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Drogen: Hilft es, wenn Drogennutzer über den Inhalt Bescheid wissen?

Verbotene Pillen und Pulver legal testen lassen: Das will ein Modellprojekt des Berliner Senats. So soll der Schaden für Drogennutzer minimiert werden. Geht der Plan auf?
Eine Spritze und andere Utensilien an einer rostigen Metallkonstruktion

Für Arznei aus der Apotheke gibt es Inhaltsangaben und strenge Reinheitskontrollen. Nicht so bei Drogen vom Schwarzmarkt. Meist ist unklar, was da genau drin ist – und wie viel davon. Im schlimmsten Fall kann das tödlich enden: Am Silvesterabend 2015 etwa starben vier Briten, nachdem sie eine rötliche Pille mit eingeprägtem Superman-Logo einnahmen. Enthalten war die tödlich giftige Substanz PMMA.

Ein Berliner Modellprojekt will nun rechtzeitig vor hoch dosierten und verunreinigten Drogen warnen. Dafür sollen Nutzer ihren Stoff in offiziellen Laboren zur Analyse abgeben können. Der Senat unterstützt das Vorhaben mit 150 000 Euro. Doch die Idee ist umstritten: Kritiker warnen, Drugchecking würde Unentschlossene zum Konsum animieren und eine falsche Sicherheit vorgaukeln. Wie sinnvoll ist das Vorhaben?

1. Worum geht es beim Drugchecking?

Das Konzept ist schnell erklärt: Drogennutzer sollen eine kleine Probe ihrer Rauschmittel bei einer offiziellen Stelle abgeben können – meist gegen Angabe eines Codeworts. Laborchemische Verfahren analysieren dann, welche Inhaltsstoffe und Verunreinigungen in der Probe stecken, und melden das Ergebnis anonym zurück. Ist die Probe verunreinigt oder besonders hoch konzentriert, bringen die Verantwortlichen oft noch eine Warnung in Umlauf, um andere Nutzer vor Vergiftungen zu schützen. Drugchecking gibt es in zwei Ausführungen: stationär sowie in mobilen Laboren direkt im Klub oder auf dem Festivalgelände. Moderne Analyseverfahren wie die Massenspektrometrie, die Raman-Spektroskopie oder die Hochleistungsflüssigkeitschromatografie (HPLC) können unbekannte Substanzen schon in kurzer Zeit zuverlässig identifizieren. Das Drugchecking-Projekt der Stadt Zürich verspricht Ergebnisse innerhalb von 30 Minuten – direkt an den Ständen auf der Party.

Ganz nebenbei geben die chemischen Analysen auch Aufschluss darüber, was in der Szene aktuell kursiert. Wichtig ist das für Fachpersonal aus der Notfallmedizin und der Präventionsarbeit. Die Kriminologin Fiona Measham nahm sich die Ergebnisse des ersten mobilen Drugchecking-Services Großbritanniens vor. Das Fazit ihrer 2018 veröffentlichten Studie: Eine von fünf Proben enthielt nicht die Substanz, als die sie verkauft wurde. Spontankäufe waren besonders häufig betroffen: Wer die Droge direkt auf der Party erworben hatte, hielt doppelt so oft eine »Mogelpackung« in den Händen wie diejenigen, die schon vor der Veranstaltung beim Dealer waren.

Allgemein scheinen die Drogen vom Schwarzmarkt in den letzten Jahren aber immer reiner zu werden. Die Drugchecking-Stelle in Zürich beobachtet einen steigenden Wirkstoffgehalt für Kokain, Speed (Amphetamin) und Ecstasy-Tabletten. Das birgt neue Risiken. Wer bisher schwächeren Stoff gewöhnt war, riskiert eine Überdosierung. Die höchstdosierte Pille reiche für drei, warnt das Schweizer Projekt in Bezug auf Ecstasy. Verunreinigungen bleiben aber weiterhin ein Thema. Im getesteten Kokain stießen die Laboranten mitunter auf das Wurmmittel Levamisol. Noch schlechter stand es um das Speed vom Schwarzmarkt: Sieben von zehn Proben enthielten weitere pharmakologisch wirksame Stoffe.

2. Wo gibt es Drugchecking schon?

In Deutschland existiert derzeit kein offizielles Drugchecking-Angebot. Anders sieht es im europäischen Ausland aus. Die Labore des niederländischen DIMS-Projekts testen schon seit 1992 Drogenproben. Mindestens zwölf weitere EU-Länder betreiben ähnliche Angebote, darunter Spanien, Frankreich, Österreich, die Schweiz und Großbritannien. Der Service wird rege genutzt: Das europäische Dachprojekt TEDI zählte mehr als 45 000 abgegebene Proben zwischen 2008 und 2013 – am häufigsten übrigens Ecstasy/MDMA, Speed und Kokain.

