Sciencefiction: Unter dem Zeitreise-Mond
Wer aus der Zukunft in die Vergangenheit reist, hat einen enormen Vorteil: Er weiß schon, was geschehen wird, und kann die Zeitlinien verändern. Im Terminator-Franchise kämpfen in einer dystopischen Zukunft Menschen gegen Maschinen. Beide Seiten versuchen, die Vergangenheit zu beeinflussen, um den Gegner zu schwächen. Auch die Zeitreisende im Film »In the Shadow of the Moon« möchte einer künftigen Katastrophe den Boden entziehen. Der Weg in die Vergangenheit steht ihr aber nur bei selten auftretenden Mondkonstellationen für einen Tag offen. Und sie kann nur immer weiter in die Vergangenheit reisen. Der Rückweg ist ihr versperrt.
Der Film beginnt mit einem Blick aus einem leeren Großraumbüro in einem Hochhaus im Jahr 2024 in Philadelphia. Die Kamera schwenkt über die Schreibtische, auf die geborstenen Glasscheiben der Fenster und dann nach unten auf brennende Autos und ein teilweise zerstörtes Gebäude gegenüber. Ominöse Musik und heulende Alarmanlagen untermalen die Szene. Dann geht es zurück ins Jahr 1988. Die Polizei in Philadelphia untersucht eine Reihe von spektakulär brutalen Morden. Das immer gleiche Vorgehen lässt auf einen Serientäter schließen. Aber es scheint nichts zu geben, was die Opfer verbindet. Eine schwarze, junge Frau im Kapuzenpullover wird als Tatverdächtige identifiziert, aber sie fällt bei der Verfolgungsjagd vor eine U-Bahn, wird überfahren und stirbt. Sie trägt keine Papiere bei sich, und niemand kennt sie. Ihre Mordwaffe basiert auf einem unbekannten Mechanismus. Der Polizist Thomas Lockhart, überzeugend gespielt von Boyd Holbrook, kann den Fall nicht vergessen. Er sah die Frau sterben, aber zuvor ließ sie durchblicken, dass sie ihn sehr gut kannte. Neun Jahre später taucht die Tote wieder auf und mordet erneut. Für einen guten Zweck, wie sie Lockhart erklärt, bevor sie wieder flüchtet. Der Polizist bekommt einen Hinweis, dass die Frau vielleicht aus der Zukunft kommt. Ein dubioser Physiker erklärt ihm, dass der Mond auf den Tag genau alle neun Jahre so stehe, dass er Zeitreisen ermögliche. Lockhart findet schließlich heraus, was die Opfer verbindet. Die Idee der Zeitreise ergreift mehr und mehr Besitz von ihm. Er verliert seinen Job bei der Polizei, und auch die Verbindung zu seiner Tochter reißt fast vollständig ab. Noch zweimal wirbelt die Fremde sein Leben durcheinander, bis er endlich herausfindet, warum sie immer wieder seinen Weg kreuzt.
Der Film beginnt als knallharter Krimi im Polizeimilieu, mutiert zur Charakterstudie und gerät zum Schluss auf die Mystery-Schiene. Sehr glaubwürdig ist das nicht. Dabei ist der Regisseur Jim Mickle durchaus kein Neuling. Er hat mit Horrorfilmen angefangen und produzierte seit 2016 die schwarzhumorige Krimiserie »Hap und Leonard«. Mit Sciencefiction-Filmen hat er bisher keine Erfahrung. Er bemüht sich auch nicht, Technik und Wissenschaft glaubwürdig einzubinden. Seine Zeitmaschine gleicht einem überdimensionalen Goldfischglas mit diversen Schläuchen. Über Funktion, Entwicklung, Aufbau oder Energiequelle erfahren wir nichts. Und die Idee vom Mond als Wächter des Zeitportals entstammt eher dem Reich der Esoterik. Vermutlich haben die Drehbuchautoren Gregory Weidman und Geoff Tock dabei die so genannten Mondwenden im Sinn gehabt. Sie hängen mit der Neigung der Mondbahn gegen die Ekliptik zusammen. Wenn sich die Neigung der Mondbahn und die Neigung der Erdachse addieren, dann pendelt der Aufgangspunkt des Mondes im Lauf eines Zyklus sehr weit zwischen Norden und Süden. Im umgekehrten Fall liegen die Aufgangspunkte relativ nah zusammen. Der Wechsel zwischen diesen Extremen dauert 9,3 Jahre. Schon Naturvölker haben die Mondwenden beobachtet und möglicherweise in ihren Megalithbauten berücksichtigt. Das gehört aber in den Bereich der Astrologie, nicht der Physik. Und die Wenden liegen auch nicht auf den Tag genau neun Jahre auseinander.
