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Zugvögel: 10 rekordverdächtige Fernreisende

Ziehende Kraniche vor der Sonne

Amsel, Drossel, Fink und Star – alle Vögel sind schon da. Doch wie finden die Zugvögel ihr Ziel? Warum reisen manche interkontinental? Und wer sind die Rekordhalter? Wir stellen zehn Arten vor, die tierische Spitzenleistungen erbringen, Kontinente verbinden oder ihre Evolution vorantreiben – und die zeigen, wie prekär ihre Existenz ist.

10 Rubinkehlkolibri – der Kleinste ist der Größte |

Gemessen an ihrer Körpergröße dürften Rubinkehlkolibris (Archilochus colubris) die ausdauerndsten Fernflieger sein: Bis zu 2200 Kilometer können die maximal neun Zentimeter großen und sechs Gramm schweren Vögel nonstop zurücklegen. Dabei überqueren sie sogar den Golf von Mexiko. Das ist für die Kolibris eine besondere Leistung, da Stürme sie leicht vom Kurs abbringen können. Um ihr Winterquartier in Zentralamerika zu erreichen, legen sich die Tiere vor dem Abflug in den östlichen USA ein großes Fettdepot zu – sie verdoppeln teilweise ihr Körpergewicht und zehren diese Reserven während des Flugs auf. Die gleiche Ernährungsstrategie praktizieren übrigens viele Zugvögel: Sie nehmen im Herbst große Mengen an energiereicher Kost wie Beeren oder Samen zu sich, um die Strapazen des Flugs zu bewältigen.

9 Küstenseeschwalbe – die Rekordhalterin auf der Langstrecke |

Sie wiegt nur um die 100 Gramm – und unternimmt doch zweimal im Jahr eine gewaltige Reise: Die Küstenseeschwalbe (Sterna paradisaea) fliegt innerhalb von zwölf Monaten sage und schreibe mehr als 70 000 Kilometer weit zwischen Nord- und Südpol hin und her – ein Wanderverhalten, das im Tierreich seinesgleichen sucht. Und es ist eine deutlich längere Strecke, als man bislang vermutet hatte, denn der Weg der Küstenseeschwalben bildet eine Art S-Schleife von Afrika nach Südamerika. Die eleganten Vögel ziehen aus ihren arktischen Brut- ins antarktische Wintergebiet stets der Sonne hinterher, wie Biologen um Carsten Egevang vom Greenland Institute of Natural Resources mit Hilfe kleiner Peilsender gemessen haben. Acht Monate im Jahr haben sie fast ununterbrochen Tageslicht, nur beim Flug durch die Tropen und mittleren Breiten sehen sie auch einmal die Sterne.

8 Odinshühnchen – der Interkontinentalflieger |

Die meisten europäischen Zugvögel überwintern am Mittelmeer oder in Afrika, einige wenige zieht es auch nach Südasien. Ihre Reise verblasst allerdings fast ein wenig gegenüber der Strecke, die nordeuropäische Odinshühnchen (Phalaropus lobatus) zurücklegen: Die Watvögel überfliegen mehrere Meere, bis sie am Ziel sind – als bislang einzige bekannte Art aus Europa verbringen sie den Winter im Pazifischen Ozean. Ihre 22 000 Kilometer lange Reise von Nordschottland ins Seegebiet zwischen den Galapagosinseln und dem südamerikanischen Festland konnten Biologen um Malcolm Smith von der Royal Society for the Protection of Birds in Fetlar mit Hilfe winziger Aufzeichnungsgeräte nachvollziehen, so genannter Geolokatoren. Die Auswertung zeigte, dass die Vögel die Shetlandinseln im August verließen und innerhalb von sechs Tagen den Atlantik in Richtung Labradorsee vor der kanadischen Küste überquerten. Dann wandten sie sich nach Süden Richtung Florida, wo sie im September den Golf von Mexiko passierten und schließlich über Mittelamerika hinweg zum Pazifik flogen. Warum es sie ausgerechnet dorthin zieht, ist bislang ungeklärt.

7 Haldenwaldsänger – polyglott ans Ziel |

Verglichen mit Standvögeln, die das gesamte Jahr mehr oder weniger im gleichen Revier verbringen, müssen Zugvögel flexibler auf Gefahren reagieren: Lauern ihnen am mitteleuropäischen Brutplatz Sperber und Marder auf, drohen im afrikanischen Überwinterungsgebiet auch Würgeschlangen, verschiedene Raubkatzen oder Waldfalken. Gut hat es da, wer Fremdsprachen versteht – und so auch auf die Warnrufe lokaler Vogelarten reagieren kann. Der nordamerikanische Haldenwaldsänger (Helmitheros vermivorus) beispielsweise erkennt sowohl die alarmierenden Pfiffe von Meisenarten aus seinem Sommeraufenthalt als auch die von Tangaren aus seinem Überwinterungsgebiet. Im Versuch konnten die Meisen und Tangaren dagegen nichts damit anfangen, wenn ihnen die jeweils anderen Laute vorgespielt wurden. Sie ignorierten sie und wären im Zweifelsfall vor einer möglichen Bedrohung nicht geflüchtet. Ohnehin gelten Zugvögel als abwechslungsreichere Sänger als ihre ortstreuen Verwandten: Sie müssen in kürzerer Zeit ein Revier besetzen, eine Partnerin finden und sich mit dieser paaren. Sie stehen deshalb unter Druck, intensiver und deutlicher auf sich aufmerksam zu machen und Konkurrenten auszustechen, was letztlich durch die ausgefeilten Gesänge geschehe, so die These der Biologen.