Über Umwege ist Drugchecking auch in Deutschland möglich. Onlineshops bieten chemische Analysekits für einen rudimentären Schnelltest an. Mit dem so genannten Marquis-Reagens etwa lassen sich zumindest Stoffklassen eingrenzen: Ein dunkles Violett weist auf MDMA oder eine artverwandte Substanz hin, ein orangebrauner Farbton spricht für Amphetamin oder Metamphetamin. Die Kits für die eigenen vier Wände haben allerdings ihre Tücken. »In der Regel handelt es sich dabei um Gruppennachweise. Man weiß dann oft nicht, um welche konkrete Substanz es sich handelt und wie viel davon drin ist«, sagt Tibor Harrach, der pharmazeutische Koordinator des Berliner Drugchecking-Projekts. »Ob weitere gefährliche Substanzen enthalten sind, zeigen die Testkits nicht an. Die Aussagekraft ist also sehr beschränkt.«

Daneben kursieren im Netz Listen mit Pillenwarnungen. Darin steht beispielsweise, dass gerade eine besonders starke orangefarbene Ecstasy-Pille in Form eines Donald-Trump-Kopfs im Umlauf sei oder ein Malaria-Medikament fälschlich als MDMA angepriesen wurde. »Diese Analyseergebnisse kommen nicht aus Deutschland, sondern aus den Drugchecking-Laboren in Österreich und der Schweiz«, erklärt Harrach. Über den konkreten Einzelfall sagen die Pillenwarnungen aber wenig aus. Manchmal sind Ecstasy-Tabletten unterschiedlich dosiert, obwohl sie sich äußerlich bis aufs Haar gleichen.

3. Wie effektiv ist das Angebot?

Mehrere Forschergruppen tüfteln an der Frage, wie die Zielgruppe überhaupt mit den Ergebnissen aus den chemischen Analysen umgeht. Der Suchtmediziner Felix Betzler von der Charité Universitätsmedizin rekrutierte dazu kürzlich rund 700 Teilnehmer aus der Berliner Klubszene. »Die Teilnehmer gaben an, dass sie ihr Verhalten je nach Testergebnis ändern würden«, erklärt der Forscher. »Stellt sich der Wirkstoffgehalt im Labor als besonders hoch heraus, wollten rund 90 Prozent der Befragten weniger nehmen. Sollte die Probe eine weitere, unerwartete Substanz enthalten, würden zwei Drittel ihre Drogen wegschmeißen«, so Betzler.

Offenbar regen die Ergebnisse also dazu an, den eigenen Konsum zu hinterfragen. Allerdings beziehen sich diese Willenserklärungen auf eine hypothetische Situation. Wie sieht es dort aus, wo Drugchecking schon Realität ist? In der oben erwähnten britischen Studie landete jede fünfte getestete Substanz prompt im bereitgestellten Drogenabfalleimer, der später der Polizei zur Vernichtung übergeben wurde. Wie rege der Entsorgungsservice genutzt wird, dürfte viel mit den Gegebenheiten vor Ort zusammenhängen.

Wie sich Drugchecking gesamtgesellschaftlich auswirkt, ist schwer zu sagen. In den Niederlanden blieb es offenbar weitestgehend beim Alten. Nachdem das Land 1992 das weltweit erste Drugchecking-Angebot einführte, wirkte sich das nicht auf die Zahl der Drogentoten aus. Die ist in den Niederlanden allerdings ohnehin niedriger als in den europäischen Nachbarstaaten. In Einzelfällen dürfte ein effizientes Analyse- und Warnsystem Leben retten.

In den Niederlanden warnen öffentliche Schilder und Leuchttafeln, wenn gefährlicher Stoff im Umlauf ist. Die erwähnte Superman-Pille tauchte beispielsweise auch in den dortigen Drugchecking-Laboren auf. Die Mitarbeiter erkannten die Gefahr und leiteten die Info an offizielle Stellen und die Medien weiter. Sogar das Fernsehen berichtete. In den Niederlanden blieb die Katastrophe aus. In Großbritannien forderte die Pille hingegen Tote. »Sie sind eine Konsequenz unserer unvernünftigen und auf Strafe ausgerichteten Drogenpolitik«, monierte der britische Psychiater David Nutt damals in der Tageszeitung »The Guardian«.

4. Was spricht dagegen, was dafür?

Drugchecking ist Teil der »Safer Use«-Strategie in der Präventionsarbeit. Der Gedankengang: Wenn Menschen schon Drogen nehmen, dann zumindest ohne vermeidbare zusätzliche Gefahren. Anstatt totale Enthaltsamkeit zu fordern (»Sag einfach nein!«), konzentriert sich dieser Ansatz also ganz pragmatisch auf Schadensbegrenzung: durch Spritzentauschprogramme, Tipps zum risikoärmeren Konsum – oder eben durch Drugchecking. Nicht alle können sich mit dieser Idee anfreunden. Ein »Förderprogramm für kriminelle Klans und deren Dealer« sieht der FDP-Innenpolitiker Marcel Luthe etwa in dem aktuellen Berliner Modellvorhaben. »Es ist nicht Aufgabe des Staates, den illegalen Handel und Konsum von Drogen zu fördern«, sagt Luthe laut der Presseagentur dpa.

