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Der Mathematische Monatskalender: Gerardus Mercator (1512–1594): Der Kartenmacher

Mit dem nach ihm benannten Koordinatensystem leistet Gerardus Mercator im 16. Jahrhundert der aufkommenden weltweiten Schifffahrt einen großen Dienst.
Gerardus Mercator

Um von den arabischen, osmanischen und venezianischen Zwischenhändlern uånabhängig zu werden, hatten portugiesische Seefahrer damit begonnen, neue Wege nach Indien zu suchen. Unter Heinrich dem Seefahrer war die Küste Westafrikas erforscht worden, Bartolomeu Dias umrundete 1487 als Erster die Südspitze Afrikas. Nach der Reconquista traten auch die Spanier auf den Plan – in ihrem Auftrag segelte der Genueser Christoph Columbus 1492 Richtung Westen, um so einen neuen Seeweg nach Indien zu finden. Dieser ging – sich auf die Angaben der Geographia des Claudius Ptolemäus stützend – von einer zu geringen Ost-West-Entfernung Europas von Asien aus. Ptolemäus hatte um 150 n. Chr. das noch heute gültige System von Längen- und Breitenkreisen der Erde eingeführt und die Koordinaten von zahlreichen Orten des bekannten Erdkreises in einem Katalog erfasst. Seitdem ging man davon aus, dass etwa nur die Hälfte der Erde »bekannt« ist (Europa, Asien und Afrika). So zeigt der Globus des aus Nürnberg stammenden Tuchhändlers Martin Behaim aus dem Jahr 1492 nur den »bekannten« Teil der Erde, die Rückseite des Globus ist nicht beschriftet. Die Weltkarte von Martin Waldseemüller aus dem Jahr 1507 hingegen enthält bereits den neu entdeckten Kontinent. Der Name Amerika stammt von Waldseemüller, weil seiner Ansicht nach der Seefahrer Amerigo Vespucci die größten Verdienste bei der Erforschung der Gestalt des neuen Kontinents hatte.

Mit Martin Waldseemüllers Weltkarte Universalis Cosmographia begann die rasante Entwicklung der Kartographie; im Unterschied zur früher üblichen Anfertigung von Karten als Handzeichnungen konnten diese Karten nunmehr gedruckt werden – mit einer Auflage von ca. 1000 Exemplaren (von denen allerdings nur eines erhalten ist; es kann als Weltdokumentenerbe in der Library of Congress in Washington besichtigt werden). Herrscher und Handelsorganisationen beauftragten die Kartographen mit der Erstellung neuer Karten. Wenn diese die Lizenz des Herrschers zum Drucken erhielten, durften sie die Karten auch auf Messen, z. B. der Frankfurter Buchmesse, anbieten. Der Versuch der Seemächte Portugal und Spanien, die Kenntnisse über den genauen Verlauf von Küstenlinien und Passagen geheim zu halten, wurde vor allem in den Niederlanden durchbrochen, die damals noch unter spanischer Herrschaft standen. Mit jeder Forschungsreise wuchsen die Kenntnisse über die Erde.

Gerardus Mercators Eltern, der Schuster Hubert Cremer und seine Frau Emerentia leben in schwierigen ökonomischen Verhältnissen in Gangelt (Herzogtum Jülich). Während eines Besuchs in Rupelmonde (Nähe Antwerpen), wo Huberts Bruder Gisbert als Priester tätig ist, wird Gerard als deren 7. Kind geboren. Einige Jahre später zieht die Familie nach Rupelmonde, und Gerard kann dort eine Lateinschule besuchen. Der Onkel kümmert sich um die schulische Ausbildung der Kinder, insbesondere als die Eltern sterben. Im Alter von 15 Jahren schickt er Gerard nach ’s-Hertogenbosch, damit dieser sich dort bei den Brüdern vom Gemeinsamen Leben auf ein Studium an der Universität vorbereiten kann. 1530 immatrikuliert Gerard sich an der Universität in Löwen und nennt sich fortan Gerardus Mercator. 1532 schließt er sein Studium der Philosophie mit dem Titel eines Magister Artium ab.

