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New York: Das Warten auf die nächste große Flut

Wird New York bis 2050 unter Wasser stehen? Diese provokante Frage stellt Brian McManus in einem aktuellen Video seines Youtube-Kanals »Real Engineering« - und weist nach, dass die Vorstellung nicht so abwegig ist, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag.
New York: Das Warten auf die nächste große Flut

Veröffentlicht am: 14.03.2020

Laufzeit: 0:12:41

Sprache: englisch

Der Klimawandel hat bereits begonnen, und keineswegs nur für Eisbären. Große Teile der Ostküste der USA leiden unter dem ansteigenden Meeresspiegel, und die Stadt New York wird vielleicht schon bald um ihre Existenz kämpfen müssen. »Big Apple«, wie die Stadt auch genannt wird, steht mit den Füßen im Atlantischen Ozean. Die Küste dort ist flach. Viele Straßenzüge liegen deshalb nur knapp über dem Meeresspiegel – und dieser steigt ständig. Die veränderten Meeresströmungen vor der Ostküste der USA werden vermutlich dafür sorgen, dass der Anstieg in Boston und New York etwa doppelt so hoch ausfällt wie im weltweiten Durchschnitt. Für New York heißt das: Selbst das mittlere Szenario sagt einen Anstieg von rund 50 bis 120 Zentimetern bis zum Jahr 2100 voraus. Im schlimmsten Fall könnte der Wasserspiegel des Atlantischen Ozeans aber auch um bis zu 180 Zentimeter nach oben klettern. Und bei steigenden Lufttemperaturen nimmt auch die Anzahl und die Stärke von Stürmen zu. Eine so genannte Jahrhundertflut, die pro Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Prozent zu erwarten wäre, würde New York dann eher alle 30 bis 50 Jahre heimsuchen.

Bis 2012 erschien den New Yorkern der Klimawandel eher als abstrakte künftige Gefahr, um die man sich beizeiten kümmern würde. Dann aber fiel der Hurrikan Sandy über die Stadt her. Er begann sein kurzes Leben als tropischer Sturm am 22.10.2012, verheerte Jamaika, Kuba, Puerto Rico und die Bahamas, zog vor der amerikanischen Ostküste entlang nach Norden und überquerte am 29.10. bei Atlantic City die Küste. In New York stand gerade eine Springflut an, und der auflandige Wind des Hurrikans peitschte zusätzliches Wasser in die Stadt. Die Flut stieg höher als je zuvor in den letzten 100 Jahren, überschwemmte alle Tunnel nach Manhattan außer einem und setzte ganze Straßenzüge unter Wasser. Mehrere U-Bahn-Tunnel liefen mit Salzwasser voll. In mehreren Stadtteilen fiel der Strom aus. In den USA laufen die meisten Stromleitungen überirdisch auf Holzpfählen, die solchem Extremwetter nicht gewachsen sind. In New York City starben durch den Hurrikan nach offizieller Zählung 43 Menschen, der materielle Verlust betrug rund 19 Milliarden US-Dollar. Während die New Yorker »Metropolitan Transportation Authority« den U-Bahn-Betrieb nach wenigen Tagen zum großen Teil wieder aufnehmen konnte, dauerte es noch bis zum Juni 2017, bis sie die stark beschädigte South Ferry Station repariert hatte.

Der Hurrikan legte auf brutale Weise die Defizite der Stadt beim Hochwasserschutz offen. Das Stadtgebiet von New York verteilt sich auf drei Inseln (Manhattan, Long Island und Staten Island), nur der Stadtteil Bronx liegt auf einer schmalen Landzunge nordöstlich von Manhattan. Lediglich der schmale Harlem River trennt die beiden Stadtteile. Manhattan liegt zwischen dem Mündungsbereich des Hudson River und dem East River, einem lang gezogenen Meeresarm zwischen Manhattan und Long Island. Dieser reichlich zerrissenen geografischen Lage verdankt New York die exorbitante Länge seiner Küste. Sie summiert sich auf rund 830 Kilometer! Für ein tief gestaffeltes Küstenschutzsystem fehlt deshalb der Platz. Zu allem Überfluss ist ein Großteil davon dicht bebaut. Und gleichzeitig muss die Stadt bis 2050 mit einem weiteren Anstieg des Meeresspiegels um 28 bis 53 Zentimeter rechnen. Die Stadt New York hat deshalb mehrere Vorschläge ausarbeiten lassen, wie sie sich in Zukunft gegen Flutkatastrophen absichern kann.

Das professionell produzierte Video des Youtube-Kanals »Real Engineering« stellt die Pläne vor und erläutert ihre jeweiligen Stärken und Schwächen. Es ist hervorragend bebildert und würde selbst in einem unserer öffentlich-rechtlichen Fernsehsender positiv auffallen. Bei »Real Engineering« ist das keine Ausnahme. Nicht umsonst hat der Kanal des irischen Luftfahrtingenieurs Brian McManus in weniger als fünf Jahren 2,35 Millionen Abonnenten eingesammelt. Seine im Abstand von rund zwei Wochen produzierten Videos befassen sich mit technischen Themen, sind im Allgemeinen sehr gut recherchiert und spannend aufbereitet. McManus spricht die Texte selbst ein und ist trotz seines markanten irischen Akzents gut zu verstehen. Sein aktuelles Video über die New Yorker Pläne zur Küstenbefestigung führt eindringlich vor Augen, dass der Klimawandel keine unbestimmte dunkle Drohung am Horizont ist, sondern bereits heute massive Schäden verursacht. Und er zeigt auch, wie schwer sich die Staaten mit der Reaktion darauf tun.

 

Trotz aller Dringlichkeit hat die Stadt New York bisher kein einziges der Projekte realisiert oder auch nur begonnen. So verschieden sie auch sein mögen: Sie alle kosten viel Geld und erfordern massive Eingriffe in bestehende Strukturen. Das hat bei einigen Betroffenen heftigen Widerstand ausgelöst. McManus fragt in seinem Video, ob die Gegner vielleicht »Nimbys« sein mögen. Der Ausdruck ist ein Akronym, das sich aus den Anfangsbuchstaben der Worte des englischen Satzes »Not in my back yard« zusammensetzt, und bezeichnet Menschen, die notwendige oder sinnvolle Projekte durchaus befürworten – solange sie nicht selbst davon betroffen sind. Diese Geisteshaltung, der Nimbyismus, ist nicht nur in den USA weit verbreitet. Inzwischen ist die Realisierung der Küstenschutzprojekte in noch weitere Ferne gerückt. Die Corona-Pandemie hat New York schlimmer heimgesucht als fast jede andere Stadt der Welt. Für anspruchsvolle und aufwändige Vorhaben wird sie auf absehbare Zeit kein Geld übrig haben. Auf die amerikanische Bundesregierung kann sie zurzeit auch nicht hoffen. Donald Trump baut lieber Grenzmauern in Texas als Flutmauern in seiner Heimatstadt New York.

Möglicherweise werden in 50 Jahren findige Geschäftsleute für abenteuerlustige Touristen eine besondere Attraktion bereithalten: einen Tauchausflug in die ehemaligen, aber jetzt dauerhaft überfluteten U-Bahn-Tunnel unter Manhattan.

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