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Kosmologie: 5 Fragen zur Antimaterie

Was muss vorhanden sein, ist aber kaum greifbar? Physiker sind auf der Jagd nach Antimaterie, dem Gegenstück zur Materie. Antiwasserstoff haben sie schon erzeugt. Doch der Aufwand in den Teilchenbeschleunigern ist immens.
Wenn Materie und Antimaterie einander auslöschen, wird Energie frei

Was genau ist Antimaterie?

Antimaterie ist das – beinahe – perfekte Gegenstück zu unserer normalen Materie. Physiker sprechen in diesem Zusammenhang von einer Symmetrie zwischen Materie und Antimaterie. So besitzt jedes bekannte Materieteilchen ein Gegenstück aus Antimaterie, das exakt dieselben Eigenschaften besitzt. Mit einer Ausnahme: Antimaterie ist elektrisch genau gegensätzlich geladen. Das Antiteilchen des Elektrons ist beispielsweise das Positron. Es besitzt genau dieselbe Masse und zeigt auch sonst in jeder Hinsicht die gleichen Eigenschaften. Es ist jedoch nicht elektrisch negativ geladen wie das Elektron, sondern positiv. Dadurch hat Antimaterie ein gegensätzliches magnetisches Moment. Physiker charakterisieren Elementarteilchen auch durch bestimmte Quantenzahlen (Leptonenzahl, Baryonenzahl und so weiter), die bei Antimaterie ebenfalls den umgekehrten Wert haben wie bei normaler Materie.

Die ersten Hinweise auf Antimaterie stammen aus der frühen Quantentheorie. Der brillante englische Theoretiker Paul Dirac hatte im Jahr 1928 eine revolutionäre Gleichung aufgestellt, die eigentlich das Elektron beschreiben sollte. Die Gleichung erlaubte jedoch zwei Lösungen: eine mit positiver und eine mit negativer Energie. Da negative Energien physikalisch keinen Sinn ergeben, interpretierte Dirac diese Lösung als bislang unbekanntes Antiteilchen des Elektrons mit umgekehrter elektrischer Ladung. Carl Anderson gelang es dann 1932 erstmals, ein solches Positron experimentell nachzuweisen. Dirac erhielt für seinen Anteil an dieser bahnbrechenden Entwicklung den Nobelpreis 1933, Anderson 1936.

Später stellte sich heraus, dass auch alle anderen Materieteilchen Gegenstücke aus Antimaterie besitzen. In allen Experimenten zeigen sie bis auf die umgekehrte Ladung exakt die gleichen physikalischen Eigenschaften – mit einer Ausnahme: In bestimmten Zerfällen exotischer Teilchen gibt es minimale Unterschiede, wie schnell diese Teilchen in welche Zerfallsprodukte übergehen. "Diese Asymmetrien sind aber sehr subtil", sagt Michael Schmelling vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. "Mit ihnen allein kann man den Materieüberschuss im Universum nicht erklären."

Denn genau dies ist das große Rätsel in der heutigen Antimaterieforschung: Niemand kann sagen, warum nach dem Urknall praktisch nur Materie und keine Antimaterie übrig geblieben ist. Irgendein Unterschied muss dazu geführt haben, dass Antimaterie in leicht geringerer Menge entstanden und dann mit Materie zu Energie zerstrahlt ist. Die verbliebene Materie ist die, aus der wir und alle Sterne und Planeten im All bestehen.

Suche am CERN | Im kreisförmigen, 27 Kilometer langen Tunnel des LHC rotieren Protonen fast mit Lichtgeschwindigkeit. An ausgewählten Punkten bringen die Physiker zwei Teilchenbündel zur Kollision. Bei dem Crash der Protonen wird Energie in Masse umgewandelt – neue Teilchen entstehen und fliegen davon. Bei einigen von ihnen könnte es sich auch um Partikel handeln, die bisher von keiner Theorie der Physiker beschrieben werden.

Wie stellt man Antimaterie her?

Gemäß der einsteinschen Relativitätstheorie ist Masse äquivalent zu Energie. Sobald genügend Energie in einem winzigen Raumbereich konzentriert ist, kann sie sich laut Einstein und der Quantentheorie in die Masse eines Teilchen-Antiteilchen-Paars verwandeln. Dabei bleibt die elektrische Gesamtladung erhalten, so wie bei allen physikalischen Prozessen.

Das Rezept für die Herstellung von Antimaterie lautet also: Man konzentriere enorm viel Energie in einem Punkt und – schwups! – entstehen Teilchenpaare, beispielsweise aus Elektronen und Positronen. Das Gleiche klappt auch mit Protonen und Antiprotonen und allen anderen Teilchenarten. Die Kunst der Teilchenforscher besteht nun darin, möglichst viel Energie unter exakt definierten Bedingungen in einem Punkt zu konzentrieren.