Auch andere Stimmen äußern sich kritisch zu dem Vorstoß. Einige befürchten, die Analyseergebnisse könnten die Nutzer in falscher Sicherheit wiegen oder gar als Unbedenklichkeitsbescheinigung missverstanden werden. »Einen sicheren Konsum gibt es nicht – auch nicht mit Drugchecking. Das muss klar kommuniziert werden, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen«, betont der Charité-Forscher Felix Betzler. »Das Schädliche am Konsum sind meist nicht nur die Verunreinigungen, sondern auch die Substanz selbst. In diesem Punkt stimme ich den Kritikern zu. In diesem Punkt stimme ich den Kritikern zu. Aber auch hier können chemische Analysen dabei helfen, Überdosierungen zu vermeiden«, meint Betzler. »Aus suchtmedizinischer Sicht befürworte ich Drugchecking.«

»Einen sicheren Konsum gibt es nicht – auch nicht mit Drugchecking«Felix Betzler

Betzler sieht noch einen weiteren Vorteil: »Drugchecking geht oft mit einem Beratungsgespräch einher. Das Angebot lässt sich auch als Vehikel benutzen, um Informationen an die User zu bringen.« So kommt man mit Menschen ins Gespräch, die sonst nicht unbedingt den Fuß in eine Beratungsstelle setzen würde. »Für viele Nutzer ist Drugchecking der erste Kontaktpunkt mit dem sozialen Hilfesystem«, schreiben Ines Hungerbuehler und ihre Kollegen in einer Evaluationsstudie des Züricher Angebots.

Dank Drugchecking hat man also schon mal einen Fuß in der Tür. Doch was sagen eigentlich die Nutzer dazu, wenn ihnen ganz nebenbei ein Gespräch untergejubelt wird? »Die meisten unserer Befragten fanden es sinnvoll, dass die Maßnahme mit einem persönlichen Gespräch einschließlich einer Konsumreflexion verbunden ist«, sagt Betzler. Das deckt sich mit den Befunden zum Züricher Projekt: »Die Erfahrung zeigt, dass die Pflicht zur Beratung nur für sehr wenige ein Grund ist, eine Substanz nicht analysieren zu lassen«, so Hungerbuehler und ihr Team.

5. Was macht die Umsetzung in Deutschland so schwierig?

Schon 1995 gab es Versuche, Drugchecking auch hier zu Lande anzubieten. Das Berliner Partyprojekt Eve & Rave nahm anonym Proben entgegen. Um die chemische Analyse kümmerte sich das rechtsmedizinische Institut der Charité. Das Angebot hielt sich nicht einmal zwei Jahre: Im Sommer 1996 durchsuchte die Polizei zunächst die Vereinsräume von Eve & Rave, später sogar die Labore der Rechtsmedizin. Es kam zu Strafanzeigen gegen drei Mitglieder von Eve & Rave. Der Charité wurde die Sache zu heikel: Ohne politische Unterstützung für das Vorhaben wollte man keine weiteren Proben untersuchen.

Die rechtliche Situation von Drugchecking ist bis heute umstritten. Wenn Boten die Proben entgegennehmen und ins Labor schaffen, könnte ihnen das als strafbarer Besitz von Betäubungsmitteln ausgelegt werden – genau das warf die Staatsanwaltschaft damals den Mitgliedern von Eve & Rave vor. Das Gericht war anderer Auffassung und ließ keine Anklage zu. Die Unsicherheit blieb dennoch bestehen. Ein möglicher Ausweg: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte könnte ein Drugchecking-Projekt auf Antrag offiziell genehmigen. Diesen Weg empfiehlt auch ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags aus dem Jahr 2009. »Ob solchen Anträgen stattgegeben würde, ist nicht abschätzbar«, heißt es dort – der Erfolg hinge dann wohl auch vom Willen der Bundesregierung ab. Eine weitere Möglichkeit: Apotheken dürfen illegale Drogen ohne diese besondere Erlaubnis zur Analyse entgegennehmen.

Welche Strategie das neue Drugchecking-Projekt einschlagen wird, ist noch nicht bekannt. »Um die rechtliche Situation zu klären, wurde ein Gutachten bei dem Strafrechtsprofessor Cornelius Nestler in Auftrag gegeben«, so Tibor Harrach. Ein entscheidender Vorteil: Anders als bei den frühen Versuchen von Eve & Rave in den 1990er Jahren unterstützt der Berliner Senat diesmal das Vorhaben. Ob sich die Idee tatsächlich auf Landesebene durchsetzen lässt, bleibt offen. Tibor Harrach zeigt sich zuversichtlich: »Der rot-rot-grüne Senat hat Drugchecking im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Die nötigen Mittel dafür sind bereits im Landeshaushalt reserviert.« Läuft alles nach Plan, sollen noch in diesem Jahr die ersten Proben getestet werden.

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