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Der Mathematische Monatskalender: Gilles Personne Roberval (1602–1675): Entdecker der Schwerkraft

Viele seiner beeindruckenden Leistungen schreiben Mathematiker anderen Forschern zu.
Roberval

Die Abbildung der »Briefmarke« zeigt eine so genannte Roberval-Waage, benannt nach dem französischen Mathematiker Gilles Personne de Roberval. Die blau gefärbten Bauteile sind jeweils starr miteinander verschraubt (angedeutet durch die schwarz ausgefüllten Kreise), die gelben sind drehbar mit den blau gefärbten Bauteilen verbunden (rot ausgefüllte Verbindungen).

Werden auf den beiden Seiten der Waage unterschiedlich schwere Gegenstände aufgehängt, dann verändert sich das blau-gelbe Rechteck zu einem Parallelogramm, wobei die blauen Seiten in der senkrechten Ausrichtung bleiben. An welcher Stelle Gegenstände an den äußeren blauen Bauteilen (rechts oder links) aufgehängt werden, spielt keine Rolle; der Hebelarm ist auf beiden Seiten gleich, nämlich festgelegt durch die halbe Länge der gelb gefärbten Bauteile.

Die Eltern von Gilles Personne de Roberval waren Pierre Personne und Jeanne Le Dru; die Familie lebte in Roberval, etwa 50 Kilometer nördlich von Paris gelegen. Im Alter von 26 Jahren beschloss der junge Mann, an seinen Namen den Zusatz de Roberval anzuhängen, gerne das mögliche Missverständnis in Kauf nehmend, dass er adliger Herkunft sei. Zumindest erreichte er, dass die Nachwelt ihn mit dem gewählten Namen Roberval zitierte und nicht mit dem eigentlichen Familiennamen Personne.

Die Familie Personne ist eine einfache Bauernfamilie mit vielen Kindern, die durch ihre Arbeit ein genügend großes Einkommen zum Leben hat. Welche Schulbildung der junge Gilles erfährt, ist nicht bekannt, wohl aber, dass einem der Priester der Pfarrgemeinde die außergewöhnliche Intelligenz des Jungen auffällt. Dieser Geistliche, der auch der Kaplan der Königin Maria von Medici ist, erteilt dem Jungen Unterricht in Mathematik und in den alten Sprachen.

Man weiß nicht, wie lange diese Zeit des Lernens gedauert hat, jedenfalls bricht Gilles eines Tages auf und reist durch Frankreich – seinen Lebensunterhalt verdient er, indem er selbst Mathematik unterrichtet. In Bordeaux begegnet er Pierre de Fermat. 1628 kommt er in Paris an, hängt an seinen Namen das de Roberval an und sucht Kontakt zum Paulaner-Mönch Marin Mersenne, der ihn in seinen Gesprächskreis, die Academia Parisiensis, aufnimmt; zu den Teilnehmern gehört unter anderem Étienne Pascal, später kommt auch dessen Sohn Blaise hinzu.

Roberval nutzt die kommenden Jahre dazu, durch Selbststudium seine Kenntnisse in Mathematik zu verbessern. Im Alter von 30 Jahren erreicht er sein nächstes Ziel: Er wird als Lehrer für Philosophie (wozu auch die Mathematik gehört) am Collège Gervais in Paris angestellt, einer Einrichtung, die der Universität von Paris angegliedert ist.

Dort bezieht er zwei karg ausgestattete Räume, in denen er bis zu seinem Lebensende wohnt. Roberval gilt wegen seines Jähzorns als ausgesprochen schwierig im Umgang; seine Mitmenschen halten ihn zudem für einen regelrechten Geizhals – was sich bei dessen Tod bestätigt: Als Roberval 1675 stirbt, also 43 Jahre nachdem er die beiden Räume bezogen hat, findet man in seiner Wohnung als Einrichtung nur ein Bett, einen Tisch und ein paar Stühle minderer Qualität, an den Wänden weder Bilder noch irgendwelche Verzierungen, ansonsten etliche Bücher, von Euklid und Archimedes bis hin zu Kepler, auch lateinische Klassiker wie Herodot und Cicero, und außerdem eine Bargeldmenge, die etwa seinem achtfachen Jahreseinkommen entspricht.

1634 erfüllt sich sein nächster Wunsch: Er bewirbt sich mit Erfolg um den Ramus-Lehrstuhl, benannt nach dem in der Bartholomäusnacht ermordeten Philosophen Petrus Ramus (Pierre de Ramée, 1515–1572). Das Besondere an diesem Lehrstuhl am Collège Royale: Der Lehrstuhl wird nur für jeweils drei Jahre besetzt, und zwar nach einem öffentlichen Wettbewerb.

