Wir Werden Alle Sterben: Das gruselige Spiegel-Leben
Heute wird es gruselig. Aber es geht nicht um ein klassisches Halloween-Thema, sondern eines aus der biotechnischen Forschung: Eine künstliche Lebensform, die alles Leben auf der Erde vernichten kann. Im Labor hergestellte Spiegel-Bakterien haben das Potenzial, uns und alle anderen Lebewesen umzubringen, ohne dass wir etwas dagegen tun können. Das klingt zwar unangemessen apokalyptisch, aber es ist realistisch genug, dass eine Gruppe von Fachleuten ein Verbot dieser Forschung fordert.
Aber was sind Spiegelbakterien, und was macht sie so apokalyptisch? Die Geschichte hat ihren Ursprung in der Tatsache, dass eine ganze Reihe von Biomolekülen in zwei Formen auftreten, die spiegelbildlich zueinander sind. Zum Beispiel die Aminosäuren, aus denen Proteine bestehen – und damit die Proteine selbst ebenfalls –, aber auch die Bausteine von DNA, RNA, Fette, Zucker und ein Haufen anderer Stoffe. Und in Lebewesen wird nahezu immer exklusiv eine dieser beiden Formen benutzt.
Und das hat eine ganz lustige, erstmal theoretische Konsequenz: Man kann in einem Lebewesen jedes Molekül durch sein Spiegelbild ersetzen und bekommt einen Organismus, der ganz normal funktioniert, aber biologisch mit allen anderen Lebensformen komplett inkompatibel ist. Das liegt daran, dass bei Biomolekülen die Form die Funktion bestimmt. Zwei Proteine zum Beispiel tun Dinge miteinander, wenn sie mechanisch aneinander passen. Wenn man eines der Moleküle durch sein Spiegelbild ersetzt, dann passt es nicht mehr, und es kann seine Funktion nicht erfüllen. Und das, obwohl es chemisch identisch ist.
Und auch unser Immunsystem besteht zu einem ganz erheblichen Teil aus je einer Variante solcher Spiegelmoleküle – und dadurch kämen sie mit einem Spiegel-Bakterium sehr schlecht zurecht. Das Problem zeigt sich am besten bei Antikörpern: Immunzellen müssen mit ihren Enzymen die Moleküle eines Angreifers erst einmal verarbeiten, um Antikörper herzustelllen. Und das geht mit den Spiegelmolekülen nicht. Ähnliche Probleme haben viele andere Immunbestandteile. Wir wären also quasi immunschwach gegenüber so einem Bakterium, und alle anderen Lebewesen auf der Erde genauso. Und deswegen könnte uns das Spiegel-Bakterium gefahrlos angreifen – oder auch nur in unserem Körper wachsen, bis alles verstopft ist und wir tot umkippen.
Man sollte meinen, dass das auch umgekehrt gilt: Ebenso wie eine Spiegel-Mikrobe für uns nicht greifbar ist, könnte sie mit dem normalen Leben nichts anfangen. Also kann sie unsere Moleküle auch nicht verdauen und muss kläglich verhungern, statt alles Leben auf der Erde auszurotten. Der Haken dabei ist, dass das keineswegs für alle Moleküle in unserem Körper gilt. Viele Stoffe sind mit ihrem Spiegelbild identisch und funktionieren deswegen auch in einem Spiegelbakterium. Das müsste sich also nur von jenen Molekülen ernähren, die beide Arten von Leben gleichsam verwenden. Die findet es natürlich bevorzugt im Inneren von Organismen, was uns trotz der Unterschiede zur Zielscheibe für solche Strukturen machen würde. Ein Spiegelbakterium könnte uns und alles andere besiedeln – und das ohne nennenswerte Gegenwehr.
Die gute Nachricht ist, dass es solche Spiegelmikroben noch gar nicht gibt. Die Technik ist noch nicht mal ansatzweise so weit, künstliche Organismen herzustellen, spiegelverkehrt oder nicht. Prinzipiell allerdings gibt es keinen Grund, warum das nicht irgendwann gehen sollte. Und es gibt auch schon eine Reihe von Forschungsarbeiten zu Bausteinen solcher Spiegel-Mikroben.
Natürlich wollen – zumindest die meisten dieser – Forscherinnen und Forscher damit nicht alles Leben auf der Erde umbringen. Vielmehr sind Spiegel-Organismen total interessant für Forschung und Technik. Zum Beispiel könnten sie Hinweise darauf geben, warum unser irdisches Leben genau eine Drehrichtung hat, und damit eine wichtige Frage über den Ursprung des Lebens aufklären. Und dann gibt es eine ganze Reihe möglicher technischer und biomedizinischen Anwendungen. Zum Beispiel wären von ihnen produzierte Spiegel-Medikamente im Körper stabiler. Und in Bioreaktoren könnten diese Organismen auch nicht von Viren befallen werden, was ein großes Problem in der Biotechnik ist.
Deswegen müssen wir davon ausgehen, dass solche Forschung in irgendeiner Weise weiter geht und irgendwann tatsächlich im Labor ein Spiegel-Bakterium entsteht. Dann würden wir auf die harte Tour herausfinden, ob die Dinger so gefährlich sind, wie wir glauben. Eine gute Nachricht gibt es dabei allerdings: Wahrscheinlich würden solche Spiegelbakterien gar nicht das ganze Leben auf der Erde umbringen, sondern nur alle vielzelligen Organismen.
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