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Tumoren: Fakten über Brustkrebs und seine Behandlung

Rechtzeitig erkannt, kann Brustkrebs heute meist gut behandelt werden - ohne dass dafür die Brust amputiert werden muss. Wie entsteht der Tumor, und wie wird er heute bekämpft?
Brustuntersuchung

Diagnose: Selbst ist die Frau

Es lohnt sich, den eigenen Körper aufmerksam wahrzunehmen. Denn am häufigsten entdeckt eine Frau den Tumor in ihrer Brust selbst. Tastbar ist er ab einer Größe von ein bis zwei Zentimetern, abhängig von der Struktur der Brust und davon, wo der Tumor liegt. "Frauen wissen heutzutage, dass Brustkrebs eine Erkrankung ist, um die sie sich kümmern müssen", sagt Sven Becker vom Universitätsklinikum Frankfurt. Wenn eine Frau einen Knoten in der Brust spüre, gehe sie zum Arzt. "Je früher, desto besser", sagt der Gynäkologe.

Ist der Tumor zum Zeitpunkt der Diagnose weniger als zwei Zentimeter groß, überleben laut einer Studie aus dem Jahr 2004 etwa 85 von 100 betroffenen Frauen die nächsten zehn Jahre. Ist der Tumor bei der Diagnose dagegen größer als fünf Zentimeter, überleben weniger als 60 diese Zeitspanne. Neben der regelmäßigen Brustuntersuchung gibt es drei weitere Prozeduren für das Aufspüren von Brustkrebs: die Mammografie, den Ultraschall und die MRT-Untersuchung.

Alle Methoden können nur Hinweise auf einen möglichen Brustkrebs geben. Die endgültige Diagnose liefert die Biopsie. Dabei werden entweder einzelne Zellen aus der verdächtigen Stelle abgesaugt oder zylinderförmige Gewebeproben von der Größe eines Reiskorns entnommen. Im Labor wird geprüft, ob es sich um Krebs handelt. Gehen die bösartigen Veränderungen von den Zellen der Drüsenläppchen aus, spricht man von einem invasiven lobulären Brustkrebs. Das viel häufigere "duktale Mammakarzinom" entsteht in den Milchgängen der Brust. Vor der Therapie werden der Tumor und seine Umgebung weiter charakterisiert: Gibt es Lymphknotenmetastasen? Tragen die Tumorzellen Rezeptoren für die Hormone Östrogen und Progesteron oder den Wachstumsfaktor HER2?

Mammografie | Die gängigste Methode, um Brustkrebs nach dem Anfangsverdacht aufzuspüren, ist die Mammografie. Doch ihr Nutzen und ihre Leistungsfähigkeit sind umstritten.

Mit Hilfe von molekularbiologischen Tests versucht man immer mehr, die individuellen Eigenschaften der Krebszellen einzuschätzen und die Therapie darauf abzustellen. Ein Beispiel dafür ist der Oncotype-Brustkrebstest, der die Aktivität von 21 Genen im Tumorgewebe erfasst. Bei einer Studie unter der Leitung von Joseph Sparano vom Montefiore Medical Center in New York hatten 1626 von insgesamt über 10 000 Frauen (mit einem hormonrezeptorpositiven, HER2-negativen Brustkrebs) laut dem Gentest ein niedriges Risiko für einen Rückfall. Diese Frauen erhielten daraufhin nur die Hormon- und keine Chemotherapie. Nach fünf Jahren hatten mehr als 98 Prozent der Frauen keinen Rückfall erlitten, die Chemotherapie konnte ohne Risiko eingespart werden. Der Test eignet sich offenbar, um im Voraus festzustellen, ob bei dieser Art von Krebs – der Tumor war höchstens fünf Zentimeter groß, die Lymphknoten nicht befallen – auf eine Chemotherapie verzichtet werden kann.

Eine ähnliche Hilfestellung für die Prognose einer Brustkrebserkrankung erhofft sich Klaus Pantel über den Nachweis von Tumorzellen im Blut der Patientinnen. "Tumorzellen im Blut können in einer frühen Phase der Erkrankung Hinweise darauf geben, ob die Patientin später Metastasen bekommt", sagt der Mediziner vom Institut für Tumorbiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Im Labor dort gelingt es, eine Tumorzelle unter Millionen von Blutzellen herauszufischen. Das Verfahren eignet sich, um vorherzusagen, ob der Tumor streuen wird, und auch um während einer Therapie festzustellen, ob die Medikamentenkombination anschlägt.

