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Der Mathematische Monatskalender: Christian Goldbach (1690–1764): Der Mann, der die Primzahlen liebte

Jede gerade Zahl, die größer ist als 2, ist die Summe zweier Primzahlen. Diese goldbachsche Vermutung zählt zu den bekanntesten ungelösten Problemen der Mathematik.
Christian Goldbach

Eine der berühmtesten bis heute unbewiesenen Vermutungen der Zahlentheorie lautet:

Jede gerade Zahl größer als 2 lässt sich als Summe zweier Primzahlen darstellen.

Diese einfache mathematische Aussage teilte der Gelehrte Christian Goldbach seinem Brieffreund Leonhard Euler im Jahr 1742 als Vermutung mit. (In der Originalfassung heißt es noch: Jede natürliche Zahl größer als 2 lässt sich als Summe von drei Primzahlen darstellen, wobei zur damaligen Zeit die Zahl 1 noch als Primzahl angesehen wurde.)

Alle Versuche, diesen Satz zu beweisen, schlugen bisher fehl. Selbst die Auslobung einer Prämie von einer Million Dollar führte kaum zu Fortschritten. Chen Jingrun (1933-1996), Schüler von Hua Luogeng (1910-1985), dem bedeutendsten chinesischen Mathematiker des 20. Jahrhunderts, gelang 1966 die bisher »beste Annäherung« an die goldbachsche Vermutung. Chen Jingrun konnte beweisen, dass jede hinreichend große gerade Zahl als Summe aus einer Primzahl und einer weiteren Zahl, die höchstens zwei Primfaktoren besitzt, dargestellt werden kann.

Unter den ersten geraden Zahlen findet man solche, die nur eine Goldbach-Zerlegung besitzen (4 = 2 + 2; 6 = 3 + 3; 8 = 3 + 5; 12 = 5 + 7).

Für größere gerade Zahlen findet man eine »tendenziell« zunehmende Anzahl an Möglichkeiten, aber dann gibt es auch immer wieder eine Zahl, die nur wenige Zerlegungen besitzt, wie zum Beispiel 98 = 19 + 79 = 31 + 67 = 37 + 61.

Christian Goldbach, Sohn eines protestantischen Pfarrers, wächst in Königsberg (Ostpreußen) auf, besucht dort eine höhere Schule und die Universität. Während seines Studiums beschäftigt er sich vor allem mit Jura und Medizin. Längere Studienreisen zwischen 1710 und 1724 führen ihn in zahlreiche Städte Europas, wo er viele bedeutende Mathematiker kennen lernt: In Leipzig besucht er Gottfried Leibniz, in London tauscht er sich mit Abraham de Moivre aus, in Oxford begegnet er Nicolaus Bernoulli (I) und in Venedig dessen Vetter Nicolaus II, der einen Kontakt zu seinem jüngeren Bruder Daniel herstellt (alles Neffen von Jacob und Johann Bernoulli).

Nach Königsberg zurückgekehrt, trifft er 1724 auf zwei durchreisende Gelehrte, den deutschen Philosophen Georg Bernhard Bilfinger und den Schweizer Mathematiker Jakob Hermann, die gerade auf dem Weg nach St. Petersburg sind, um dort – nach Berliner Vorbild – eine Akademie der Wissenschaften aufzubauen. Im darauf folgenden Jahr bewirbt sich Goldbach beim Präsidenten der neuen Akademie um ein Amt, wird zunächst abgelehnt, dann aber Ende 1725 auf einen Lehrstuhl für Mathematik und Geschichte berufen.

Während seiner Studienzeit hatte sich Goldbach kaum mit Mathematik beschäftigt; seit seiner Begegnung mit Leibniz war jedoch sein Interesse an mathematischen Themen gestiegen, wie beispielsweise ein Beitrag über unendliche Reihen in den »Acta eruditorum« zeigt.

Von der Gründungszeremonie der Akademie an übernimmt Goldbach das Amt des Sekretärs und übt diese koordinierende Tätigkeit aus, bis er 1727 zum Lehrer des jungen Zaren Peter II. (ein Enkel Peters des Großen) ernannt wird. Zarin Katharina I. hatte verfügt, dass ihr erst zwölfjähriger Enkel auf den Zarenthron folgen soll. Im Kampf um die eigentliche Macht im Land zwischen den rivalisierenden Generälen Menschikow und Dolgorukow wird Moskau vorübergehend wieder Hauptstadt Russlands, so dass mit dem Hofstaat auch Goldbach umziehen muss. Als der junge Zar bereits fünf Jahre später stirbt, bleibt Goldbach zunächst noch in Moskau, bis die neue Zarin Anna Iwanowna 1732 den Hof wieder nach St. Petersburg zurückverlegt. Nach Anna Iwanownas Tod im Jahr 1740 wird vorübergehend ihr wenige Wochen alter Sohn zum Zaren ausgerufen, bis Elisabeth, eine Tochter Peters des Großen, die Macht an sich reißt. Christian Goldbach übersteht – als einer der wenigen am Hof – alle diese Regierungswechsel ohne Schaden.

Goldbach hat immer weniger Zeit, sich um Mathematik zu kümmern; 1729 und dann noch einmal 1732 veröffentlicht er jeweils einen Beitrag über unendliche Reihen. Seine Belastung durch Verwaltungsaufgaben im Rahmen der Akademie-Leitung wächst von Jahr zu Jahr, bis er schließlich um Reduzierung seiner Aufgaben bittet.