Bereits während seines Studiums fallen Mercator Widersprüche zwischen den Lehren des Aristoteles und den Aussagen der Bibel auf; dies öffentlich auszusprechen, hätte aber Ketzerei bedeutet. So sucht er eine andere Grundlage für eine zukünftige berufliche Betätigung. 1534 nimmt er in Löwen ein Studium der Mathematik bei dem aus Friesland stammenden Gemma Frisius auf (eigentlicher Name: Jemme Reinersz), Professor für Medizin, Mathematik und Astronomie. Dieser hatte wegen seiner mit großem handwerklichen Geschick gebauten astronomischen Geräte ebenso Berühmtheit erlangt wie durch seine Schrift De principiis astronomiae et cosmographiae aus dem Jahr 1530. In dieser Weltbeschreibung gibt er als Erster an, wie man mithilfe einer Uhr den Längengrad eines beliebigen Ortes auf der Erde bestimmen könnte: Vorausgesetzt, diese Uhr zeigt unabhängig von äußeren Einflüssen wie Luftdruck, Feuchtigkeit sowie Erschütterungen stets die korrekte Zeit eines Vergleichsorts an, dann lässt sich aus der Differenz zwischen angezeigter Zeit und wahrer Ortszeit die geografische Länge des Orts berechnen. Die Umsetzung dieser Idee gelingt allerdings erst 1759, als der englische Uhrmacher John Harrison eine Uhr baut, die auf einer 81-tägigen Seereise nur noch um 5 Sekunden abweicht.

Auch mit seiner Idee der Erstellung eines Netzes aus Vermessungsdreiecken (Triangulation), ist Gemma Frisius seiner Zeit voraus. Dies wird erst von Willebrord van Roijen Snell (Snellius) vom Jahr 1615 an systematisch umgesetzt.

Mercator absolviert sein Studium der Mathematik erfolgreich, so dass er bald selbst Unterricht übernehmen kann; auch arbeitet er in der Werkstatt von Gemma Frisius, ist an der Herstellung eines Globus beteiligt, den Kaiser Karl V. bestellt hat, und er erlernt das Handwerk des Kupferstechers, denn seine Aufgabe ist es vor allem, die Druckplatten für die sorgfältig beschrifteten Landkarten zu herzustellen.

Die Vielzahl an Aufträgen verschafft Mercator ein sicheres Einkommen, sodass er heiraten kann. Aus seiner glücklichen Ehe mit Barbara Schellekens gehen sechs Kinder hervor. Von 1537 an veröffentlicht Mercator selbstständig Landkarten, zunächst vom Heiligen Land, dann auch eine Weltkarte und eine sehr detaillierte Karte Flanderns, in der zum ersten Mal die Entfernungs- und Größenverhältnisse des Landes und der Städte realistisch wiedergegeben werden. Dies gelingt Mercator, weil er alle ihm zur Verfügung stehenden Quellen gewissenhaft miteinander vergleicht und überprüft, ob die Angaben plausibel und in sich stimmig sind.

Die große Sorgfalt, seine handwerkliche Fertigkeit bei der Herstellung der Druckplatten und nicht zuletzt seine Fähigkeit, die Karten mit einer Fülle von Informationen in gestochen sauberer Kursivschrift auszustatten, machen Mercator über die Grenzen Flanderns hinaus berühmt. Er steht im Briefwechsel mit vielen Persönlichkeiten – auch solchen aus protestantischen Ländern. Ob deswegen oder wegen seiner zahlreichen Reisen ein Verdacht wegen Spionage aufgekommen war: Als Mercator im Jahr 1544 noch einmal Rupelmonde besucht, wird er dort wegen Lutterey angeklagt und im Kastell eingesperrt. Man kann ihm keine ketzerischen Handlungen nachweisen, aber erst nach der Intervention einflussreicher Persönlichkeiten wird er nach sieben Monaten aus der Haft entlassen. Seine Familie ist in der Zwischenzeit verarmt, denn während dieser Zeit fehlten die Einkünfte; die Angehörigen müssen sogar für die Kosten der Haft aufkommen.