Brustkrebs ist eine Gruppe von Erkrankungen

Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs. Je nach genetischem Profil werden die Tumoren heute in vier Hauptklassen unterteilt. 30 bis 40 Prozent aller Brusttumoren gehören zum "Luminal-A-Typ". Die Krebszellen tragen Rezeptoren für die Hormone Östrogen und Progesteron, vermehren sich langsam (niedrige Werte des Wachstumsmarkers "k-67"), das Rückfallrisiko ist niedrig. Neben Operation und Bestrahlung reicht für die Behandlung meist eine Antihormontherapie. Anders der Luminal-B-Typ (20 bis 30 Prozent aller Brusttumoren): Eine Chemotherapie ist zusätzlich zur Blockade der Hormone nötig, da sich die Tumorzellen rasch vermehren, der k-67-Marker ist hoch.

Bei jeder fünften bis zehnten Frau mit Brustkrebsdiagnose tragen die Tumorzellen den Rezeptor für den Wachstumsfaktor HER2. Zusätzlich zu Operation, Bestrahlung und Chemotherapie kann die Vermehrung der Tumorzellen durch eine Blockade des HER2-Rezeptors, etwa über den therapeutischen Antikörper Trastuzumab, gehemmt werden. Fehlen die Rezeptoren für Progesteron, Östrogen und HER2 auf den Tumorzellen, spricht man von einem dreifach negativen oder triple-negativen Brustkrebs. Dahinter verbergen sich bei genauer molekularbiologischer Analyse mindestens sieben weitere Untergruppen des Brustkrebses.

Die feinere Charakterisierung des Brustkrebses sollte in Zukunft eine individuell abgestimmte Therapie ermöglichen. Allerdings bietet die genomische Analyse von Tumorzellen immer nur eine Augenblicksaufnahme zum Zeitpunkt der Probennahme. Doch Krebs ist eine Erkrankung mit zeitlich und räumlich veränderbarem Charakter, die Tumorzellen können ihr Gesicht wechseln. Das muss bei der Planung und Beobachtung von Therapien berücksichtigt werden.

Bei klinischen Studien mit neuen Arzneistoffen, die zielgenau einzelne Moleküle oder Prozesse einer Gruppe von Tumorzellen angreifen, muss man sorgfältig auf die Auswahl der Patienten achten. Ein Medikament kann sich als nutzlos erweisen, wenn sich in der Studiengruppe zu wenig Teilnehmer befinden, bei denen das Medikament überhaupt wirken kann. "Statistisch wäre die Wirkung des Medikaments Trastuzumab nicht aufgefallen, wenn man in den klinischen Studien nicht eine Untergruppe von Frauen mit HER2-positivem Krebs gebildet hätte", sagt Sibylle Loibl von der German Breast Group in Neu-Isenburg.

Mammografie-Screening – muss das sein?

"Der Radiologe erklärte meiner 50-jährigen Freundin, ihre Brüste seien sehr dicht. 'Danke!', zwitscherte sie geschmeichelt. Ich musste ihr erklären, dass der Arzt nicht die durchaus bewundernswerte Festigkeit ihres Busens gemeint hatte. [...] Dichte Brüste erschweren die Interpretation der Mammografie, und Frauen mit dichtem Busen haben ein höheres Brustkrebsrisiko", schreibt Florence Williams in ihrem Buch "Der Busen – Meisterwerk der Evolution" aus dem Jahr 2013. Die amerikanische Wissenschaftsjournalistin weist damit auf ein Kernproblem der Mammografie hin. Rasch wachsende Tumoren sind bei der Mammografie nicht oder nur schwer zu erkennen, wenn sie von viel Drüsengewebe umgeben sind. Bei dichtem Drüsengewebe sinkt die Empfindlichkeit der Mammografie von 85 auf 68 Prozent. Nur die wenigsten Frauen werden hier zu Lande (im Gegensatz zu den USA) vom Arzt über die Dichte ihrer Brüste und damit über die Aussagekraft der Mammografie aufgeklärt.

