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Der Mathematische Monatskalender: Johann Heinrich Lambert (1728–1777)

Vom Schreibgehilfen über den Hauslehrer adliger Söhne bis zum Organisator wissenschaftlicher Akademien – Johann Heinrich Lambert legt eine phänomenale Karriere hin.
Johann Heinrich Lambert (1728–1777)

Schaut man sich an, unter welchen Bedingungen Johann Heinrich Lambert seine ersten Lebensjahre verbrachte, dann kann man nur darüber staunen, was aus ihm geworden ist. Seine Familie, die ursprünglich aus Lothringen stammte, hatte sich in der freien Reichsstadt Mülhausen niedergelassen, weil sie sich dort zu ihrem calvinistischen Glauben bekennen konnte. Johann Heinrich ist eines von sieben Kindern eines Schneiders (fünf Söhne, zwei Töchter). Immerhin hat er die Möglichkeit zum Schulbesuch, bis er 12 Jahre alt ist; dann muss er in der Werkstatt des Vaters arbeiten, damit die Familie finanziell überleben kann. Aber anstatt sich abends von der harten Arbeit auszuruhen, nutzt er jede Gelegenheit zum Lernen.

Als er 15 Jahre alt ist, bietet sich eine Gelegenheit, mehr zum Unterhalt der Familie beizutragen. Da er über eine schöne Schrift verfügt, kann er sich als Schreibkraft im Büro einer Eisenhütte verdingen; zwei Jahre später wird er vom Herausgeber der Basler Zeitung als Sekretär angestellt. Hier hat er nun die Möglichkeit, auf all die Quellen der Themen zuzugreifen, die ihn interessieren: Mathematik, Astronomie, Philosophie. Als er 20 Jahre alt ist, übersiedelt er nach Chur, um als Erzieher beim Grafen Peter von Salis tätig zu werden.

Von da an kümmert er sich um den 11-jährigen Enkel des Grafen, dessen gleichaltrigen Cousin und einen weiteren 7-jährigen Jungen der Familie. Lambert steht nun eine gut ausgestattete Bibliothek zur Verfügung, die er für seine Studien nutzt.

In seiner Freizeit baut er ein erstes astronomisches Messgerät. In Chur nimmt er Kontakt zu einem Gesprächskreis auf, in dem neueste wissenschaftliche Erkenntnisse diskutiert werden. Bald wird er auch in die Literaturgesellschaft von Chur aufgenommen und in die in Basel ansässige Schweizer Société scientifique gewählt. Ein erster Beitrag erscheint 1755 in den Acta Helvetica über die Theorie der Wärme.

Im darauffolgenden Jahr begibt sich Lambert mit den beiden inzwischen 18-jährigen Schützlingen auf eine akademische Grand Tour durch Europa – sein erstes Reiseziel ist Göttingen.

Als zu Beginn des Siebenjährigen Kriegs französische und österreichische Truppen die Universitätsstadt Göttingen besetzen, muss Lambert seine Studien vor Ort abbrechen. Die Kontakte zur Göttinger Akademie der Wissenschaften, in die er aufgenommen worden ist, pflegt er aber weiter. Um nicht in kriegerische Handlungen verwickelt zu werden, reist er mit den beiden Jugendlichen weiter nach Utrecht und von dort aus in andere niederländische Städte.

In Den Haag erscheint 1758 Lamberts erstes Buch, in dem er die Ergebnisse seiner Experimente zum Durchgang von Licht durch verschiedene Medien darstellt. Seine Grand Tour beendet Lambert mit Besuchen in Paris, wo er sich mit Jean Le Rond d'Alembert austauscht, und kehrt über Marseille, Nizza, Turin und Mailand nach Chur zurück.