Und dies ist vermutlich der Grund, warum Roberval zu Lebzeiten nur zwei Abhandlungen veröffentlicht hat: In der Bewerbungssituation ist es von großem Vorteil für einen Kandidaten, wenn er neue, den anderen Bewerbern unbekannte Erkenntnisse präsentieren kann. Sein Verhalten wird zwar von den Mitbewerbern kritisiert, aber Roberval gelingt es so, dass ihm alle drei Jahre die Stelle erneut zugesprochen wird – bis zu seinem Lebensende. 1655 gewinnt er zusätzlich auch noch den Gassendi-Lehrstuhl hinzu – benannt nach dem Philosophen Petrus Gassendi (1592–1655). Gassendi war übrigens der Erste, der eine Biografie über einen Wissenschaftler verfasste (und zwar über Tycho Brahe).

In den Jahren 1648 bis 1653 wird Frankreich durch bürgerkriegsähnliche Aufstände erschüttert (so genannte Fronde). Frankreichs Beteiligung am Dreißigjährigen Krieg und der zusätzliche Krieg mit Spanien hatten zu immer höheren Steuern geführt, gegen die sich Bauern und Handwerker wehren, der Adel dagegen versuchte alte Feudalrechte wiederzuerlangen. Dies geschah, als der König (Ludwig XIII.) stirbt und die Übernahme der Herrschaft durch den designierten Nachfolger (den zehnjährigen Ludwig XIV.) noch nicht gesichert ist.

Nachdem die Aufstände niedergeschlagen sind, normalisiert sich die Lage wieder. Roberval kauft ein großes Landgut in Ménerval (zwischen Rouen und Amiens gelegen), das er – überwiegend – von Angehörigen seiner Familie bewirtschaften lässt; er selbst reist nur gelegentlich dorthin.

Die beiden veröffentlichten Schriften Robervals befassen sich mit grundsätzlichen physikalischen Überlegungen: Im »Traité de mécanique des poids soutenus par des puissances sur des plans inclinés à l'horizontale« (1636) beschäftigt er sich mit der Frage, wodurch das Gewicht eines Körpers zu Stande kommt, und entwickelt die Idee einer Gravitationskraft (einige Jahre vor Robert Hooke und Isaac Newton). In der Abhandlung »Le système du monde d'après Aristarque de Samos« (1644) setzt er sich mit einer wiedergefundenen Schrift des Aristarch auseinander, der – 1800 Jahre vor Kopernikus – von einem heliozentrischen Sonnensystem überzeugt war.

Mersenne hatte 1615 Untersuchungen über Zykloiden durchgeführt, also den Kurven, auf denen sich ein Kreispunkt bewegt, wenn der Kreis abgerollt wird (zum Beispiel längs einer Geraden). 1634 präsentiert Roberval ein Verfahren gemäß der Indivisiblen–Methode des Archimedes, mit der er die Fläche unter dieser rot eingezeichneten Kurve bestimmen kann:

  • Ist r der Radius des abrollenden Kreises, dann ist A = 3π · r2 der gesuchte Flächeninhalt.

Mit seiner Präsentation beeindruckt Roberval die Jury, die ihn deshalb auf den Ramus-Lehrstuhl beruft. Im Bewusstsein der Mathematiker-Gemeinschaft gilt jedoch – wenigstens vorübergehend – Evangelista Torricelli als derjenige, der diese Fläche als Erster bestimmt hat, da er seine Überlegungen zeitnah zu seiner Entdeckung publiziert; Robervals gesammelte Werke werden dagegen erst 1693 von der Académie Royale herausgegeben, also lange nach dessen Tod.

Ähnliche Prioritätsprobleme gibt es aber auch mit Bonaventura Cavalieri und mit Blaise Pascal. Gleichwohl arbeitet Roberval mit Pascal und mit Torricelli zusammen, als es um die Frage geht, ob ein Vakuum möglich ist. Seine Auseinandersetzungen mit René Descartes hingegen enden oft mit gegenseitigen persönlichen Beleidigungen.

Robervals Beiträge zur Integralrechnung sind beeindruckend: 1640 bestimmt er das Volumen eines Körpers, der durch Rotation einer Zykloide um eine Achse entsteht; dann gelingt es ihm, die Fläche unter dem Graphen der Sinusfunktion zu ermitteln und mit Hilfe dieses »Integrals« die Bogenlänge von Zykloiden und Ellipsen zu bestimmen. Bezüglich des Tangentenproblems entwickelt er eine »méthode cinématique« (sich bewegende Punkte) – vergleichbar mit Newtons »Fluxionen«.

Hervorzuheben sind auch Robervals Beiträge zur Mechanik: Unter anderem entdeckt er das Prinzip der Zerlegung von Kräften (1636). Ob er ein auf acht Bände angekündigtes Werk zur Mechanik tatsächlich vollendet hat, lässt sich nicht mehr klären; in seinem Nachlass werden nur Teile eines Manuskripts gefunden.

Roberval ist einer der sieben Wissenschaftler, die 1666 die Académie Royale des Sciences gründen; das berühmte Gemälde rechts zeigt Finanzminister Colbert, der die Mitglieder der Académie dem König vorstellt. In einer der Versammlungen des Jahres 1669 präsentiert Roberval die von ihm erfundene Waage, deren prinzipieller Aufbau (Parallelführung) noch heute Verwendung findet.

Gilles Personne Roberval (1602–1675)

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