"Die Mammografie ist besonders treffsicher im Nachweis besonders langsam wachsender Karzinome und besonders unsicher im Nachweis besonders rasch wachsender Karzinome, so dass sie sowohl Über- als auch Unterdiagnosen erzeugt", sagt Christiane Kuhl, Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie an der RWTH Aachen. Die Leistungsfähigkeit variiere je nach Zusammensetzung der Brust, und das Sensitivitätsprofil der Methode laufe dem Bedarf zuwider. Dabei hatte alles so gut angefangen. "Der Radiologe ist zum potenziellen Retter von Frauen – und ihren Brüsten – geworden", sagte der New Yorker Arzt Philip Strax 1971 nach Abschluss der HIP-Studie, einer Mammografie-Reihenuntersuchung. Insgesamt hatten 62 000 Frauen über einen Zeitraum von acht Jahren teilgenommen. In der Mammografiegruppe starben 31 Frauen an Brustkrebs, in der Kontrollgruppe 52. Umgerechnet entspricht das einer Reduktion der Sterblichkeit von 40 Prozent.

In Deutschland werden seit 2007 Frauen zwischen 50 und 69 alle zwei Jahre zum Mammografiescreening eingeladen. Die bisherigen Zahlen fallen bescheiden aus. "Wenn wir 1000 Frauen innerhalb von zehn Jahren untersuchen, entdecken wir vier Karzinome ohne Screening. Mit Screening entdecken wir fünf", sagt Rüdiger Schulz-Wendtland, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Senologie. Die Früherkennung kann die Sterblichkeit durch Brustkrebs leicht verringern. Das zeigt auch die Auswertung mehrerer Studien durch die Cochrane Collaboration. Durch das Screening sinkt die Sterblichkeit danach um 15 Prozent, das heißt, bei 2000 Frauen wird ein Todesfall vermieden.

Mammogramm | Während der Mammografie wird ein Mammogramm erstellt, auf dem potenzielle Tumoren zu sehen sind. Je dichter das Brustgewebe ist, desto schwieriger und unzuverlässiger wird aber die Diagnose.

Die Frage sei nicht, ob das Screening durchgeführt würde, sondern wie Über- und Unterdiagnosen reduziert werden könnten, schreiben Alison Chetlen und ihre Kolleginnen vom Penn State Hershey Breast Imaging Department of Radiology. Bei der Überdiagnose werden Krebs oder Krebsvorstufen entdeckt, die der Frau zu Lebzeiten keine Beschwerden gemacht hätten. Die Frauen werden unnötig behandelt, leiden unter den Nebenwirkungen der Medikamente und unberechtigter Angst. Bei der Unterdiagnose werden gefährliche Tumoren wegen der eingeschränkten Möglichkeiten der Methode nicht erkannt. Die Radiologin Christiane Kuhl plädiert dafür, die MRT, allerdings eine teure und aufwändige Methode, verstärkt einzusetzen. "Je höher die biologische Aggressivität und prognostische Bedeutung eines Mammakarzinoms ist, desto sicherer wird es MR-tomografisch zu diagnostizieren sein", sagt Kuhl. Die hohe diagnostische Treffsicherheit der MRT ist darüber hinaus von der Dichte des Drüsengewebes unabhängig. Bisher wird eine MRT nur als Spezialuntersuchung für Problemfälle durchgeführt. Eine Veränderung des Protokolls, so Kuhl, könne die Untersuchungszeit auf drei Minuten drosseln und damit Aufwand und Kosten erheblich senken.

Mysterium Metastase

"Bei 85 von 100 Frauen wird der Brustkrebs heute geheilt. 15 Frauen sterben – nicht am Tumor in der Brust, sondern an den Metastasen", sagt Sven Becker vom Universitätsklinikum Frankfurt. Bis heute versteht man überraschend wenig davon, wie sich ein Tumor im Körper ausbreitet. Wann und über welche Route verlassen Krebszellen den ursprünglichen Tumor? Entstehen alle Metastasen direkt aus diesem "Primärtumor", oder erfolgt die Ausbreitung kaskadenartig etwa über erste Ableger in Leber oder Lunge?

Eines steht fest: Eine Tumorzelle muss viele Hürden überwinden, bevor sie sich in einem anderen Organ niederlassen kann. Die Metastasierung ist ein sehr ineffizienter Prozess, geschätzte 99,98 Prozent der gestreuten Tumorzellen sterben. Überraschend häufig gelingt den Krebszellen zwar der Ein- und Austritt aus dem Blutkreislauf, und andere Organe werden innerhalb von Minuten erreicht. Doch nur extrem wenige Zellen schaffen es, sich im fremden Organ niederzulassen und sich zu vermehren. Jeder Tumor hat Organe, in denen er besonders gerne Ableger ausbildet. Je nach Art des Brustkrebses sind dies hauptsächlich die Knochen, Lunge, Gehirn, Leber und entfernt liegende Lymphknoten. Die Vorliebe von Tumorzellen mit Östrogenrezeptoren für den Knochen lässt sich durch den recht hohen Spiegel an Östrogen im Knochen erklären. In der Krebsforschung versucht man, noch weitere Faktoren zu finden und therapeutisch auszuschalten, die es den Tumorzellen ermöglichen, sich in fremder Umgebung heimisch zu fühlen.