6 Mönchsgrasmücke – Evolution im Zeitraffer |

Der Klimawandel, Zufälle und menschlicher Fütterungstrieb könnten die Bildung einer neuen Vogelart eingeläutet haben. Denn Mönchsgrasmücken (Sylvia atricapilla) spalten sich womöglich gerade in zwei Spezies auf – und schuld daran ist ein unterschiedliches Zugverhalten: Ein Teil der mitteleuropäischen Mönchsgrasmücken fliegt seit den 1960er Jahren nach Westen auf die Britischen Inseln, wo sie dank zunehmend milder Winter und Futterhäuschen gut überleben, während ein anderer Teil der Population weiter den längeren Weg nach Südwesten ans Mittelmeer antritt. Im Frühling treffen die Inselüberwinterer früher in den mitteleuropäischen Brutgebieten ein, wo sie sich entsprechend früher und ausschließlich mit weiteren Ankömmlingen aus Nordwesten verpaaren. Obwohl beide Vertreter weiterhin nebeneinander in den gleichen Lebensräumen vorkommen, vermischen sie sich nicht mehr. Sie unterscheiden sich dadurch genetisch bereits stärker als Mönchsgrasmücken, die mehr als 800 Kilometer voneinander entfernt nisten, aber die kalte Jahreszeit jeweils in Spanien überdauern. Beide lassen sich schon anhand körperlicher Merkmale auseinanderhalten: Wer nach Großbritannien fliegt, besitzt rundere Flügel, mit denen man besser manövrieren kann, die jedoch für längere Flugstrecken untauglich sind. Dafür besitzen die Mittelmeerüberwinterer dickere und kürzere Schnäbel, mit denen sie die großen Früchte fressen können, die es am Zielort auch im Winter gibt.

5 Weißstorch – vom Symboltier zum Standvogel |

Generell können viele Zugvogelarten ihr Reiseverhalten relativ flexibel verändern: Auf die durchschnittlich wärmeren Winter in Europa reagieren sie, indem sie gleich ganz vor Ort bleiben oder nur kürzere Strecken bis ans Mittelmeer fliegen statt über das Meer und die Sahara bis nach Zentralafrika. Andere Arten kehren früher zurück und verlassen ihr Sommerquartier später. Gut beobachten kann man das beispielsweise am Weißstorch (Ciconia ciconia). Viele Weißstörche ziehen weiterhin jedes Jahr von Mitteleuropa über eine westliche oder östliche Route nach Afrika und wieder zurück. Doch immer mehr Artgenossen bleiben gleich ganz hier – oder legen nur die Strecke bis Spanien oder allenfalls Marokko zurück. Ihren Futterbedarf decken sie dabei zu einem nicht geringen Teil aus unseren Müllkippen. Dort finden sie reichlich Fleisch- und Fischabfälle, die ihr Magen problemlos verdaut. Außerdem konkurrieren sie dort weniger mit anderen Verwertern – etwa Geiern oder Schwarzmilanen – als in ihren afrikanischen Wintergebieten, wo die Artenvielfalt größer ist. Allerdings vergiften oder verletzen sie sich auf den Abfallhalden häufiger. Lebensverlängernd wirkt der Energie sparende Mittelstreckenflug also nicht.

4 Steinschmätzer – widrige Umstände halten ihn nicht auf |

Dank des technischen Fortschritts und stark verkleinerter Datenaufzeichnungsgeräte konnten Ornithologen eine weitere fliegerische Meisterleistung aus der Vogelwelt enthüllen: Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe) aus der kanadischen Arktis reisen mehr als 14 500 Kilometer, um von ihren Brutplätzen im hohen Norden ins Winterquartier südlich der Sahara zu gelangen, und im Frühjahr legen sie auf dem Rückweg die gleiche Strecke wieder zurück – eine der längsten Zugrouten für Singvögel. Besonders beeindruckte die Forscher um Heiko Schmaljohann von der Vogelwarte Helgoland, dass die 25 Gramm leichten Steinschmätzer dazu nicht nur die unwirtliche Sahara überqueren, sondern sogar 3500 Kilometer über den Nordatlantik fliegen. Die Art ist der einzige bekannte Landvogel, der tatsächlich die Alte und die Neue Welt aktiv miteinander verknüpft. Warum die Singvögel aus der westlichen Arktis wie ihre Verwandten aus Europa und Asien nach Afrika und nicht nach Südamerika flattern, wie es alle anderen Sperlingsvögel Nordamerikas tun, können die Forscher noch nicht erklären. Womöglich hängt dies mit einer nacheiszeitlichen Ausbreitung der Art zusammen, die erst in geologisch jüngerer Vergangenheit den Sprung nach Nordamerika geschafft hat – zu kurz, um das vererbte Zugverhalten an neue Ziele anzupassen.

