Goldgrün und prächtig: Der letzte Federschmuck der Azteken

Luís Mejía ist nicht der größte Kunstliebhaber, sagt er. Aber beim Blick in die Vitrine des Wiener Weltmuseums könne er nicht anders als strahlen. »Die Art, wie die Farben leuchten, ist so typisch für meine Heimat«, sagt der Wissenschaftsmanager aus Mexiko, der seit zehn Jahren in Deutschland lebt. »Ich wünschte, viel mehr Menschen aus meinem Land könnten das sehen«, findet der Forscher von der Universität Mannheim. Vergleichbarer farbenfroher Federschmuck sei bis heute auf mexikanischen Volksfesten sichtbar – und erinnere an das riesige grün-blau-rote Schmuckstück in Wien.
Der Federputz, von dem Mejía und viele seiner Landsleute schwärmen, schmückte angeblich das Haupt von Moctezuma II. (1465–1520), dem letzten Oberhaupt der Azteken, ehe spanische Eroberer das Gebiet des heutigen Mexiko im 16. Jahrhundert kolonisierten. An dem 1,3 Meter hohen Kopfschmuck sind hunderte bunte Federn befestigt, dazwischen nähten die altmexikanischen Künstler mehr als 1500 Goldplättchen ein. Das grün schillernde Gefieder stammt vom Quetzal-Vogel, die wenigen braunen Federn vom Eichhornkuckuck, die roten vom Rosalöffler und die blauen vom Kotinga. Allesamt mittel- und südamerikanische Vogelarten.
Im originalen Zustand ist das Stück aber längst nicht mehr. Ursprünglich hatten es die Handwerker an die Kopfform angepasst und nicht als flachen Fächer gearbeitet. Zu dem machten ihn erst die Restauratoren des 19. Jahrhunderts, die viele Metallteile neu einarbeiteten und zahlreiche Quetzal- sowie Kotingafedern ersetzten, letztere mit Gefieder vom Eisvogel. Außerdem gehörte zum Kopfputz eine goldene Maske mit Schnabel. Trotzdem: Es ist der letzte erhaltene Federkopfschmuck aus Altamerika und ein einzigartiges Zeugnis aztekischer Handwerkskunst.
Gehört der Federschmuck ins Weltmuseum?
Auch in Wien sieht man das so. Hunderttausende Exponate aus allen Kontinenten beherbergt das Weltmuseum im Zentrum der österreichischen Hauptstadt. Aber jenes Kunstwerk, vor dem sich regelmäßig die meisten Besucher und Besucherinnen tummeln, ist eben dieser Federschmuck. Das liegt nicht nur am grellgrünen Leuchten der Quetzalfedern, sondern vermutlich auch an der historischen Brisanz des Gegenstands. Denn die wenigsten würden wohl behaupten, dass der Federschmuck in Wien am richtigen Platz ist.
Seit Jahren stehen renommierte Ausstellungsstätten Europas in der Kritik, weil sie Glanz und Gloria oft Kunstwerken verdanken, die sie zu Kolonialzeiten widerrechtlich beschafften oder aus unlauteren Quellen erwarben. Die Restitutionsdebatte, 2018 angestoßen vom senegalesischen Wirtschafts- und Geisteswissenschaftler Felwine Sarr und der französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, hat inzwischen einige Wirkung erzielt. Im Londoner British Museum hält man noch an seiner Raubkunst fest, amerikanische und europäische Häuser hingegen haben erste Rückgaben etwa der Beninbronzen nach Nigeria vereinbart und durchgeführt.
Beim Federschmuck im Weltmuseum Wien sieht es nicht nach einer solchen Einigung aus. Eine Rückkehr nach Mexiko sei problematisch, heißt es in Österreich. Der Schmuck ist mittlerweile 500 Jahre alt, brüchig und liegt in einer Spezialvitrine, die Erschütterungen dämpft. Als er einst in die Hände der über Österreich regierenden Habsburger gelangte, war er vermutlich noch intakt. Erstmals erwähnt wird der Kopfputz im Besitz der Habsburger 1596, als Kaiser Rudolf II. (1552–1612) die Kunstsammlung des kurz zuvor verstorbenen Erzherzogs Ferdinand II. inventarisieren ließ. »75 Jahre waren seit dem Fall der aztekischen Hauptstadt Mexico-Tenochtitlan 1521 vergangen – dem Jahr, in dem Österreicher und Azteken Untertanen Habsburger Landesfürsten wurden«, schreibt Gerard van Bussel, Kurator am Weltmuseum in Wien, in dem Büchlein »Der Quetzalfeder-Kopfschmuck«.
