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Der Mathematische Monatskalender: François Arago (1786–1853): Abenteuerlicher Forscher

Um den Meridian zwischen Barcelona und Dünkirchen zu vermessen, begibt sich Arago in ein Kriegsgebiet – und wird für einen Spion gehalten.

Dominique François Jean Arago wächst zusammen mit acht Geschwistern im Städtchen Estagel (Roussillon) auf, wo sein Vater als Bürgermeister und Friedensrichter tätig ist. Auf dem Collège im 18 Kilometer entfernten Perpignan entdeckt er seine Liebe zur Mathematik. Mit 17 Jahren legt er erfolgreich die Aufnahmeprüfung für die École Polytechnique in Paris ab. Sein Prüfer ist Louis Monge, Bruder von Gaspard Monge, dem damaligen Leiter der Pariser Eliteschule. In Paris kann François bei einem Freund des Vaters wohnen, dort lernt er auch den fünf Jahre älteren Siméon Denis Poisson kennen – das ist der Beginn einer lebenslangen Freundschaft zwischen Arago und dem jungen Dozenten der École Polytechnique.

Expedition nach Spanien

1805 macht Poisson seinem Freund ein Angebot: Arago soll ein aufwändiges Vermessungsprojekt endlich zum Abschluss bringen – es geht um nichts Geringeres als die Vermessung des durch Paris verlaufenden Meridians. In den Jahren 1792 bis 1798 hatten Jean-Baptiste Delambre und Pierre Méchain vom Bureau des Longitudes den Auftrag erhalten, die Länge des Meridians zwischen Dünkirchen und Barcelona zu vermessen – Grundlage für die Festlegung der Länge des Urmeters (= zehnmillionster Teil eines Viertels des Erdumfangs).

Méchains Vermessungsarbeiten im Süden waren – insbesondere wegen der Wirren der Französischen Revolution und der Folgen des Kriegs mit Spanien – mit großen Schwierigkeiten verbunden, und Méchain plagten erhebliche Zweifel, ob die zuletzt ermittelten Daten tatsächlich korrekt waren. Von 1803 an durfte er seine Vermessungen südlich von Barcelona wieder aufnehmen. Nach Arbeiten auf Ibiza und Mallorca starb Méchain jedoch unerwartet, und Pierre-Simon Laplace bat Poisson um Unterstützung, einen Nachfolger für Méchain zu finden.

Zusammen mit Jean-Baptiste Biot bereitet sich Arago 18 Monate lang auf die Expedition vor. Biot hatte 1804 große Aufmerksamkeit erregt, als er zusammen mit Joseph-Louis Gay-Lussac mit einem Wasserstoffballon auf eine Höhe von 4000 Meter aufstieg, um dort Messungen vorzunehmen.

Arbeiten im Kriegsgebiet

Im September 1806 nehmen die beiden ihre Messungen südlich von Barcelona auf und kommen schließlich zwei Jahre später auf den Balearen an. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt beginnt Napoleon seinen Eroberungsfeldzug durch Spanien und Portugal. Als dieser im Mai 1808 seinen Bruder Joseph Bonaparte (seit 1806 König von Neapel) zum spanischen König ausrufen lässt, wächst der Widerstand der Spanier gegen die französischen Besatzer.

Biot flieht nach Frankreich, während Arago noch versucht, die letzten Messungen durchzuführen – von Formentera aus hinüber zum spanischen Festland. Es ist nicht verwunderlich, dass eine Person, die ungewöhnliche Gerätschaften mit sich führt und zudem auf einem Berg ein Signalfeuer entzünden lässt, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung erregt. Arago wird als Spion verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Er kann jedoch den Gefängnisdirektor davon überzeugen, dass er kein feindlicher Spion ist; und dieser gibt ihm eine Gelegenheit zu fliehen.

Auf einem Fischerboot gelangt er nach Algier, zu dieser Zeit fest in der Hand von Mittelmeerpiraten. Arago findet ein Segelschiff, das ihn nach Marseille mitnehmen kann. Allerdings wird es unterwegs von einem spanischen Kriegsschiff gekapert – wieder gerät er in spanische Gefangenschaft. Und auch diesmal kann er die Verantwortlichen vom wissenschaftlichen Hintergrund seiner Anwesenheit in Spanien überzeugen, und man entlässt ihn auf ein Schiff, das mit dem Ziel Marseille ablegt.

