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Der Mathematische Monatskalender: Eratosthenes (276–194 v. Chr.): Der Erfinder der Geografie

Der griechische Gelehrte Eratosthenes von Cyrene gehört zu denjenigen bedeutenden Personen der Wissenschaftsgeschichte, von denen keine vollständigen Schriften erhalten sind – sein Wirken hat aber Spuren hinterlassen …
Eratosthenes

Geboren in der griechischen Siedlung Cyrene an der afrikanischen Mittelmeerküste (heute Libyen), erfuhr er eine umfassende Bildung, insbesondere in Athen. Bereits in frühen Jahren machte sich Eratosthenes dort als Gelehrter einen Namen. Den größten Teil des Lebens verbrachte er – bis zu seinem Tod – im ägyptischen Alexandria.

König (Pharao) Ptolemaios II hatte 285 v.  Chr. zunächst die Mitregentschaft, dann nach dem Tod seines Vaters Ptolemaios I (einer der Generäle Alexander des Großen und Begründer des Diadochenreichs) die Alleinherrschaft in Ägypten übernommen und die Hafenstadt Alexandria zu einem wichtigen Zentrum der antiken Welt gemacht. Die im Palastbezirk »Museion« angesiedelte Bibliothek mit (geschätzt über) 500 000 Schriftrollen entwickelte sich im Lauf der Jahre zur größten des hellenistischen Kulturraums. Unter den leitenden Personen dieser Bibliothek war auch der Dichter Callimachos, einer der Lehrer des Eratosthenes.

Nach dem Tod des Vaters im Jahr 246 v. Chr. folgte Ptolemaios III auf den Pharaonenthron. Die Erziehung seines Sohnes Philopator vertraute er Eratosthenes an; und nach Callimachos' Tod ernannte er diesen auch zum Leiter der Bibliothek.

In der Einschätzung seiner Bedeutung als Wissenschaftler findet man über Eratosthenes gelegentlich die Bezeichnung als »Pentathlos«, als ein Fünfkämpfer, der zwar in verschiedenen Gebieten überdurchschnittliche Leistungen erbringt, von denen aber jede für sich genommen nicht zu den hervorragendsten des jeweiligen Gebiets gehört. Auch die für ihn etwas spöttisch verwendete Bezeichnung als »Beta«, also als Zweiter, ordnet ihn nur scheinbar als zweitrangigen Wissenschaftler ein, bedeutet jedoch lediglich, dass er Zweiter war hinter dem »Alpha« seiner Zeit, und damit war sein Freund Archimedes gemeint.

Eratosthenes gilt als einer der Mathematiker der Antike, dem eine Lösung des so genannten delischen Problems gelang: Gemäß einer Legende hatte das Orakel von Delos den Bewohnern der Insel zur Verhütung einer Pestepidemie den Rat gegeben, das Volumen des würfelförmigen Altars im Apollon-Tempel zu verdoppeln. Dass eine Konstruktion der Altarseitenlänge allein mit Zirkel und Lineal nicht möglich ist, ahnten bereits die Mathematiker des Altertums; den Beweis konnte erst der französische Mathematiker Pierre-Laurent Wantzel im Jahr 1837 erbringen.

Hippokrates von Chios (dessen »Möndchen« die damalige mathematische Welt in Erstaunen setzten und uns auch noch heute faszinieren, siehe oben) fand heraus, dass eine Lösung der Gleichung b3 = 2a3 möglich ist, wenn es gelingt, Zwischengrößen x und y (so genannte mittlere Proportionale) zu konstruieren, welche die Verhältnisgleichung a : x =  x : y =  y : b  mit b = 2a erfüllen. Für die Größe x gilt dann x = a · ∛2.

Menaichmos (zirka 380–320 v. Chr.) löste das Problem mit Hilfe zweier Parabeln mit a = 2q = 1 und b = 2p = 2, siehe unten.

Eratosthenes entwickelte ein mechanisches Lösungsverfahren, auf das er so stolz war, dass er eine Gedenktafel an einer Säule im Tempel anbringen ließ. Seine geniale Idee brachte ihm allerdings boshafte Kommentare einiger Zeitgenossen ein; denn die mechanische Lösung galt als eine für einen Mathematiker unwürdige Methode. Die von ihm als »Mesolabium« bezeichnete Apparatur besteht aus drei dünnen, gleich großen rechteckigen Tafeln, in denen jeweils eine Diagonale markiert ist und die horizontal gegeneinander verschiebbar sind, so dass sie auch teilweise übereinander liegen können. Der obere linke Eckpunkt der linken Tafel wird mit dem Mittelpunkt der rechten Seite der rechten Tafel »flexibel« verbunden (zum Beispiel durch Auflegen eines Lineals). Dann werden die beiden rechten Tafeln so weit nach links verschoben, dass deren Diagonalen sich mit der »flexiblen« Linie am jeweils linken Rand schneiden, siehe unten. Mit Hilfe der Strahlensätze liest man dann ab, dass die Strecken in der entstandenen Figur die oben angegebene Verhältnisgleichung erfüllen.