Erobert wurde das Aztekenreich zwar durch den Spanier Hernán Cortés (1485–1547), seine Krieger und Missionare. Die über Jahrhunderte in weiten Teilen Europas herrschenden Habsburger aber waren so gut vernetzt, dass der Federschmuck auf bislang ungeklärten Wegen nach Österreich kam. Ob die Azteken den Kopfputz als Geschenk überreichten, die europäischen Kolonisten ihn raubten oder er durch Handel die Besitzer wechselte, ist unbekannt.
Mörischer Hut mit gulden Schnabl
Laut dem Inventar von Rudolf II. handelt es sich bei dem Federobjekt um einen »mörischen Hut«. »Wobei ›mörisch‹ hier als mexikanisch gedeutet wird«, erklärt van Bussel. Im Inventar heißt es auch, der Schmuck »hat vorn auf der Stirn, ain ganz gulden Schnabl«, von dem seit 1730 aber jede Spur fehlt. In späteren Beschreibungen kamen dann offenbar Zweifel darüber auf, wozu das Ding gut gewesen sei. Inventarbücher aus den Jahren 1788 und 1821 listen den Kopfschmuck als »indianische Schürze«, später hielt man ihn sogar für ein Banner – und restaurierte ihn zum flachen Fächer um. Seit mehr als 100 Jahren ist wieder klar: Man trug das Stück nicht um die Hüfte oder als Feldzeichen, sondern auf dem Kopf.
Bis heute ist nicht vollends geklärt, ob es sich wirklich um Moctezumas Kopfputz handelte. Abbildungen aus frühkolonialer Zeit zeigen, dass die Krone der Aztekenherrscher ein dreieckiges Türkisdiadem war, aber kein Federschmuck wie im Wiener Weltmuseum. Dennoch: Als Träger kommen Herrscher, Priester und Götterbilder in Frage. Auch wenn ungeklärt bleibt, wer den Schmuck einst trug, ist aus der Tatsache, dass er sich heute in Österreich und nicht in Mexiko befindet, längst ein Politikum geworden.
Mexiko hätte den Federschmuck gern wieder an seinem Entstehungsort. Eine Nachfahrin von Moctezuma II., die Kunsthistorikerin Blanca Barragan Moctezuma, bereitete vor einigen Jahren schon eine Klage vor. Damals haben mexikanische und österreichische Fachleute das Objekt gemeinsam untersucht. Auf der Website des Wiener Weltmuseums heißt es zum Ergebnis: »Im Falle des Kopfschmucks ist eine geeignete Transportsicherung aufgrund seiner Konstruktion und seiner Materialien praktisch nicht umsetzbar.«
Im Jahr 2021, als sich der Fall des Aztekenreichs zum 500. Mal jährte, lehnte Österreich eine Leihgabe nach Mexiko ab. Im Museo de Antropología in Mexiko-Stadt wiederum, einem der größten ethnologischen Museen der Welt, prangt seit dessen Eröffnung 1964 zumindest eine Replik des Federschmucks. »Als ich das Original in Wien sah, war ich erstaunt«, erinnert sich Luís Mejía. »Die Kopie in Mexiko strahlt viel mehr, ist auch größer.« Beim Blick aufs Original habe er zuerst gedacht, im Wiener Ausstellungssaal hätte man das Licht ausgeschaltet. »Ich würde mir wünschen, dass es nach Mexiko zurückkehrt und alle meine Landsleute das Original sehen könnten, um ein besseres Gefühl für unsere Geschichte zu erhalten«, sagt Mejía, wobei er nicht daran glaubt. Denn dass der Schmuck beim Transport zerfällt, will wohl niemand.
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