Eine Hauptstrategie zur Verhinderung der Metastasierung ist die Früherkennung von (Brust-)Krebs. Je kleiner der Tumor ist, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass er bereits gestreut hat, so die Idee, die auf den amerikanischen Arzt William Halsted zurückgeht. Wenn das zutrifft, müsste ein effektives Screening, das den Brustkrebs früh entdeckt, die Rate an Metastasierung senken. Für Brustkrebs ist das nicht der Fall. Wie Gilbert Welch und seine Kollegen jetzt im "New England Journal of Medicine" berichten, ist die Häufigkeit von metastasierendem Brustkrebs – trotz Screening in vielen Ländern – von 1975 bis heute unverändert.

Hierfür gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten: Entweder ist die Mammografie nicht empfindlich genug, um gefährliche Tumoren rechtzeitig aufzuspüren, oder die Halsted-Idee vom stetigen Voranschreiten der Erkrankung stimmt so nicht. Xin Jin und Ping Mu vom Cancer Program des Broad Institute of MIT and Harvard sind der Meinung, dass bei Patienten, die ein hohes Risiko für eine Metastasierung haben, die Streuung der Krebszellen vom Ursprungstumor zum Zeitpunkt der Diagnose bereits stattgefunden hat. Selbst eine radikale Operation wird diesen Zellen nichts anhaben können. Sinn macht es, das Überleben und Wachstum der Tumorzellen im fremden Organ zu blockieren. Genau das geschieht während einer Chemotherapie, bei denen Krebszellen über Zytostatika, Hormon- oder Wachstumsfaktorblockade angegriffen werden. Das Ziel der Forschung sollte sein, diesen Angriff immer gezielter zu gestalten, um die Nebenwirkungen der Therapie zu verringern.

Brust-OP: Je radikaler, desto besser?

William Halsted (1852-1922) war ein kerniger Typ. Er operierte seine Mutter auf dem Küchentisch an der Gallenblase. Dem amerikanischen Chirurgen verdanken wir die Idee, der Tumor in der Brust einer Frau müsse rigoros entfernt werden, um das Risiko für einen Rückfall zu minimieren. Die Brust wurde abgenommen, Muskeln und Schlüsselbein durchtrennt, die Frau entstellt. Halsteds "Je radikaler, desto besser" hat sich als falsch erwiesen. 90 Jahre galt die radikale Mastektomie als das Nonplusultra. Doch 1981 zeigte eine Studie mit 1765 Patientinnen: Die Häufigkeit von Rückfall, Metastasenbildung und die Mortalität ist gleich, egal ob die Frauen mit einer radikalen oder einfachen Mastektomie behandelt wurden oder ob der Tumor herausoperiert und die Brust danach bestrahlt wurde. "Heutzutage werden 70 Prozent der Frauen brusterhaltend operiert", sagt Bernd Gerber von der Universitätsfrauenklinik in Rostock. Je kleiner der Tumor und je besser die Fähigkeiten des Chirurgen, desto niedriger ist die Mastektomierate.

Doch der Weg zur brusterhaltenden Operation war von Widerständen begleitet. Die Idee des "Viel bringt viel" hatte sich tief in das Bewusstsein eingegraben, die Angst vor der Unberechenbarkeit der Krankheit sitzt tief. So lehnte Nancy Reagan 1987 einen brusterhaltenden Eingriff ab und entschied sich wegen eines kleinen Tumors für die komplette Entfernung ihrer linken Brust. Viele Frauen schlossen sich diesem berühmten Fall an, die Anzahl der Mastektomien stieg in den USA vorübergehend wieder um ein Viertel. Dabei bringt es einer Frau mit einem kleinen Tumor nichts, wenn die gesamte Brust abgenommen wird. Ebenso wenig hilft eine radikale Mastektomie einer Patientin mit metastasierendem Brustkrebs. Hier hat sich die Krankheit längst im Körper ausgebreitet.

