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Archäoastronomie: Zauberhut aus der Bronzezeit

Die Goldhüte aus Süddeutschland und Frankreich wirken wunderlich. Wozu haben Menschen vor 3000 Jahren diese kunstvollen Kegel geschaffen? Von den vier bisher bekannten Funden ist einer im Berliner Neuen Museum ausgestellt. Mancher hält ihn für einen astronomischen Kalender.
Ein konischer, goldener Hut mit detaillierten, kreisförmigen und linearen Mustern, die die Oberfläche bedecken. Der Hut hat eine breite Krempe und ist auf einem neutralen, dunklen Hintergrund abgebildet. Die Verzierungen sind symmetrisch und gleichmäßig verteilt, was auf eine kunstvolle Handwerkskunst hinweist.
Das Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin kaufte den Fund 1996 im Kunsthandel. Wer ihn wo unter welchen Umständen entdeckte, ist bis heute unbekannt. Auch wann der 74,5 Zentimeter hohe Goldkegel entstand, ist ungewiss. Ein Alter zwischen 2800 und 3000 Jahren gilt aber als wahrscheinlich.

Wer den Berliner Goldhut zum ersten Mal sieht, mag sich an einen Obelisken erinnert fühlen. Der Gedanke wäre nicht abwegig, denn seine Macher hegten vor zirka 3000 Jahren wohl ähnliche Vorstellungen wie die Ägypter: Ragten Obelisken einst in ägyptischen Heiligtümern als Sonnen- und Ursprungssymbol gen Himmel, so ordnen Archäologen auch die goldenen Hüte einem Sonnenkult zu – einem religiösen Geschehen, das sich in der späten Bronzezeit Europas in der Urnenfelderkultur abspielte. Allerdings wurden die Goldkegel vermutlich nicht als Kultpfeiler aufgestellt, sondern auf dem Kopf getragen.

Vier Goldhüte sind bisher bekannt. Das Berliner Exemplar erwarb das dortige Museum für Vor- und Frühgeschichte 1996 aus dem Kunsthandel; die anderen drei entdeckten Arbeiter bei der Feldarbeit: Ein Hut kam im Jahr 1835 bei Schifferstadt im heutigen Rheinland-Pfalz zum Vorschein, ein weiterer 1844 bei Avanton nahe Poitiers in Mittelfrankreich und der dritte 1953 im mittelfränkischen Ezelsdorf-Buch. Die Kegel steckten mit der Spitze nach oben in der Erde. Weit und breit gab es weder Überreste von Häusern noch von Gräbern, nur am Fund aus Schifferstadt lehnten bronzene Beilklingen, die der Form nach aus dem 14. Jahrhundert v. Chr. stammen. Insbesondere deshalb datieren Archäologen die Goldhüte in die späte Bronzezeit, die in Mitteleuropa um 800 v. Chr. in die Eisenzeit überging.

Alle vier Kegel ähneln sich, sind aber unterschiedlich gut erhalten und ungleich groß – zwischen 30 und einst 70 bis 80 Zentimeter messen sie in der Höhe. Bei dreien wölbt sich der Schaft im unteren Teil und geht in eine Krempe über. Jedes Fleckchen auf den Goldblechen ist verziert: Die bronzezeitlichen Schmiede stempelten Scheiben, Sicheln, Striche und Kreise in den Hohlkörper, dekorierten sogar die Spitze mit einer Art Stern oder Krone.

Dafür war einiges Können nötig. Jeder Kegel wurde aus einem einzigen Brocken Gold gehämmert. Beim Schmieden erwärmten die Handwerker das Metall immer wieder, um Risse zu vermeiden – aber nur so weit, dass es nicht schmolz. Zugleich durfte das Blech nicht zu lange bearbeitet werden, sonst wäre es brüchig geworden. Am Ende »musste man den Hut mit Treibkitt füllen und von außen mit Punzen die Formen [des Dekors] einschlagen«, erklärt der Archäologe Harald Meller in einem Video des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle (Saale).

Für was der ganze Aufwand? Wofür brauchten die Menschen diese spitzen Hüte? Der ehemalige Direktor des Neuen Museums in Berlin, Wilfried Menghin (1942–2013), war überzeugt, dass sich im Dekor des Berliner Goldhuts ein astronomischer Code verbirgt. Und zwar in den umlaufenden Schmuckreihen aus Scheiben und Kreisen, wie er in seinem Buch über das Exponat schrieb.

Bitte tief Luft holen, es wird kompliziert

Je nach ihrer Größe sind die Zierscheiben von unterschiedlich vielen Ringen umgeben – zwei, drei, fünf oder sechs Ringen. Diese Kreise entsprechen laut Menghin Tagen oder Monaten; die Scheiben oder Buckel hingegen dienen als Multiplikatoren. Bei genauem Hinsehen fiel dem Archäologen auf, dass die Schmiede für dieselben Ringmuster teils verschiedene Zierstempel verwendeten. Warum das wichtig ist? Je nach Stempelart und Anzahl der Ringe fasste Menghin bestimmte Ornamentreihen zusammen und errechnete Summen. Ein Beispiel: Drei Ornamentzonen wurden mit demselben Stempel eingeschlagen – einem Buckel, umgeben von fünf Ringen. Dieses Element taucht in den drei Zonen jeweils 15-, 18- und 21-mal auf. Jede dieser Zahlen wird nun mit fünf multipliziert, also mit der Zahl der Ringe je Dekorelement. Das ergibt insgesamt 270 Ringe. Nun nimmt Menghin »aufgrund der rhythmischen Abfolge der Zonen« noch ein Band mit 19 Buckeln je fünf Ringen hinzu. Das ergibt weitere 95 Ringe. Mit den obigen 270 sind es insgesamt 365. Worauf Menghins Rhythmus der Dekorzonen beruht, ist unklar.

