blick haben. Aber wenn so ein Infizierter nur einmal im Bus husten muss, um jemanden anzustecken, dann kann man die Methode völlig vergessen.

Die Bilder täuschen vielleicht

Im Moment könnte man angesichts der Nachrichten aus China den Eindruck bekommen, dass das neue Coronavirus extrem ansteckend ist. Es lohnt gar nicht, hier die Zahlen zu nennen, es werden fast stündlich neue Fälle gemeldet – nicht nur aus China, sondern auch aus anderen Ländern, darunter Frankreich. Man hat die Videos aus den überlasteten Krankenhäusern, und man hat ganze Millionenstädte in Quarantäne gesteckt.

Aber der Eindruck kann täuschen. Dieser rasante Anstieg der Fallzahlen spiegelt nicht das reale Wachstum der Seuche wider. Wir sind ja erst am Anfang, es gibt den Test noch nicht lange. Das heißt, im Moment suchen die Behörden Infizierte, und Menschen mit allen Arten von Atemwegsinfekten kommen in die Krankenhäuser, weil sie wissen wollen, ob sie das gefährliche Virus haben. Ein beträchtlicher Teil der Leute hat sich also möglicherweise nicht neu angesteckt, sondern wird jetzt erst gefunden. Das macht die Einschätzung der Ausbreitungsgeschwindigkeit viel schwieriger.

Zum Beispiel hat am 23. Januar eine Gruppe aus Großbritannien in einer Analyse auf der Basis der aktuellen Zahlen berechnet, dass es in nur zwei Wochen, Anfang Februar, etwa 250 000 Infizierte allein in Wuhan geben könnte. Das ist natürlich eine enorme Zahl, und wenn sie stimmt, dürfte eine große Pandemie kaum zu vermeiden sein. [Anmerkung: Die Autoren der Studie haben ihre Zahlen inzwischen nach unten korrigiert] Hinter der Berechnung stecken jedoch viele Annahmen, von denen wir einfach noch nicht wissen, ob sie tatsächlich stimmen.

Viel ist noch unbekannt

Eine entscheidende Unsicherheit ist, wann der Ausbruch startete. Wenn der Ausbruch vor den ersten bekannten Fällen ein paar Wochen unentdeckt blieb, deutet das auf eine geringere Ausbreitungsrate hin. Umgekehrt wissen wir nicht, wie viele Leute nur schwach erkrankt sind und nicht ins Krankenhaus müssen. Die sehen wir nicht, sie sind aber auch ansteckend und infizieren andere Leute. Das würde die Krankheit schwerer kontrollierbar machen.

Außerdem nimmt die britische Arbeitsgruppe an, dass sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit im Laufe der Zeit nicht ändert. Das ist jedoch ziemlich unwahrscheinlich. Wenn zum Beispiel die Ausbreitungsbedingungen am Anfang der Epidemie besonders gut waren, möglicherweise durch die vielen Reisenden vorm chinesischen Neujahrsfest, dann kann sich eine Epidemie eine Zeit lang explosionsartig ausbreiten. Das heißt aber nicht, dass sie in Zukunft mit der gleichen Rate wachsen wird. Auch das erzeugt Unsicherheit.

Dann haben wir bei SARS gesehen, dass nicht jeder Infizierte gleich ansteckend ist. Einzelne Personen waren viel ansteckender als der große Rest der Erkrankten. Sie haben wesentlich mehr Leute infiziert und damit die Seuche stärker verbreitet. Auch das verändert die Dynamik der Epidemie und macht solche berechneten Zahlen unsicher.

Ein globaler Killer?

Das Problem ist, dass man all diese Dinge im Moment noch nicht weiß. Andere Gruppen haben deswegen andere Zahlen für die Ausbreitungsgeschwindigkeit errechnet. Im Moment geht die Weltgesundheitsorganisation davon aus, dass das Coronavirus etwa halb so ansteckend ist, wie von der britischen Gruppe errechnet. Man hat einfach noch nicht genug Daten und Erfahrung mit dem Erreger, um Genaueres zu sagen.

Zurzeit kann die Epidemie in zwei Richtungen gehen. Einerseits besteht wirklich die Möglichkeit einer globalen Pandemie mit sehr vielen Infizierten und hunderttausenden Toten, andererseits kann es jedoch sein, dass die Seuche hauptsächlich China betrifft und sich in anderen Ländern auch wegen der Kontrollmaßnahmen nur begrenzt verbreitet. Mein Tipp ist nach wie vor, dass das Coronavirus international eine relativ begrenzte Epidemie bleibt.

Aber das weiß man, wie gesagt, einfach nicht. Genaueres werden wir in zwei bis drei Wochen erfahren, wenn mehr Daten über einen längeren Zeitraum vorhanden sind und sich ein Gesamtbild abzeichnet. Es ist absolut im Bereich des Möglichen, dass die Leute Recht haben, die auf eine moderne Wiederholung der Spanischen Grippe tippen, welche dann Millionen Menschenleben fordern würde.

Vielen Dank fürs Zuschauen und bis zur nächsten Folge von »Wir Werden Alle Sterben«.

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