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Der Mathematische Monatskalender: Edmond Halley (1656-1742): Dem Nachthimmel so nah

Einige behaupten, seine Kenntnisse des Sternenhimmels seien so umfassend, dass es ihm sofort aufgefallen wäre, wenn sich die Position irgendeines Sterns am Himmel geändert hätte.
Giotto erkundet den Kometen Halley

Edmond Halley wurde als Sohn eines reichen Seifenfabrikanten in der Nähe Londons geboren. Obwohl der Vater einen großen Teil seines Vermögens durch den verheerenden Brand im Jahr 1666 verlor, konnte er seinem Sohn eine gute Ausbildung finanzieren. Dieser baute mit 15 Jahren bereits Sonnenuhren und beschäftigte sich mit den Schwankungen des magnetischen Erdfeldes. Zeitgenössische Quellen behaupten, seine Kenntnisse des Sternenhimmels seien so umfassend, dass es ihm sofort aufgefallen wäre, wenn sich die Position irgendeines Sterns am Himmel geändert hätte.

Mit 17 Jahren tritt Halley in das Queen's College in Oxford ein. Als er 20 Jahre ist, veröffentlicht er einen Beitrag über eine Mars-Bedeckung durch den Mond. Seine Studien in Oxford und am neu eröffneten Observatorium in Greenwich unterbricht er, als sich die Gelegenheit bietet, nach St. Helena zu reisen, dem südlichsten britischen Territorium im Atlantik. Dort erstellt er den ersten Katalog der Sterne des südlichen Sternhimmels mit den genauen Positionen von 341 Sternen. Auch führt er als erster Astronom Messungen zum Transit des Planeten Merkur vor der Sonne durch und bestimmt mithilfe des 3. Keplerschen Gesetzes – die Quadrate der Umlaufzeiten der Planeten sind proportional zu den dritten Potenzen der mittleren Entfernung zur Sonne – die Entfernung der Erde zur Sonne. Nach Oxford zurückgekehrt, wird Halley ohne Prüfungen graduiert und mit 22 Jahren jüngstes Mitglied der Royal Society.

Im folgenden Jahr entsendet diese ihn nach Danzig, damit er einen Streit zwischen dem 68jährigen Astronomen Johannes Hevelius (1611–1687) und Robert Hooke (1635-1701) schlichtet. Letzterer hatte behauptet, dass die ohne Fernrohr durchgeführten astronomischen Beobachtungen von Hevelius nicht stimmen könnten. Nach zweimonatiger Prüfung bestätigt Halley die Exaktheit der Heveliusschen Angaben.

Hooke war übrigens seit 1665 Professor für Geometrie in London und ab 1677 Sekretär der Royal Society. Er verbesserte den Aufbau des Mikroskops, führte den Begriff der »Zelle« ein, schlug den Schmelzpunkt des Eises als Nullpunkt für die Thermometer-Skala vor und fand das nach ihm benannte Hookesche Gesetz (linearer Zusammenhang zwischen Auslenkung und Belastung elastischer Körper, z. B. bei der Kraftmessung durch eine Federwaage).

Durch den schnell wachsenden Ruhm macht sich Halley seinen bisherigen Gönner, den obersten königlichen Astronomen, John Flamsteed (1646–1719), zum Feind. Dieser versucht – über lange Zeit erfolgreich – die weitere Karriere von Halley aufzuhalten.

1684 zeigt Halley, dass aus dem 3. Keplerschen Gesetz folgt, dass die zwischen den Himmelskörpern auftretenden Kräfte umgekehrt proportional zum Quadrat der Entfernung sind. Mit Hooke diskutiert er darüber, ob sich hieraus ableiten lässt, dass die Planetenbahnen Ellipsen sein müssen. Als er feststellt, dass Isaac Newton (1642–1727) die fehlenden Beweise längst gefunden, aber nicht veröffentlicht hat, drängt er diesen dazu, eines der bedeutendsten wissenschaftlichen Werke der Menschheitsgeschichte zu verfassen, die »Principia Mathematica«. Sein Einfluss auf Newton geht so weit, dass er selbst die Druckkosten übernimmt, Korrekturen liest und ein Vorwort verfasst.

Obwohl es ihm nicht gelingt, ein akademisches Amt zu erlangen, erregt Halley weiter Aufsehen durch seine innovativen Veröffentlichungen: 1686 erstellt er eine Weltkarte, auf der die vorherrschenden Winde und deren Richtungen eingetragen sind, und entwickelt eine Formel zur Höhenmessung mithilfe eines Barometers.