Bei großen Teilchenbeschleunigern wie dem Large Hadron Collider (LHC) am Kernforschungszentrum CERN bei Genf gibt es spezielle Labore, die der Produktion von Antimaterie dienen. Entsteht dort bei einer Teilchenkollision ein Elektron-Positron-Paar, können die Wissenschaftler die Teilchen anhand ihrer Flugbahn unterscheiden. Da die Partikel gegensätzlich geladen sind, fliegen sie in einem Magnetfeld in gegenläufigen Spiralen durch den Detektor. Zusätzlich können die Forscher anhand der Krümmung der Bahnen auch die Energie der Teilchen bestimmen. Aus diesem Grund besitzen alle Detektoren an Teilchenbeschleunigern starke Magnete: Nur so lassen sich die entstandenen Teilchen überhaupt analysieren.

Hat man auf diese Weise Antimaterie erzeugt, kann man diese Teilchen auch magnetisch einfangen, abbremsen, speichern und mit ihnen experimentieren. Auf diese Weise konnten Forscher bereits Positronen und Antiprotonen zu Anti-Wasserstoffatomen vereinigen. Diese Antiteilchen scheinen sich bislang bei allen Präzisionsmessungen exakt so zu verhalten wie Wasserstoffatome.

Das zweitschwerste Element nach Wasserstoff ist Helium. "Es wäre sehr interessant, Antihelium im Labor zu untersuchen", sagt Schmelling. Deshalb arbeiten mehrere Forscherteams weltweit an diesem noch unerreichten Ziel. Die Atomkerne von Antihelium ließen sich am CERN bereits erzeugen – aber noch zu wenige, um daraus Antiheliumatome zu machen.

Gibt es Galaxien aus Antimaterie?

Das uns bekannte Universum besteht im Wesentlichen aus Materie. In der kosmischen Strahlung, die das Weltall füllt, finden sich jedoch auch vereinzelt Teilchen aus Antimaterie. Sie stammen von hochenergetischen Prozessen, die von normaler Materie angestoßen werden. So können etwa die enormen magnetischen Felder, die bei Supernovae, Schwarzen Löchern und Neutronensternen zu finden sind, normale Materie auf extrem hohen Energien beschleunigen; ähnlich wie in einem gigantischen Teilchenbeschleuniger. Diese Teilchen – vor allem Elektronen und Protonen, aber auch schwerere Partikel – können auf diese Weise so viel Energie aufnehmen und viele neue Teilchen erzeugen.

AMS-02 auf der ISS | Das Alpha Magnetic Spectrometer (AMS-02) auf der Internationalen Raumstation ISS ist auf der Suche nach dem Ursprung von Antimaterie.

Trifft etwa ein hochenergetisches Proton aus der kosmischen Strahlung auf einen Atomkern in den oberen Luftschichten der Erde, kann das zu einem ganzen Teilchenschauer führen, bei dem jeweils paarweise hunderte Elektronen und Positronen entstehen. Paarweise müssen sie entstehen, weil die Gesamtladung laut den Gesetzen der Physik erhalten bleiben muss. Da Elektronen negativ und Positronen als deren Antiteilchen positiv geladen sind, hebt sich die Ladung in Summe dann exakt auf.

Die wenigen Teilchen aus Antimaterie, die Forscher im Universum aus der kosmischen Strahlung fischen, stammen also von gewöhnlicher Materie ab und zerstrahlen früher oder später wieder mit dieser zu reiner Energie. Noch ist nicht ganz klar, ob einige Antimaterieteilchen in der kosmischen Strahlung auch Überbleibsel des Urknalls sind, die bis heute überdauert haben. Neuere Messungen des AMS-Experiments auf der Internationalen Raumstation ISS, das nach Antimaterie sucht, haben allerdings höhere Mengen an Antimaterie gefunden als erwartet. Ob dies auf Überbleibsel des Urknalls oder sogar auf seltsame Effekte mit Dunkler Materie zurückzuführen ist, lässt sich derzeit aber noch nicht sagen.

Galaxien, die nur aus Antimaterie bestehen, sind zwar denkbar, doch bisher haben Wissenschaftler keinerlei Hinweise auf sie entdeckt. Man könnte die Existenz der exotischen Gebilde nur schwer nachweisen: Schließlich müssten sich Antimateriesterne praktisch identisch wie Materiesterne verhalten und genau auf dieselbe Weise leuchten. Im Teleskop könnten wir ihren Charakter nicht erkennen.