3 Streifengans – die Höhenrekordhalterin |

Wer fliegt höher – zumindest aus eigenem Antrieb? Die asiatischen Streifengänse (Anser indicus) überqueren innerhalb von nur acht Stunden den Himalaja, wenn sie von Sibirien und China her kommend nach Indien fliegen. Dabei wurden sie schon auf bis zu 9000 Meter Flughöhe gesichtet und damit theoretisch über dem Gipfel des Mount Everest: der bisherige Höhenrekord für Zugvögel. Bei ihnen sind Blutkreislauf, Physiologie und Flugmuskelanatomie auf besonders leistungsfähigen Sauerstofftransport optimiert, der noch in der dünnen Höhenluft funktioniert. Eine Fähigkeit, die ihren Enten- und Gänseverwandten aus dem Tiefland fehlt. Dauerhaft reisen sie in diesen Atmosphärenschichten jedoch natürlich nicht. Energiesparender ist auch für sie der Flug in tieferen Lagen. Nur wenn extrem hohe Bergketten es erzwingen, steigen sie auf. Sie überqueren den Himalaja daher auf einer Art Achterbahnflug. Um Höhe zu gewinnen, nutzen sie zudem starke Aufwinde, allerdings gleiten sie auf diesen nicht dahin: Sie schlagen mehr oder weniger konstant mit ihren Flügeln, wie implantierte Messinstrumente belegten.

Löffelstrandläufer – Rarität auf bedrohter Zugstrecke | Weltweit leben vielleicht noch 400 Exemplare des Löffelstrandläufers (Calidris pygmaea) – und das sind optimistische Zahlen. Er gehört damit zu den seltensten Zugvögeln der Erde. Die charismatischen Watvögel mit dem ungewöhnlichen löffelförmigen Schnabel brüten an Russlands Pazifikküste nördlich von Kamtschatka und ziehen am Gelben Meer entlang bis zum Indischen Ozean, wo sie in Myanmar, Thailand und Bangladesch überwintern. Und wie bei vielen anderen Zugvogelarten begegnen ihnen unterwegs zahlreiche Gefahren durch den Menschen. Ihre Rastplätze in China oder Südkorea werden zerstört, da Wattflächen als nutzlos gelten und sie für Industrieanlagen oder Häfen Platz machen müssen. Wenn die Löffelstrandläufer am Ziel angekommen sind, stellen ihnen Jäger nach, die die Watvögel als Delikatesse verkaufen. Und am Brutplatz drohen ihre Nistplätze wegen des Klimawandels zu versumpfen, da der Permafrost taut. Doch in der Not eilen auch Retter herbei: Ein Zuchtprogramm soll die Art in Menschenobhut bewahren, Aufklärungsprogramme haben den Jagddruck reduziert, und manche Raststätte wurde unter Naturschutz gestellt. Noch ist der kleine Löffelstrandläufer jedoch nicht über den Berg.
1 Eleonorenfalke – der Jäger der Zugvögel |

Auf dem Weg nach Süden lauern nicht nur menschliche Jäger auf die Zugvögel. Auch zahlreiche natürliche Fressfeinde haben es auf die Reisenden abgesehen und machen im Frühling und Herbst fette Beute. Vor allem dort, wo sich die Zugkorridore geografisch verengen oder Rastplätze im Meer locken, warten Arten wie der Riesenabendsegler (Nyctalus lasiopterus) – die größte europäische Fledermaus – und Eleonorenfalken (Falco eleonorae) auf erschöpfte Singvögel. Einmalig unter europäischen Vogelarten, zieht dieser Falke seine Jungen erst dann auf, wenn das Millionenheer der Langstreckenzieher Richtung Afrika startet und ihm genügend Nahrung liefert. Außerhalb der Brutzeit frisst er dagegen vor allem große Insekten, unter anderem in seinem Winterquartier auf Madagaskar. Um dieser Gefahr zu entgehen und die günstigeren Flugbedingungen zu nutzen, weichen viele Singvögel auf die Nacht aus. Dort tauchen dann allerdings die Fledermäuse auf. Mit dieser Strategie haben sich die Riesenabendsegler eine einmalige Nische erobert, denn bislang ist weltweit keine weitere Tierart bekannt, die nachts gezielt Jagd auf Zugvögel macht.

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