Goldbach wird 1740 sogar vollständig von seinen Akademie-Aufgaben entbunden; denn die neue Zarin befördert den sprachgewandten Kosmopoliten auf einen wichtigen Posten im Außenministerium, der ihm in den folgenden Jahren zu großem Reichtum und Landbesitz verhilft. Die Mathematik bleibt seine liebste Freizeitbeschäftigung, und mit Leonhard Euler hat er einen höchst kompetenten Briefpartner.

Leonhard Euler und Christian Goldbach hatten sich 1727 noch persönlich kennen gelernt, als Euler seine Lehrtätigkeit in St. Petersburg aufnahm. In Goldbachs Moskauer Zeit beginnt dann der rege Briefwechsel zwischen den beiden Gelehrten, den sie über 35 Jahre fortsetzen. Die innenpolitischen Turbulenzen der Jahre 1740/41 veranlassen Euler, einen Ruf nach Berlin anzunehmen, wo er das Amt als Direktor der mathematischen Klasse der Preußischen Akademie der Wissenschaften übernimmt.

Es sind vor allem Probleme der Zahlentheorie, über die sich die beiden austauschen. Goldbach beschäftigt sich nicht nur mit der oben angegebenen Vermutung. Durch seine Untersuchungen gibt er viele Anregungen an Euler, der etliche dieser Probleme lösen kann:

  • Darstellbarkeit von ungeraden natürlichen Zahlen: Goldbach vermutet, dass jede ungerade natürliche Zahl (größer 17) in der Form 2 · n2 + p dargestellt werden kann, wobei p eine Primzahl ist (19 = 2 · 12 + 17 = 2 · 22 + 11; 21 = 2 · 12 + 19 = 2 · 22 + 13 = 2 · 32 + 3; 23 = 2 · 32 + 5; 25 = 2 · 12 + 23 = 2 · 22 + 17 = 2 · 32 + 7; 27 = 2 · 22 + 19; 29 = 2 · 32 + 11; …). Euler untersucht die ungeraden Zahlen bis 999; Goldbach überprüft die Vermutung sogar bis zur Zahl 2499; Moritz Stern findet 1856 zwei Gegenbeispiele (5777 und 5993); man weiß nicht, ob noch weitere Gegenbeispiele existieren.

  • Eigenschaften von Fermat-Zahlen (natürliche Zahlen der Form Fn = \(2^{2^n}\) + 1, von denen Fermat vermutete, dass es sich stets um Primzahlen handelt); Euler findet 1732 heraus, dass F5 = 4 294 967 297 nicht prim ist, denn die Zahl ist durch 641 teilbar. Heute vermutet man, dass nur die Zahlen F0 bis F4 Primzahlen sind.

  • Eigenschaften von Mersenne-Zahlen (natürliche Zahlen der Form Mn = 2n – 1) und von vollkommenen Zahlen (natürliche Zahlen, deren Summe der echten Teiler genauso groß ist wie die Zahl selbst): Bereits Euklid hatte gezeigt, dass jede natürliche Zahl der Form 2n -1 · (2n – 1) vollkommen ist, falls 2n – 1 eine Primzahl ist; Euler beweist, dass auch die Umkehrung des Satzes gilt.

  • Primzahlerzeugende Polynome: Euler findet 1772 das Polynom n2 + n + 41, bei dem sich bei Einsetzung der natürlichen Zahlen n = 0, 1, 2, 3, …, 39 lauter Primzahlen ergeben.

  • Darstellbarkeit der natürlichen Zahlen als Summe von Quadratzahlen, Kubikzahlen, allgemein k-ten Potenzen, Bestimmung der kleinsten Anzahl g(k) notwendiger Summanden, Hierbei gilt: g(2) = 4 (so genannter lagrangescher Vier-Quadrate-Satz); g(3) = 9; g(4) = 17; g(5) = 37 (1964 von Chen Jingrun bewiesen). Die Verallgemeinerung wird als waringsches Problem bezeichnet (nach Edward Waring, 1736-1798).

  • Untersuchung einer unendlichen Reihe von reziproken Potenzen: Goldbach untersucht die natürlichen Zahlen größer als 1, die sich als Potenzen schreiben lassen, also 4 = 22, 8 = 23, 9 = 32, 16 = 24 und 16 = 42, 25 = 52, 27 = 33 und so weiter. Er vermutet, dass die unendliche Summe der Kehrwerte der um 1 verminderten Potenzen (ohne Dopplungen wie 16) gleich 1 ist: \[ \sum_k \frac{1}{k-1} = \frac{1}{3} +\frac{1}{7} +\frac{1}{8} + \frac{1}{15} + \frac{1}{24} + \frac{1}{26} + … = 1.\] Euler gelingt 1737 ein Beweis dieses so genannten Goldbach-Euler-Theorems (allerdings ist seine Rechnung mit unendlichen Summen nach heutigen Maßstäben kein »strenger« Beweis).

Goldbach erlebt die Rückkehr Eulers nach Russland (1766) nicht mehr; 1764 stirbt der hochverehrte Gelehrte und Staatsmann im Alter von 74 Jahren in Moskau.

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