Die Zeitreisende im Film will das anfangs gezeigte Attentat mit allen Mitteln verhindern. Dafür nimmt sie eine Reise ohne Wiederkehr und den eigenen Tod in Kauf. Nach und nach tötet sie die Mitglieder einer Gruppe von rechtsextremen Fanatikern, die das Attentat begehen werden. Im Voiceover, das sie am Schluss spricht, erfahren wir, dass manche Ideen begraben werden müssen, bevor sie aufkeimen. Andererseits – wenn sie das Attentat unterbindet, muss niemand in die Vergangenheit reisen, um die Bombenbauer aufzuhalten. Also explodiert die Bombe doch, was wiederum dazu führt, dass unsere Zeitreisende sich auf ihren leichengepflasterten Weg macht. Und schon landen wir in einer klassischen Zeitreiseparadoxie. Leider wird die brüchige Logik der Zeitreise aber nicht thematisiert. Und niemand hinterfragt, ob man Ideen ausrotten darf, indem man alle tötet, die damit in Berührung kommen. Vermutlich würde es sowieso nichts nutzen. Fanatische weiße Rassisten begehen seit Jahrzehnten in den USA immer wieder Anschläge. Ihre Ideologie ist zu verbreitet, als dass sie sich so einfach unterdrücken ließe.
Es gelingt dem Film nie, eine sinnvolle Aussage auszuarbeiten oder die Beziehungen zwischen den Figuren genauer auszuloten. Die ruinöse Besessenheit der Hauptperson von der Idee der Zeitreise spiegelt sich in der mörderischen Entschlossenheit der Zeitreisenden. Aber der Regisseur vertieft diesen Konflikt nicht. Wir sehen auch nie, welches persönliche Motiv die Zeitreisende antreibt. Das Voiceover am Schluss wirkt etwas unglaubwürdig. Beim Zuschauer stellt sich irgendwann der Eindruck ein, dass die Produzenten eigentlich eine Miniserie geplant hatten, die jeder Zeitebene eine Folge widmen sollte. Während sich der Film am Anfang viel Zeit nimmt, die Figuren vorzustellen und die Stimmung der achtziger Jahre wiederzugeben, komprimiert er seine Sequenzen mit zunehmender Dauer immer stärker. Themen werden kurz angerissen, dann fallen gelassen. Die Szene, in der der geheimnisvolle Physiker die brutale Mordmethode der Zeitreisenden an Schweinen erprobt, bleibt ein Fremdkörper im Film. Warum so kompliziert, wenn eine Pistole oder ein Messer auch gereicht hätte? Am Ende muss ein langes Voiceover alle fehlenden Erklärungen liefern. Es hinterlässt immer noch viele lose Enden. Hätte sich der Film auf eines seiner Themen konzentriert, wäre er ein guter Krimi oder eine interessante Studie der Besessenheit geworden. Vielleicht hätte er auch die Paradoxien der Zeitreise genauer ausloten können. Aber letztlich scheitert er an der Aufgabe, die disparaten Handlungsfäden zu einer konsistenten Geschichte zu verknüpfen. Eigentlich schade.
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