Mit dem Namen des Eratosthenes untrennbar verbunden ist ein Algorithmus, der vermutlich nicht von ihm selbst stammt, wohl aber dessen Bezeichnung als »Sieb«: In einer Tabelle mit natürlichen Zahlen bis zu einem Maximalwert n werden nacheinander alle Zahlen größer 2 gestrichen, die durch p1 = 2 teilbar sind. Die kleinste nicht gestrichene natürliche Zahl ist dann die Primzahl p2 = 3; deren Vielfache werden im zweiten Schritt gestrichen. Das Verfahren wird mit den nächsten gefundenen Primzahlen p3 = 5, p4 = 7, … bis zu einer Primzahl pk ≤ √n fortgesetzt. Alle bis dahin noch nicht gestrichenen Zahlen haben die Eigenschaft, Primzahlen zu sein.

Besonders hervorzuheben sind auch die Leistungen des Eratosthenes in der Astronomie: Mit großer Gewissenhaftigkeit verfasste er einen Sternenkatalog einschließlich der Helligkeitsangaben der Sterne und ergänzte dies durch eine Sammlung von Sagen über 44 Sternbilder. Er bestimmte mit erstaunlicher Genauigkeit die Schiefe der Ekliptik, also den Neigungswinkel zwischen der Ebene, in der sich die Sonne scheinbar im Lauf eines Jahres bewegt, gegenüber der Äquatorebene der Erde. Damit das Fest der Göttin Isis möglichst immer auf den selben Tag eines Jahres fällt, schlug er – 193 Jahre vor der Julianischen Kalenderreform – seinem Herrscher vor, alle vier Jahre einen Schalttag einzuführen.

Berühmt wurde Eratosthenes durch seine Methode, den Umfang der Erdkugel zu bestimmen: Auf Grund der Daten, die in der von ihm geleiteten Bibliothek gesammelt waren, wusste er, dass die Entfernung zwischen den Städten Alexandria und Syene (am nördlichen Wendekreis, heute: Assuan) zirka 5000 »Stadien« betrug. Unter der Annahme, dass beide Städte auf demselben Längengrad liegen und dass die Sonnenstrahlen parallel zueinander in den beiden Orten eintreffen (was beides nicht genau stimmt), ließ er am Tag der Sommersonnenwende mittags den Winkel der Sonnenhöhe messen: In Syene stand die Sonne im Zenit, in Alexandria war sie 7° 12' davon entfernt, das ist ein Fünfzigstel von 360°. Die Entfernung zwischen den beiden Städten entspricht daher ebenfalls einem Fünfzigstel des Erdumfangs. Man weiß leider nicht, welches heutige Maß der Länge von einem »Stadion« entspricht. Betrachtet man aber die tatsächliche Entfernung zwischen den beiden Orten (835 km), dann ergibt sich hiermit ein Erdumfang von zirka 41 750 km – eine Abweichung von nur 4,2 Prozent von der Realität.

Eratosthenes gilt als der »Erfinder« der Geografie (»geo« =  Erde, »graphein« = zeichnen). In seinem dreibändigen Werk, in das er seine Erkenntnisse über die Kugelgestalt der Erde und die Bestimmung des Erdumfangs integrierte, setzte er Maßstäbe für eine neue Wissenschaft: Über die Beschreibung der Landschaften hinaus sollen möglichst viele konkrete Daten erfasst werden. Er selbst erstellte eine Liste mit den Namen von 400 Städten der »Oikumene« (= der bekannte besiedelte Bereich der Erde) mit Angaben über deren Lage mit Hilfe eines kartografischen Netzes sowie deren Zugehörigkeit zu bestehenden Staaten. Die in seinem Werk niedergeschriebenen Kenntnisse entnahm er – durchaus kritisch – den zahlreichen Reiseberichten, die in der Bibliothek gesammelt waren. Der Universalgelehrte schrieb außerdem Gedichte und verfasste Schriften zur Philosophie, zur Musiktheorie und zur Geschichte; er war der Erste, der den Versuch unternahm, eine Chronologie der dokumentierten historischen Ereignisse zu erstellen und diese zu Epochen zusammenzufassen.

Eratosthenes (276–194 v. Chr.)

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