Sonne, Mond und Sterne | Auf dem Berliner Goldhut sind Reihen aus Scheiben und Ringen abgebildet. Der Archäologe Wilfried Menghin hielt sie für Kalendersymbole. Die kleinen Punkte in den Zwickeln zwischen den Scheiben deutete er hingegen als Zierrat (unten im Bild).

Auf diese Weise berechnete er mehrere Summen: 364 und 365 – sie würden die Tage des Sonnenjahrs repräsentieren. Die Zahlen 354 und 355 sollen die Tage eines Mondjahrs wiedergeben. Und 228 sowie 235 entsprechen angeblich Monaten. Beide Summen beruhen auf einem Zeitraum von 19 Jahren: Verstreichen 19 Sonnenjahre mit je zwölf Monaten, ergeben sich 228 Monate. Und die Mondmonate desselben Zeitraums belaufen sich nach 19 Jahren auf 235. Woher kommt diese 19? Menghin fand die Zahl fünfmal auf dem Goldhut: In fünf umlaufenden Dekorbändern sind jeweils 19 Symbole aufgereiht. (Es gibt aber auch Zonen mit 14, 15, 18, 20, 21 und 23 Dekorelementen.)

Astronomen wissen: Nach 235 Mondmonaten ist ein Meton-Zyklus abgeschlossen. Das heißt, die Mondphasen fallen dann wieder auf dieselben Tage des Sonnenjahrs. Dieses Verhältnis nutzten etwa die Babylonier oder Griechen, um Mond- und Sonnenmonate miteinander zu verschränken, also einen lunisolaren Kalender zu erstellen. Dafür mussten regelmäßig Schalttage eingefügt werden, da das Mondjahr im Durchschnitt elf Tage kürzer ist als das Sonnenjahr. Ohne Schalttage würden etwa Festtermine, die auf den Mondmonaten beruhen, von Jahr zu Jahr an einem anderen Zeitpunkt im Sonnenjahr stattfinden, wie es heute noch beim Fastenmonat Ramadan der Fall ist.

Solche Schalttage und weitere astronomische Daten wollte Menghin auf dem Berliner Goldhut ausgemacht haben. Diente der Goldkegel demnach als eine Art Kalender? »Offen gestanden ist dazu viel Rechenarbeit nötig«, meint Bronzezeitexperte Meller im Video. »Die Mehrheit der Archäologen ist sich nicht so sicher, ob es sich hier tatsächlich um einen Kalender handelt oder eher um Zufälligkeiten.« Wenn nicht der Zufall Menghin die Hand führte, dann sollte sich ein ähnliches System auch auf den übrigen Goldhüten entschlüsseln lassen. Fündig wurde Menghin allerdings nur am Exemplar aus Ezelsdorf-Buch. Für die beiden anderen Kegel sei ein kalendarisches System »nur ansatzweise nachzuweisen«, schrieb der Archäologe.

Priesterornat aus Gold

Die Goldhüte sind groß genug, um sie aufzusetzen. Weitere Funde in Europa bezeugen die Existenz von goldenen Gewändern in der Bronzezeit. So kam in einem Grabhügel im walisischen Mold eine Art Schulterumhang aus Goldblech zum Vorschein. Das Stück dürfte in die Zeit zwischen 2000 und 1700 v. Chr. zurückgehen. Ebenso sind mit Goldfolie belegte Gürtelbleche bekannt. Harald Meller ist überzeugt, dass es einst Priesterkönige gab, die mit Gold bedeckte Kleidung trugen, um die »Gläubigen zu beeindrucken und um selbst von der Sphäre der Gläubigen zu entrücken in Richtung der Götter«.

Die Scheibensymbole, der Stern auf der Spitze und die strahlende Farbe des Edelmetalls selbst zeugen von einem Sonnenkult, erklärt Meller. Und möglicherweise kamen viele Ideen rund um diesen Kult aus dem Osten, wo die spätbronzezeitliche Astronomie auf eine lange Tradition zurückblickte. Denn sicher ist: Mitteleuropa, das östliche Mittelmeergebiet und der Vordere Orient standen während der Bronzezeit in Kontakt, wie es Bernsteinfunde belegen, die aus dem Baltikum und von den Britischen Inseln in den Osten gelangt waren. Ob die Europäer von dort auch das Wissen um den Meton-Zyklus mitbrachten, ist aber noch völlig offen.

In den Museen der Welt schlummern unzählige Ausstellungsstücke – und jedes davon hat eine Geschichte. Was diese »Glanzstücke« erzählen, steht alle zwei Monate in »Spektrum Geschichte« und auf »Spektrum.de«.

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  • Quellen
Menghin, W., Der Berliner Goldhut, 2010

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