Seine Hoffnung, an der Göttinger Universität eine Anstellung zu finden, zerschlägt sich. Nach astronomischen Beobachtungen, die er in Zürich durchführt, reist er nach Augsburg, wo er 1760 zwei Bücher zur Fotometrie veröffentlicht. Bereits 1729 hatte Pierre Bouguer, einer der Leiter der berühmten Längengrad-Expedition nach Südamerika, entdeckt, dass die Stärke eines Lichtstrahls in einem absorbierenden Medium exponentiell abnimmt; und obwohl Lambert in seinen Büchern die Verdienste Bouguers angemessen würdigt, ist heute vor allem die Bezeichnung Lambert'sches Absorptionsgesetz üblich. In einem weiteren Gesetz, dem Lambert'schen Kosinusgesetz, beschreibt Lambert die Abnahme der Strahlungsstärke mit flacher werdendem Abstrahlwinkel. In den USA ist heute noch Lambert als Maßeinheit für die Leuchtdichte üblich.

(In den roten Abbildungen links wird ein Laserstrahl von rechts auf einen Papierstreifen gerichtet; die Stärke des Streulichts ist maximal, wenn die Streuung senkrecht zum Papierstreifen erfolgt.

1760 empfiehlt Leonhard Euler ihn als Professor für Astronomie für eine seit langem vakante Stelle in St. Petersburg, doch die Stelle wird nicht besetzt, da die Akademie dort neu organisiert wird. 1762 erhält Lambert den Auftrag, in München eine Bayerische Akademie der Wissenschaften einzurichten (nach dem Vorbild der Preußischen Akademie in Berlin); nach Querelen mit anderen Projektmitgliedern gibt er diesen Posten auf. In der Zwischenzeit sind seine Cosmologischen Briefe erschienen, in denen er seine Vorstellungen über den Aufbau des Weltalls entwickelt. In Leipzig gibt er seine philosophische Abhandlung Neues Organon in Druck.

1764 endlich scheint ein Traum in Erfüllung zu gehen: Lambert folgt einer Einladung Eulers nach Berlin, da er sich hiervon eine wissenschaftliche Zusammenarbeit mit seinem großen Vorbild erhofft. Stattdessen entwickelt sich bald ein Streit zwischen den beiden über Fragen der Finanzierung der Akademie – möglicherweise mit ein Grund für Eulers Entscheidung, Berlin zu verlassen und wieder nach St. Petersburg zurückzukehren.

Auch der preußische Herrscher tut sich zunächst schwer, Lambert ein akademisches Amt zuzuweisen. Lamberts merkwürdige Kleidung und sein übertrieben devotes Verhalten irritieren seine Mitmenschen. Aber nachdem auch Friedrich II die wissenschaftlichen Fähigkeiten Lamberts erkannt hat, kann dieser als Mitglied der physikalischen Klasse (Abteilung) der Akademie arbeiten; seinen Lebensunterhalt bestreitet Lambert allerdings vor allem aus seinen Einkünften als Oberbaurat.

In den verbleibenden zwölf Lebensjahren publiziert er über 150 Schriften, die von der Akademie herausgegeben werden. Nach Lamberts Tod veröffentlicht Johann III Bernoulli den umfangreichen Briefwechsel mit anderen Gelehrten in vier Bänden.

Es gibt kaum einen wissenschaftlichen Bereich, in dem der vielseitig begabte und interessierte Gelehrte nicht tätig geworden ist. Seine Schriften zur Philosophie und zur Logik beeindrucken Immanuel Kant, der ihn als Mann von "entschiedener Scharfsinnigkeit und Allgemeinheit der Einsichten" bezeichnet. Kant hat die Absicht, seine Kritik der reinen Vernunft Lambert zu widmen, unterlässt dies jedoch, als Lambert vor der Veröffentlichung seines Werks stirbt.

Zur Durchführung seiner metereologischen und astronomischen Beobachtungen entwickelt Lambert eigene Messgeräte; so erfindet er 1755 das erste Hygrometer, um die Luftfeuchtigkeit zu messen (Leonardo da Vincis Erfindung aus dem Jahr 1480 war in Vergessenheit geraten). 1759 veröffentlicht er eine Methode, wie man eine perspektivische Darstellung eines Gegenstandes oder eines Gebäudes finden kann, ohne zunächst einen Grundriss des Objekts zu zeichnen – etliche Jahre vor den Veröffentlichungen Gaspard Monges zur Darstellenden Geometrie –, und er erfindet einen Perspektographen, mit dem eine solche Zeichnung möglich ist.

