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Wir Werden Alle Sterben: Die Pandemie, die aus den Eiern kam

Eine mysteriöse Seuche sprang in den 1980er Jahren von Kontinent zu Kontinent. Ursache waren Salmonellen in Eiern – doch wie konnte sich der Keim so rasant verbreiten?
© Lars Fischer, Mike Zeitz
Die Pandemie, die aus den Eiern kam

Passend zu Ostern geht es heute um Eier. Genauer gesagt, eine Pandemie aus Eiern. Aber eben ganz anders als das, was wir bei Corona gesehen haben. Weltweit sind viele Menschen krank geworden, aber sie haben sich nicht gegenseitig angesteckt. Der Erreger hat sich unter Hühnern verbreitet.

Die Übeltäter waren Salmonellen, und zwar eine ganz besondere Linie dieser Bakterien: Salmonella enterica Serovar Enteritidis. Ein Serovar ist eine Variante der Bakterienart, eine Abstammungslinie mit typischen Eigenschaften.

Salmonellen gab es schon vorher in Eiern. Doch bis in die 1970er Jahre sind Menschen vor allem durch die Art Salmonella Typhimurium krank geworden. In den späten 1970er Jahren tauchte Salmonella Enteritidis fast gleichzeitig in Nordamerika, Südamerika und Europa auf. Besonders in Europa wurden immer mehr Menschen krank. In den späten 1980ern hatte sich der Keim auch in den Geflügelindustrien Afrikas und Asiens verbreitet und machte dort Menschen krank. Es dauerte bis in die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts, bis sich die Lage beruhigte.

Seine besonderen Eigenschaften machen Salmonella Enteritidis zu einem besonders heimtückischen Krankheitserreger. Zum Einem werden Hühner von ihm oft nicht sichtbar krank, man merkt unter Umständen nicht, dass sie den Keim tragen. Außerdem tragen auch Nager und Insekten die Bakterien, und all das bedingt, dass man sie schwer wieder los wird.

Der Feind im Ei

Zum Anderen aber klebt Salmonella Enteritidis nicht, wie andere Salmonellen, weit überwiegend außen an der Schale, sondern besiedelt von Anfang an auch Eiweiß und Dotter. Der neue Serotyp lebt nämlich nicht nur im Darm, sondern befällt auch die Fortpflanzungsorgane und infiziert die Eier während der Entwicklung. Salmonella Enteritidis ist schon im Ei, während das Ei noch im Huhn ist.

Das machte den Keim zu einer neuartigen Bedrohung und vor allem zu einem deutlich größeren Problem als andere Salmonellenvarianten, die nur durch Kontamination in Lebensmittel gelangen und entsprechend länger brauchen, um gefährliche Mengen zu erreichen.

Bis heute ist Salmonella Enteritidis ein großes Problem. Bei einem sehr großen Salmonellenausbruch in Europa infizierten sich in den Jahren 2015 bis 2018 insgesamt 1200 Personen in 16 Ländern. Und natürlich kamen die Salmonellen dabei aus Eiern.

Und dann war lange völlig rätselhaft, wie sich der Keim so dramatisch schnell unter Hühnern weltweit verbreiten konnte. Denn Salmonella Enteritidis tauchte an vielen Orten der Welt nahezu zeitgleich auf, etwa wie ein menschliches Atemwegsvirus, das sich über moderne Transportmittel verbreitet. Aber bei Salmonellen funktioniert das ja nicht, weil der Kram nicht wirklich oft von Mensch zu Mensch übertragen wird und Hühner nicht drei Mal im Jahr in den Urlaub fliegen.

Eine menschengemachte Pandemie

Tatsächlich ist hier etwas passiert, was wir bei diversen Seuchen der letzten Jahrzehnte, von HIV über Ebola bis Mpox, beobachten konnten: Ob eine Seuche sich stark verbreitet, hängt nicht nur von den Eigenschaften des Krankheitserregers selbst ab, sondern oft auch davon, ob wir Menschen ihm die Gelegenheit liefern.

Im Fall von Salmonella Enteritidis hatte die Gelegenheit damit zu tun, dass sich in den 1970er bis 1990er Jahren die moderne industrielle Hühnerproduktion global durchsetzte. Und da verwendet man meist ganz spezifische, genetisch optimierte Zuchtlinien. Die Hühner im Stall stammen alle in dritter oder vierter Generation von einer puren Zuchtlinie ab, die von speziellen Zuchtbetrieben aufrecht erhalten wird.

Der Handel mit genetisch optimierten Zuchtlinien | Moderne Hähnchen sind auf möglichst günstige Eigenschaften hin gezüchtet worden. Besonders profitable Hühnerrassen bewahren ihre Eigenschaften, weil die Zuchtlinien von speziellen Betrieben aufrecht erhalten werden. Die Nachkommen dieser optimierten Tiere werden dann auf den Markt gebracht. Hühner auf Eier- und Fleischfarmen stammen meist in 3. oder 4. Generation von der ursprünglichen Zuchtlinie ab. Mutmaßlich durch dieses System hat sich Salmonella Enteritidis sehr schnell weltweit verbreiten können.

Ab den 1970er Jahren hat sich außerdem das Geschäft mit den Zuchthühnern stark verändert und vor allem konzentriert. Die genetisch optimierten Hühner werden von wenigen Lieferanten in alle Welt verschickt. Und diese veränderte Struktur deckt sich zeitlich und genetisch mit den Daten zur Ausbreitung von Salmonella Enteritidis. Anscheinend war ursprünglich eine solche Zuchtlinie mit dem Erreger infiziert.

Denn die Salmonellen weltweit sind so eng miteinander verwandt, dass sie einen gemeinsamen Ursprung gehabt haben müssen. Also ganz ähnlich wie die Corona-Pandemie. Aber eben auch wieder ganz anders. Denn die Salmonellen haben sich nicht selbst weltweit verbreitet – die Bakterien sind wahrscheinlich einfach mit dem zentral produzierten Zuchtgeflügel in alle Ecken der Welt verfrachtet worden.

Den Lehren aus dieser ungewöhnlichen Pandemie verdanken wir es, dass Eier heute ein extrem sicheres Lebensmittel sind. Denn nach der großen Seuche wurden die Biosicherheits-Vorschriften verschärft, es gibt regelmäßige Kontrollen, und außerdem werden Hühner in Europa heutzutage gegen Salmonellen geimpft.

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