Sollte es irgendwo in den Weiten des Alls größere Ansammlungen von Antimaterie oder gar Antimateriegalaxien geben, würden sie sich vermutlich auf eine andere Weise verraten: Schließlich zerstrahlen Materie und Antimaterie unter Aussendung charakteristischer Strahlung zu reiner Energie. An der Kontaktfläche von normalen Galaxien und "Anti-Galaxien" sollte demnach heftige Strahlung entstehen. Bislang haben Astronomen jedoch nirgends im Kosmos solche Strahlungsquellen entdeckt.

Kann man daraus Bomben bauen?

Da Antimaterie und Materie perfekte Gegenstücke sind, zerstrahlen sie beim Aufeinandertreffen zu reiner Energie. Antimaterie ist also die kompakteste Form, unglaubliche Mengen an Energie zu speichern. Man muss sie nur mit einem mindestens gleich großen Stück Materie in Kontakt bringen, und es knallt. Für die Autoren von Sciencefiction-Geschichten und die Programmierer von Computerspielen zählt Antimaterie daher zu den verheerendsten Waffen.

In schweren Elementen wie Uran und Plutonium ist ebenfalls enorm viel Energie gespeichert. Wenn eine Atombombe explodiert und der Sprengstoff aus Uran oder Plutonium in leichtere Elemente gespalten wird, verwandelt sich auch ein Teil der Masse in reine Energie, typischerweise im Grammbereich. Eine Antimateriebombe mit ähnlicher Stärke wie die Hiroschima-Bombe müsste nur ungefähr ein Gramm Antimaterie beinhalten – im Vergleich zu ein paar Dutzend Kilogramm hochangereicherten Urans.

Diese düstere Vision hat allerdings zwei Probleme: Zum einen dauert es ewig, nennenswerte Mengen Antimaterie herzustellen. An Teilchenbeschleunigern wurden bisher gerade einmal einige milliardstel Gramm des Stoffs hergestellt, hieß es 2015 beim CERN. Die Antimaterie wurde dabei für kurze Zeit in magnetischen Fallen gespeichert und mit Detektoren untersucht.

Zum anderen dürfte die Antimaterie in einer Bombe vor der Zündung niemals mit normaler Materie in Kontakt kommen, da sie sonst sofort zerstrahlt. Für den Bau einer Explosionsvorrichtung müsste man daher eine größere Menge Antimaterie in ein möglichst perfektes Vakuum sperren. Zudem benötigt man komplexe elektrische und magnetische Felder, um die Teilchen einzuschließen. Und bereits beim kleinsten Fehler käme es zur Katastrophe.

Fällt Antimaterie nach oben?

Diese Frage ist eine der spannendsten in der aktuellen Forschung zum Thema. Nach dem heutigen Verständnis der Physik würde man davon ausgehen, dass Antimaterie auf die Schwerkraft in derselben Weise wie Materie reagiert. Sie sollte also nach unten fallen.

Allerdings ist es keineswegs klar, ob das wirklich so ist. Denn die Gleichungen, die die Antimaterie beschreiben, sind Teil der Quantenphysik. Und die Gleichungen der Relativitätstheorie, denen die Gravitation gehorcht, ließen sich bislang nicht mit der Quantentheorie zu einer gemeinsamen Theorie vereinigen. Antimaterie könnte auf die Schwerkraft also im Prinzip auf drei verschiedene Weisen reagieren:

  • Sie fällt wie Materie nach unten.
  • Sie macht genau das Gegenteil und fällt mit exakt derselben Beschleunigung nach oben.
  • Sie tut etwas ganz Unerwartetes und zeigt etwa eine andere Beschleunigung.

Die Forschung hierzu steht gerade in den Startlöchern. "Bislang kann experimentell noch nicht einmal etwas über das Vorzeichen der Schwerebeschleunigung von Antimaterie gesagt werden", sagt Alban Kellerbauer vom CERN dazu. Er arbeitet am AEGIS-Experiment (Antihydrogen Experiment: Gravity, Interferometry, Spectroscopy), das in den kommenden Jahren genau diese Fragen klären soll. "Wir hoffen auf ein erstes Ergebnis bis 2018, vor dem nächsten längeren Shutdown des LHC", so Kellerbauer.

Sollte sich dann herausstellen, dass Antimaterie nach oben oder auch einfach mit einer anderen Beschleunigung nach unten fällt als normale Materie, dürften die Theoretiker aufschrecken. Denn die grundlegenden Modelle der heutigen Teilchentheorie basieren darauf, dass Materie und Antimaterie praktisch perfekte Spiegelbilder sind.

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