Mit Widerständen hat zurzeit auch Bernd Gerber zu kämpfen. Der Rostocker Gynäkologe und seine Mitarbeiter haben die "INSEMA-Studie" ins Leben gerufen, die im September 2015 deutschlandweit an den Start ging. Gerber ist der Ansicht, dass es bei Frauen mit einem bis zu fünf Zentimeter großen Brusttumor unnötig ist, den Wächterlymphknoten zu entfernen, wenn dieser laut Ultraschall und Tastbefund nicht vom Krebs befallen ist. Nicht alle seiner Kollegen teilen diese Meinung, wobei es ihnen, so Gerber, weniger um die Sicherheit als vielmehr um die Erlöse gehe. Noch vor 20 Jahren wurden sämtliche Lymphknoten der Achsel, seit etwa zehn Jahren routinemäßig nur noch der Wächterlymphknoten der betroffenen Körperseite entfernt. Dabei hat die Operation an der Achsel nachweislich keinen Einfluss auf die Brustkrebssterblichkeit. "Vom Lymphknoten selbst geht keine Gefahr aus. Wenn der Lymphknoten befallen ist, ist das nur ein Indikator dafür, dass der Tumor im Körper streuen kann", sagt Gerber.

Wie aggressiv ein Tumor ist, kann heutzutage über die Gewebeuntersuchung und die molekularbiologische Signatur der Krebszellen festgestellt werden. Der Wächterlymphknoten, so er denn nicht vom Krebs befallen ist, kann im Prinzip bleiben, wo er ist. Sollten sich Tumorzellen darin aufhalten, werden sie durch die Chemotherapie und Bestrahlung mitbehandelt. Gerber hofft mit Hilfe der Studie an insgesamt 6000 Patientinnen zeigen zu können, dass die sparsame Operationsvariante sicher ist und die Frauen weniger an Komplikationen wie Lymphödemen und Taubheitsgefühl leiden.

Chemotherapie und ihre Folgen

Einer der Grundpfeiler der Behandlung von Brustkrebs ist die Chemotherapie. Sie wird auch "adjuvante" Therapie genannt, weil sie nach der Operation und Bestrahlung die Behandlung unterstützt (von lateinisch: adjuvare = unterstützen): Tumorzellen, die sich möglicherweise im Körper ausgebreitet haben, sollen abgetötet, das Rückfallrisiko soll minimiert werden. Immer häufiger wird auch die "neoadjuvante" Therapie angewandt. Hierbei erhalten die Patientinnen die Medikamente bereits vor der Operation. Große Tumoren können so verkleinert, das Ausmaß des Eingriffs verringert und womöglich kann brusterhaltend operiert werden. Außerdem lassen sich bei einigen Brustkrebstypen mit Hilfe der neoadjuvanten Therapie die Langzeiterfolge verbessern. Bei Frauen, deren Tumor durch diese Art Therapie komplett verschwindet, verbessert sich die Überlebensrate, besonders dann, wenn es sich um eine aggressive Tumorvariante handelt. Das zeigte eine Analyse von zwölf klinischen Studien, bei denen insgesamt fast 12 000 Patientinnen erfasst wurden.

Für zwei Brustkrebsarten verspricht man sich von der frühen Medikamentengabe besonders viel: von dem HER2-positiven und dem triple-negativen Brustkrebs. "Bei allen Frauen mit diesen Krebstypen sollte die neoadjuvante Therapie in Betracht gezogen werden", sagt Sibylle Loibl von der German Breast Group. Bestandteil einer solchen Behandlung bei HER2-positivem Brustkrebs ist Trastuzumab, ein therapeutischer Antikörper, der sich gegen das HER2-Molekül richtet und seit 1998 zugelassen ist. Bei Frauen, die einen Tumor mit HER2 auf der Zelloberfläche haben, verringert sich das Rückfallrisiko um die Hälfte, wenn Trastuzumab und eine klassische Chemotherapie kombiniert werden.