Mercator-Projektion

Die Erlebnisse aus der Zeit im Kerker spielen sicherlich eine Rolle, als er im Jahr 1552 ein Angebot Herzogs Wilhelm des Reichen (Herzogtum Jülich-Kleve-Berg) annimmt und nach Duisburg umzieht. Dort kann er – unterstützt von seinen Söhnen – als Herzoglicher Hof-Kosmograph ungestört seiner Arbeit nachgehen. Auch trägt die Aussicht auf einen Lehrstuhl für Kosmographie an einer geplanten Universität Duisburg zu seiner Entscheidung bei; zur Gründung der Universität kommt es jedoch nicht, da eine angekündigte Genehmigung des Kaisers niemals eintrifft.

Im Laufe der Jahre erscheinen bedeutende Karten: eine aus 15 Blättern bestehende Europa-Karte (1554, Maße: 159 cm x 132 cm), in der zum ersten Mal Lage und Größe der Länder Europas angemessen wiedergegeben werden, eine Karte von Lothringen, von den Britischen Inseln und dann im Jahr 1569 seine wohl berühmteste Karte: eine Weltkarte im Format 132 cm x 208 cm mit einem neuartigen Gradnetzentwurf – der schnell allgemein so bezeichneten Mercator-Projektion.

Im Jahr 1537 hatte der portugiesische Mathematiker und Astronom Pedro Nunes in einer Abhandlung den Nutzen von Seekarten herausgestellt, auf denen die Längen- und Breitenkreise als rechtwinkliges Koordinatensystem eingetragen sind, weil dann die Navigation der Schiffe vereinfacht werden könnte. Der kürzeste Seeweg zwischen zwei Häfen verläuft längs eines Großkreises (Kreislinie auf einer Kugeloberfläche mit maximalem Umfang, vergleichbar der Äquatorlinie), aber bei einer solchen Route muss die Fahrtrichtung ständig angepasst werden, weil sich der Winkel im Vergleich zur Richtung des magnetischen Nordpols ständig verändert. Dagegen ergibt die Fahrtroute mit festem Navigationskurs eine Linie, die »spiralförmig« um die Erde verläuft und asymptotisch auf den Nord- oder Südpol der Erde zusteuert. Bereits 1541 hatte Mercator solche Loxodrome (griechisch loxos = schief, dromos = Lauf) auf einem Globus eingezeichnet.

Jetzt aber gelingt Mercator das, was Nunes vergeblich versucht hatte, nämlich eine Karte zu erstellen, auf der die Routen mit festem Kurs als Geraden eingezeichnet werden können.

Jahrhundertelang hatten sich Mathematiker vergeblich um die Lösung des Problems bemüht, wie Punkte, die auf der gekrümmten Oberfläche einer Kugel liegen, so auf eine nicht-gekrümmte Ebene abgebildet werden können, dass man sowohl Entfernungen zwischen Punkten als auch Richtungen auf der Karte ablesen kann; dabei sollen möglichst auch die Flächenverhältnisse erhalten bleiben. Erst Carl Friedrich Gauß findet 1827 eine Antwort: Aus seinem (wörtlich: hervorragender Satz) folgt: Es ist grundsätzlich nicht möglich, eine Karte der Erde zu erstellen, die sowohl längentreu (äquidistante Abbildung), flächentreu (äquivalente Abbildung) als auch winkeltreu (konforme Abbildung) ist. Karten haben stets Verzerrungen – man muss sich entscheiden, welche Eigenschaft für den jeweiligen Verwendungszweck wichtig ist.

Bei einer Zylinderprojektion wird ein Zylinder am Äquator um die (als kugelförmig angenommene) Erde gelegt; die Punkte der Kugeloberfläche werden (vom Mittelpunkt der Kugel aus) auf die Fläche des Zylinders projiziert. Die Bilder der Längenkreise sind zueinander parallele vertikale Geraden, die der Breitenkreise verlaufen dazu senkrecht. Die Abstände zwischen den Breiten-»Kreisen« werden jedoch mit zunehmender geographischer Breite \(\phi\) immer größer: Für die\( y\)-Koordinate eines Bildpunktes zur geographischen Breite \(\phi\) gilt: \(y = R \cdot \tan(\phi)\) mit \(R \approx 6370\ \text{km}\) (Erdradius). Punkte in Polnähe werden »ins Unendliche« abgebildet, werden auf diesen Karten also nicht dargestellt.