1693 veröffentlicht er »An Estimate of the Degrees of Mortality of Mankind«, in der er als Erster Sterbetafeln aufstellt. Hierfür verwendet er Aufzeichnungen, die in der schlesischen Stadt Breslau gemacht wurden. Diese Daten scheinen ihm besonders geeignet, da Breslau nur eine geringe Bevölkerungsfluktuation hat; in London beispielsweise starben zu dieser Zeit erheblich mehr Menschen als dort geboren wurden.

Diese Sterbetafeln ähneln den uns heute bekannten; sie geben an, wie viele von 1000 Einjährigen (!) ein Alter von 2 Jahren (885), ..., 10 Jahren (661), 20 Jahren (598), ..., 50 Jahren (346), ..., 70 Jahren (142), ... erreichen. Halley berechnet hieraus die Wahrscheinlichkeit (»odds«), dass eine Person eines bestimmten Alters noch eine bestimmte Anzahl von Jahren lebt. Aus der Angabe, dass von den 1000 Personen 531 ein Alter von 30 Jahren erreichen, schließt er, dass sie noch eine Lebenserwartung (»... may reasonably expect to live ...«) von etwa 27 weiteren Jahren haben, da gemäß Tabelle im Mittel 265 Personen 57 Jahre alt werden. Auch begründet er aus seiner Sterbetafel eine Produktregel für Wahrscheinlichkeiten, zum Beispiel für das Ereignis, dass zwei Personen noch eine gewisse Anzahl von Jahren zu leben haben.

Ab 1695 beschäftigt er sich intensiv mit den Bahnen der Kometen; im Unterschied zu Newton, der Parabelbahnen vermutet, glaubt er fest daran, dass sich auch Kometen auf elliptischen Bahnen bewegen. Dies bedeutet, dass der von ihm – zusammen mit dem italienischen Astronomen Giovanni Domenico Cassini (1625–1712) – im Jahr 1682 in Frankreich beobachtete Komet in der Vergangenheit regelmäßig zu sehen gewesen sein muss.

Mithilfe verschiedener Aufzeichnungen identifiziert er diesen Kometen mit dem aus den Jahren 1531 und 1607, danach auch mit den Daten von 1305, 1380 und 1456. Später, als seine Voraussage eintrifft, dass der Komet Ende des Jahres 1758 wieder zu sehen sein wird, gibt man diesem den Namen Halleyscher Komet.

Auf den Briefmarken aus Nicaragua und Dominica wird an die Beobachtungen von 1576 durch Erasmus Habermel (1538–1606), einem Zeitgenossen von Tycho Brahe, beziehungsweise von 1229 durch den arabischen Wissenschaftler Nasir al-din Al-Tusi (1201–1274) erinnert. Nach längeren Fahrten über den Atlantik gibt Halley im Jahr 1700 eine Karte heraus, auf der Orte mit gleicher Auslenkung des Kompasses durch Linien verbunden sind.

Endlich wird er im Jahr 1704 Nachfolger von John Wallis (1616–1703), dem ersten bedeutenden englischen Mathematiker, auf dem Lehrstuhl für Geometrie an der Universität von Oxford; seine Antrittsvorlesung löst bei den Zuhörern Begeisterung aus. Neben eigenen mathematischen Abhandlungen veröffentlicht er Übersetzungen der Werke von Apollonius von Perge (260–190 v. Chr.) über Kegelschnitte und von Menelaos von Alexandria (um 100 n. Chr.) über die Geometrie auf der Kugel (sphärische Trigonometrie).

Obwohl er bereits 64 Jahre alt ist, wird er 1720 Nachfolger von Flamsteed als »Astronomer Royal« in Greenwich; er nimmt dieses Amt noch 21 Jahre lang wahr. Flamsteeds Witwe ist über die Ernennung so erbost, dass sie alle von ihrem Ehemann angeschafften Instrumente verkaufen lässt, nur damit Halley sie nicht benutzen kann. Im Prioritätenstreit mit Leibniz ergreift Halley die Position des von ihm sehr verehrten Newton; der Bericht hierzu an die Royal Society trägt seinen Namen.

Sein Forschungsdrang lässt bis zu seinem Lebensende nicht nach; er verfasst wissenschaftliche Abhandlungen über Archäologie und über die Geschichte der Astronomie, aber auch über Lösungsverfahren für Gleichungen höheren Grades; er entwickelt eine Methode, wie man auf See durch Beobachtungen des Mondes den Längengrad des Ortes bestimmen kann. Durch Vergleich mit antiken Sternentafeln entdeckt er auch, dass Sterne eine Eigenbewegung haben.

November 2006

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