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Schlichting!: Minivulkane am Strand

Steigendes Meerwasser verdrängt Luft aus dem Kapillarsystem des Untergrunds und wölbt am Strand Sandkegel auf. Der Tidenwechsel glättet sie wieder und hinterlässt manchmal rätselhafte Flecken – ein faszinierendes Schauspiel, nicht nur für Physiker.
Leuchtturm bei List auf Sylt

An manchen Stränden geht man im höhergelegenen und bei Ebbe relativ weit vom Wasser entfernten Bereich zuweilen wie auf Watte und sinkt ungewöhnlich tief in den Sand ein. Obwohl oft noch die Spuren der Überspülung von der letzten Flut zu sehen sind, hat sich hier anders als am Saum des Meeres kein trittfester Boden ausgebildet.

Auf dem weichen Teil des Strands erkennt man zahlreiche kleine Löcher und regelrechte Pusteln. Löst man vorsichtig eine Hand voll Sand aus dem Boden, ohne ihn zu zerdrücken, hält man eine Art Sandschaum; das Gefüge ist mit großen und kleinen Hohlräumen durchsetzt.

Beobachtet man das Geschehen über mehrere Tage, wird klar, dass die Gezeiten für die Durchlüftung verantwortlich sind. Bei Hochwasser wird ein wesentlich größerer Bereich eines sanft ansteigenden Strands von Wasser überspült als bei Niedrigwasser.

Im Sande des Meeres, den noch kein Linné nach seinen Gestalten geordnet hat
Georg Christoph Lichtenberg, 1742–1799

Sand besteht aus unregelmäßig geformten Körnern, die sich nur an einigen Stellen berühren. Dazwischen bilden sie ein zusammenhängendes Kapillarsystem. Dringt von oben Wasser ein, verdrängt es mit seinem Gewicht die enthaltene Luft. Sie kann nicht nach unten ausweichen, weil dort der Grundwasserspiegel bereits die Leerräume gefüllt hat. Also treibt die steigende Flut die Luft keilförmig aufwärts (siehe Illustration).

Steigendes Wasser | Das bei Flut steigende Wasser dringt unter dem Druck der eigenen Schwere in die luftgefüllten Kapillaren zwischen den Sandkörnern ein (hellbraun). Dabei schiebt es eine Front von feinen Luftströmen vor sich her. Sie können nur nach oben ausweichen, denn nach unten ist das Grundwasser im Weg (oliv).

Dadurch gerät das Gas unter Druck, weil die engen Kapillaren der Strömung einen Widerstand entgegensetzen. Dieser ähnelt dem, den man bei einer Einwegspritze spürt, wenn man Wasser herausdrückt, während sich eine Luftblase darin befindet. Sie wird durch den Kolben erheblich zusammengepresst. Einem derartigen Druck ausgesetzt, fließen die feinen Luftströme im Sand zusammen, sobald sie miteinander in Kontakt kommen. Schließlich entladen sie sich an der Oberfläche. Sie treten einerseits als Löcher im Boden in Erscheinung, andererseits wölben sich kleine Kegel auf, sofern die obere Lage luftdichte Bereiche enthält. Beide Strukturen prägen das Bild der Sandschaumschicht und werden bei Niedrigwasser weiträumig frei gelegt. Wenn man dann die Kegel vorsichtig mit einem Messer aufschneidet, kann man sich davon überzeugen, dass sich unter den Pusteln wirklich Hohlräume befinden.

Bei steigendem Meeresspiegel sieht man manchmal noch, wie die rhythmisch auf- und ablaufenden Wellen die Löcher überfluten und wieder frei geben. Dabei kann man verfolgen, wie direkt hinter der Front des auflaufenden Wassers, wo es nur wenige Zentimeter tief ist, aus den überschwemmten Löchern Blasen austreten.

Die Ebbe entwässert das zwischenzeitlich gefüllte Kapillarsystem und größere Hohlräume wieder, und durch den damit verbundenen Unterdruck wird Luft eingesogen. Manchmal entstehen währenddessen auch neue Löcher.

Sandkegel | Wenn sich bei Ebbe das Wasser zurückzieht, bleiben durchlöcherte und durch kleine Sandkegel geprägte Gebiete zurück.
Fußspuren | Im butterweichen, mit Luftblasen durchsetzten Sand sinkt man beim Laufen tief ein.
Fleckenmuster | Oft ebnet das Wasser den Boden aber auch und hinterlässt auffällige dunkle Fleckenmuster.

Diese Vorgänge liefern die Erklärung für ein weiteres Phänomen, das man an Stränden im Bereich des auf- und ablaufenden Wassers gelegentlich beobachtet: chaotisch verteilte dunkle Flecken auf dem hellen Sand oder sogar relativ geordnete Muster. Aus der Nähe betrachtet wird klar, dass hinter den Maserungen die Entmischung heller und dunkler Sandkörnchen steckt. Deren Färbung ist nur das sichtbare Zeichen eines wesentlicheren physikalischen Unterschieds, den man bereits durch Wägen in den Händen feststellen kann, sofern man mit etwas Geduld ungefähr die gleiche Menge an hellem und dunklem Material einsammelt. An dem Strand, auf den ich mich hier beziehe, weist der dunkle Sand eine größere Dichte auf als der helle. Der Wind entmischt beide häufig und lässt dünne Schichten entstehen.

Hinter zahlreichen alltäglichen Dingen versteckt sich verblüffende Physik. Seit vielen Jahren spürt H. Joachim Schlichting diesen Phänomenen nach und erklärt sie in seiner Kolumne. Schlichting ist Professor für Physik-Didaktik und arbeitete bis zur Emeritierung an der Universität Münster. Alle seine Beiträge finden sich auf dieser Seite.

Da die Kegel im Allgemeinen nicht erneut zur Entlüftung dienen, wenn sie bei der nächsten Flut wieder in den Einflussbereich des auflaufenden Wassers geraten, werden sie überspült und teilweise eingeebnet. Dabei trägt das Wasser zunächst die obere, meist helle Sandschicht der ehemals luftgefüllten Sandpusteln ab, und die darunterliegende dunkle Lage wird sichtbar. Wenn auch diese teilweise vom Meer mitgerissen wird, kommt manchmal die nächste darunterliegende helle Sandschicht zum Vorschein. Dadurch ergeben sich ringartige Strukturen.

Wenn die Gezeiten außerdem einen Teil dieser Sandkörner in Richtung des ablaufenden Wassers mit sich ziehen, hinterlassen sie oft strähnenartige Spuren. Über deren Ursprung kann der Strandwanderer vor allem dann ins Rätseln geraten, wenn er sie bei Niedrigwasser antrifft und nicht ahnt, dass einige Stunden vorher hier noch auf- und ablaufende Wellen gestalterisch am Werk waren.

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  • Quellen

Steenhauer, K. et al.: Subsurface Processes Generated by Bore-Driven Swash on Coarse-Grained Beaches. In: Journal of Geophysical Research 116, C04013, 2011

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