Eine so erstellte Weltkarte ist allerdings nicht winkeltreu. Die Radien \(r\) der Breitenkreise werden mit zunehmender geographischer Breite φ kleiner; es gilt dabei: \(r = R \cdot \cos(\phi)\). Während am Äquator der Abstand zwischen zwei benachbarten Längenkreisen noch (60 Seemeilen =) \(2\pi\ R/360 \approx 111\ \text{km}\) ist, beträgt diese zum Beispiel in Mainz \(( \phi = 50°)\) nur noch circa 71 km. Die an den Polen spitz zulaufenden Streifen zwischen zwei benachbarten Längenkreisen werden bei der Zylinderprojektion kontinuierlich mit dem Faktor \(1/\cos(\phi)\) gestreckt, sodass aus den Längenkreisen parallele Geraden werden. Damit Winkelgrößen erhalten bleiben, muss der Abstand benachbarter Breitenkreise ebenfalls kontinuierlich mit diesem Faktor gestreckt werden. (Abben: Klett-Perthes, unten: Wikipedia)

Mercator stehen – im 16. Jahrhundert – nicht die Voraussetzungen zur Verfügung, eine solche stetige Abbildung mathematisch zu beschreiben; er zerlegt den notwendigen kontinuierlichen Prozess in viele kleine Schritte und kommt so zu der Weltkarte, auf der die Routen mit festem Kurs als Geraden eingezeichnet werden können. Erst zwei Jahrhunderte später ist man in der Lage, die y-Koordinate eines Punktes auf einer Mercator-Karte durch einen Term zu beschreiben: \(y=\int_0^\phi \frac{1}{\cos(x)}\ dx = \text{ln}\left( \tan \left( \frac {\phi}{2}+\frac{\pi}{4}\right)\right)\)

Auf einer seiner Reisen lernt Mercator den aus Augsburg stammenden Abraham Ortelius (eigentlich: Ortels) kennen, der Handel mit Landkarten treibt, und ermuntert ihn, selbst Karten herzustellen. 1570 erscheint dessen Sammlung Theatris Orbis Terrarum (Theater der Welt), die zwar nicht so sorgfältig gezeichnet ist, wie dies bei Mercator üblich ist, aber die aktueller ist: Wer in jenen Tagen zu lange auf Informationen von neuen Expeditionen wartet, kann leicht auf dem Markt verlieren. Die Karten von Ortelius werden deutlich öfter verkauft als die von Mercator, was aber die Freundschaft zwischen beiden nicht beeinträchtigt.

Schon seit Beginn seiner Tätigkeit als Kartograph hatte Mercator den Wunsch, die Daten aus der Geographia des Ptolemäus herauszugeben – zu viele Autoren hatten seit dem Altertum die Originaldaten bearbeitet oder falsch abgeschrieben. 1578 veröffentlicht er 28 Karten nach den Daten des Ptolemäus, die dann 1585 zusammen mit 51 neuen Karten über Frankreich, Deutschland und die Niederlande einen Atlas bilden (diese von ihm stammende Bezeichnung ist seitdem üblich). 1589 folgen weitere Karten von Süd- und Südosteuropa (links ist seine Zypern-Karte abgedruckt).

Zunehmend beschäftigt er sich auch mit theologischen Fragen, setzt sich mit den Ansichten des Reformators Calvin auseinander und schreibt die Chronologia ab initio mundi (Weltgeschichte seit der Erschaffung der Welt). Ein Schlaganfall im Jahr 1590 hindert ihn daran, weiter an den Karten zu arbeiten; sein Ziel, die Tabulae Geographicae herauszugeben (Atlas mit Karten aller Länder der Welt), kann er selbst nicht mehr erreichen. Zwar erholt er sich vorübergehend, aber nach einem erneuten Schlaganfall stirbt er im hohen Alter von 82 Jahren.

Seine Söhne beenden die Arbeiten an 34 weiteren Karten; bereits 1595 geben sie den vom Vater geplanten Weltatlas heraus.

Gerardus Mercator (1512 – 1594)

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