Schwere Rückreise

Das Schiff gerät jedoch in einen Sturm und strandet in Bougie (heute Bejaja) an der algerischen Küste. Verkleidet gelangt Arago auf dem Landweg nach Algier – zum dritten Mal besteigt er ein Schiff, das ihn nach Marseille bringen soll. Und schließlich – ein Jahr nach seiner ersten Verhaftung – kehrt er im Juli 1809 nach Frankreich zurück.

Die Mitglieder der Académie des Sciences feiern ihn als Helden, als er sein unbeschädigtes Logbuch mit den Eintragungen der Vermessungsergebnisse vorlegt. Der 23-jährige Arago wird mit überwältigender Mehrheit auf eine frei gewordene Stelle als Mitglied der Académie gewählt und noch im selben Jahr als Nachfolger von Gaspard Monge auf den Lehrstuhl für Geometrie an der École Polytechnique berufen.

Auch am Pariser Observatorium übernimmt Arago bald wichtige Aufgaben: Von 1834 an ist er Hauptverantwortlicher für die Himmelsbeobachtungen, von 1843 bis zu seinem Tod leitet er diese Einrichtung. Durch seine alljährlichen Vorträge für die interessierte Öffentlichkeit trägt er dazu bei, dass das allgemeine Interesse an astronomischen Fragen wächst.

Von 1830 an koordiniert er – neben seiner politischen Tätigkeit – als ständiger Sekretär die Arbeit der Académie des Sciences; seine Lehrtätigkeit an der École Polytechnique gibt er auf. 1835 gründet er eine Zeitschrift, in der die Arbeit der Académie dokumentiert wird: »Comptes rendus de l’Académie des sciences«.

Zeit seines Lebens ist Arago an allen naturwissenschaftlichen Phänomenen interessiert; einen Gleichgesinnten findet er in Alexander von Humboldt, mit dem er sich bis zu seiner Heirat im Jahr 1811 eine Wohnung in Paris teilt.

Über die Natur des Lichts

Isaac Newton und Christiaan Huygens hatten unterschiedliche Theorien über die Natur des Lichts entwickelt – die Phänomene der Brechung und der Reflexion des Lichts ließen sich sowohl im Teilchen- als auch im Wellenmodell erklären. Die Frage, welches der beiden Modelle richtig ist, könnte entschieden werden, wenn es gelingt, die Lichtgeschwindigkeiten in verschiedenen Medien zu bestimmen: Nach der newtonschen Korpuskeltheorie müsste sich die Geschwindigkeit nach dem Übergang in das dichtere Medium erhöhen; nach der huygensschen Theorie verringern.

Im Dezember 1810 trägt Arago in der Académie ein Problem vor, für das er keine Erklärung hat: Wenn man einen Stern um sechs Uhr morgens anvisiert, dann müsste uns das Licht von diesem Stern mit der Geschwindigkeit c + v erreichen, wobei v die Rotationsgeschwindigkeit der Erde um die eigene Achse ist, um sechs Uhr abends beträgt diese entsprechend c – v. Ähnliches gilt für Messungen im Frühjahr und im Oktober, wobei diesmal v die Umlaufgeschwindigkeit der Erde um die Sonne ist. Bei seinen Messungen hat er jedoch keine Unterschiede feststellen können (was nicht an Messungenauigkeiten gelegen hat, wie wir heute dank Einstein wissen).

Als es dem britischen Erfinder Charles Wheatstone 1834 gelingt, die Geschwindigkeit des fließenden Stroms mit Hilfe eines rotierenden Spiegels zu bestimmen, versucht Arago die Idee auf die Messung der Lichtgeschwindigkeit anzuwenden; allerdings fehlen ihm noch die notwendigen technischen Voraussetzungen. Mit Stolz kann er 1850 in einer Sitzung der Académie verkünden, dass Jean Bernard Léon Foucault die Umsetzung dieser Idee gelungen ist. (Bereits im Jahr zuvor hatte Aragos Schüler Hypolyte Fizeau die Lichtgeschwindigkeit mit Hilfe eines rotierenden Zahnrads gemessen – nach einer Idee von Galileo Galilei.)

1811 weist Arago bei Versuchen mit Bergkristallen die Drehung der Polarisationsebene nach. Auch stellt er fest, dass das blaue Himmelslicht nur teilweise polarisiert ist, und: Je blauer der Himmel, desto größer ist der Anteil des polarisierten Lichts.