Bei bis zu 40 Prozent der Frauen mit HER2-positivem Brustkrebs können die Tumorzellen jedoch resistent gegenüber Trastuzumab werden oder sein. Das Medikament kann diesen Zellen dann nichts mehr anhaben. Inzwischen gibt es andere Substanzen, die den HER2-Rezeptor an anderen Bereichen blockieren als Trastuzumab, die Antikörper Pertuzumab und Lapatinib etwa. Kombiniert man nun eines dieser beiden Medikamente mit Trastuzumab, verbessert sich die Wirkung, und die Wahrscheinlichkeit, dass die Tumorzellen resistent gegen die Behandlung werden, sinkt. Seit Juli 2015 ist Pertuzumab in Kombination mit Trastuzumab und einer Chemotherapie für die neoadjuvante Therapie von Brustkrebs (HER2-positiv) zugelassen. Die Behandlung erhöht die Chance auf eine langfristig bessere Prognose. Aber die doppelte Blockade des HER2-Rezeptors hat ihren Preis: mehr Nebenwirkungen und hohe Kosten. Pooja Advani und ihre Kollegen von der Mayo Clinic in Jacksonville (USA) fordern daher, dass Biomarker entwickelt werden, mit denen vorab festgestellt werden kann, welche Frau von einer kombinierten HER2-Therapie profitieren und für welche die Gabe von Trastuzumab allein ausreichen würde.

Immuntherapien bei Brustkrebs

Wir leben in einer revolutionären Zeit. Davon ist zumindest Sven Becker überzeugt. "Immer mehr ist über die molekularen Zusammenhänge beim Brustkrebs bekannt, und wir erleben geradezu eine Explosion von therapeutischen Substanzen, die in einzelne Krankheitsprozesse eingreifen können", sagt der Gynäkologe vom Universitätsklinikum Frankfurt. Viel erwartet Becker von der Immuntherapie, und hier besonders von den so genannten Immun-Checkpoint-Inhibitoren: "Diese Hemmstoffe sind für die Behandlung von Hautkrebs bereits zugelassen, und nun laufen massenweise Studien bei anderen Krebsarten. Gerade Frauen mit einem triple-negativen (TN-)Brustkrebs könnten von dieser Art Immuntherapie profitieren", sagt Becker.

Schon seit Langem weiß man, dass das Immunsystem des Körpers entscheidend daran beteiligt ist, ob eine Tumorzelle im Körper Fuß fassen und sich vermehren kann. Auch wenn ein Tumor sich etabliert hat, versucht die Abwehr gegenzusteuern. So war die Prognose in einer Studie mit 256 Frauen mit TN-Brustkrebs umso besser, je mehr Immunzellen in das Tumorgewebe eingewandert waren. Eigentlich müsste die Körperabwehr auf die Tumorzellen bei HER2-positivem oder TN-Brustkrebs gut ansprechen. Beide Typen sind genetisch eher instabil, was die Chance erhöht, von Immunzellen als "auffällig" erkannt und beseitigt zu werden.

Doch einige Tumorzellen entkommen der Körperabwehr, weil sie Moleküle auf ihrer Oberfläche tragen, die die Immunabwehr ausbremsen. Normalerweise schützen diese Bremsen, auch "Checkpoint-Moleküle" genannt, den Körper vor einer zu starken und vor allem gegen sich selbst gerichteten Immunantwort. "Immun-Checkpoint-Inhibitoren wie der Antikörper Ipilimumab lösen diese Bremse wieder, und die Immunzellen können die Tumorzellen erneut attackieren", sagt Sibylle Loibl von der German Breast Group. Auch sie erhofft sich viel von der Immuntherapie, besonders für die Frauen mit aggressiven Brustkrebstypen. Solche Immuntherapien sind allerdings nur sinnvoll, wenn vor der Behandlung geprüft wurde, ob die Tumorzellen der Frau tatsächlich die Immunbremse gezogen haben.

Auch einige klassische Chemotherapeutika verdanken ihren Effekt zum Teil dem Immunsystem. Anthracycline etwa steigern die Menge derjenigen T-Zellen im Körper, die Tumorzellen abtöten können. Und der therapeutische Antikörper Trastuzumab fördert die Beseitigung der Krebszellen durch T-Zellen und steigert die Menge an Killerzellen. Im Experiment an Mäusen konnten Forscher aus der Schweiz und Deutschland mit Hilfe einer Kombination von Chemotherapie, Trastuzumab und Immuntherapie jetzt sogar solche Brustkrebszellen effektiv beseitigen, die eigentlich resistent gegenüber der Wirkung von Trastuzumab sind. Möglicherweise kann eine gut ausbalancierte Kombinationstherapie bald die Effektivität der Einzelkomponenten, auch bei niedrigerer Dosierung, steigern und die Nebenwirkungen verringern.

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