Die Zusammenarbeit mit dem Ingenieur Augustin Jean Fresnel führt zur Entdeckung der heute so genannten Fresnel-Arago-Gesetze: Wenn zwei polarisierte Lichtstrahlen mit zueinander senkrechten Polarisationsebenen zusammentreffen, treten keine Interferenzen auf.

1818 schreibt die Académie einen Wettbewerb aus, mit dem der Streit über die Natur des Lichts endgültig entschieden werden soll. Die Kommission wird von Arago geleitet, weitere Mitglieder sind Poisson, Biot, Laplace und Gay-Lussac. Fresnel gewinnt den Wettbewerb, aber Poisson ist immer noch nicht überzeugt; er behauptet: Wenn das Licht Wellencharakter hätte, müsste wegen der Interferenz auch im Zentrum des Schattens einer Kugel ein Lichtfleck zu sehen sein; was nicht der Fall sei. Arago führt den Versuch vor den Mitgliedern der Académie durch, und demonstriert so, dass es diesen zur Theorie passenden Fleck tatsächlich gibt (so genannter Poisson-Fleck oder Arago-Fleck).

Forschungen zum Elektromagnetismus

1820 berichtet Arago über die Entdeckung des dänischen Physikers Hans Christian Ørsted: Eine Kompassnadel wird abgelenkt, wenn Strom durch einen in der Nähe liegenden Leiter fließt. Arago und André-Marie Ampère, Professor der École Polytechnique, finden heraus, dass sich die Magnetnadel immer senkrecht zum Leiter ausrichtet und dass zwei stromdurchflossene Leiter sich anziehen beziehungsweise abstoßen – je nachdem, in welcher Richtung die Leiter vom Strom durchflossen werden. Ampère präzisiert die Beobachtungen zu dem nach ihm benannten Ampèreschen Kraftgesetz. In weiteren Experimenten entdeckt Arago das Prinzip des Elektromagneten und die Existenz von Wirbelströmen – Versuche, die Michael Faraday 1830 unter dem Phänomen der elektromagnetischen Induktion zusammenfasst.

Als 1845 Urbain Le Verrier, einer von Aragos Studenten, wegen einiger Unregelmäßigkeiten der Umlaufbahn des Uranus die Existenz eines weiteren Planeten vermutet, wird er durch Arago ermuntert, dies näher zu untersuchen. Der neue Planet (Neptun) wird auf Grund der von Le Verrier exakt berechneten Bahnkoordinaten vom deutschen Astronomen Johann Gottfried Galle gefunden.

Politische Arbeit

Aus Aragos glücklicher Ehe mit Lucie Carrier-Bescombes gehen drei Söhne hervor. Nach dem Tod der Ehefrau 1829 beginnt Aragos politische Karriere: Nach der 1830er Revolution wird er als Kandidat der gemäßigten Republikaner in seinem Heimat-Departement Pyrénées-Orientales in die Nationalversammlung gewählt. Hier kümmert er sich um den allgemeinen Ausbau von Eisenbahnlinien und Kanälen sowie um die Förderung neuer technischer Entwicklungen. So sorgt er 1839 dafür, dass alle Rechte an der Erfindung der Fotografie vom französischen Staat erworben und als Geschenk an die Menschheit kostenlos zur Verfügung gestellt werden; Louis Daguerre erhält eine lebenslange Rente (ebenso wie der Sohn des frühzeitig verstorbenen Joseph Nicéphore Nièpce).

Während der 1848er Revolution übernimmt er zeitweise das Amt des Kriegsministers sowie die Leitung des Ministeriums für die Kolonien und die Marine. In den wenigen Wochen seiner Tätigkeit schafft er die Prügelstrafe in der Marine ab sowie die Sklaverei in den französischen Kolonien.

Nach der Machtergreifung Napoleon III. 1851 verweigert er den Treueeid auf den neuen Herrscher und erklärt seinen Rücktritt von den Ämtern als Leiter des Observatoriums und als ständiger Sekretär der Académie. Napoleon III. akzeptiert dies nicht, gibt aber die Anweisung, den verdienten Wissenschaftler in Ruhe zu lassen.

Arago, dessen Gesundheitszustand sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert hat, besucht zur Erholung noch einmal seine alte Heimat. Als keine Besserung eintritt, kehrt er nach Paris zurück und stirbt wenige Wochen später. An seiner Beerdigung auf dem Friedhof Père Lachaise nehmen Zehntausende von Menschen teil.

François Arago (1786–1853): Abenteuerlicher Forscher

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