Angeregt durch das Farbdreieck des 1762 verstorbenen Göttinger Mathematikers und Astronomen Tobias Mayer stellt Lambert 1772 seine dreidimensionale Farbenpyramide vor, in der dargestellt ist, wie sich durch Mischen aus den drei Grundfarben rot (zinnober), gelb (königsgelb) und blau (bergblau) \(45 + 28 + 15 + 10 + 6 + 3 = 107\) verschiedene Farben ergeben – nach oben werden die Farben heller; für die oberste Schicht ergibt sich so die Farbe weiß. Unten sind in einer Leiste häufig benötigte Farben angezeigt. Ziel seiner Konstruktion ist es, durch diese Farbmusterkarte die Kommunikation zwischen Kaufleuten, Handwerkern (Färber, Maler, Drucker) und deren Kunden zu erleichtern; aber auch Naturforscher sollen von seiner Skala profitieren.

Lambert beschäftigt sich intensiv mit dem Problem der Herstellung von unverzerrten Karten. In diesem Zusammenhang untersucht er die Gültigkeit von geometrischen Sätzen auf gekrümmten Flächen, und er erkennt, dass die Winkelsumme in einem hyperbolischen Dreieck umso mehr unter 180° liegt, je größer der Flächeninhalt \(\Delta\) ist, und umgekehrt. Die Gleichung \(\pi − (\alpha + \beta + \gamma ) = C \cdot \Delta\) mit einem Proportionalitätsfaktor \(C\) wird als Lambert'sche Flächenformel bezeichnet. Für seine Berechnungen definiert er (unabhängig von Iacopo Riccati) die hyperbolischen Funktionen sinh, cosh und tanh.

Lambert begründet, warum es nicht möglich ist, Karten zu zeichnen, auf denen sowohl Längen-, Winkel als auch Flächengrößen erhalten bleiben – Verzerrungen gegenüber der Realität sind also unvermeidlich. 1762 veröffentlicht er sieben Projektionsmethoden, u. a. die winkeltreue Kegelprojektion, die flächentreue Azimutalprojektion und die flächentreue Zylinderprojektion, die auch heute noch angewandt werden, vergleiche Abbildungen.

Bemerkenswert ist die 1766 verfasste, aber erst 1786 posthum veröffentlichte Theorie der Parallellinien, in denen er sich mit dem Parallelenaxiom Euklids auseinandersetzt. Bereits vor Lambert hatten Mathematiker sich mit der Frage beschäftigt, ob das 5. Axiom Euklids nicht durch ein anderes ersetzt werden könne.

Lambert führt die Idee des italienischen Mathematikers Girolamo Saccheri aus dem Jahr 1733 weiter. Er untersucht, was gefolgert werden kann, wenn der im (heute sogenannten) Lambert'schen Viereck auftretende Winkel \(\alpha\) stumpf, rechtwinklig oder spitz ist. Wenn \(\alpha\) stumpf wäre, dann stände das im Widerspruch zu den übrigen vier euklidischen Axiomen, allerdings wäre dies auf der Kugel möglich. Wenn \(\alpha = 90^o\), dann ist dies äquivalent zum Parallelenaxiom. Bei seinem Versuch, den dritten Fall zu einem Widerspruch zu führen, kommt er weiter als alle seine Vorgänger, aber er scheut den entscheidenden Schritt, der zu einer nichteuklidischen Geometrie hätte führen können. Wie nah er daran ist, wird aus seiner Aussage deutlich, dass ein spitzer Winkel \(\alpha\) nur auf der Oberfläche einer Kugel mit imaginärem Radius möglich ist.

Obwohl sich Lambert selbst als nicht besonders kompetent in den Methoden der Analysis einschätzt, gelingt ihm als Erstem der Beweis der Irrationalität der Kreiszahl \(\pi\). Ausgehend von der Reihenentwicklung der Sinus- und der Kosinusfunktion, erhält er durch Anwendung des euklidischen Algorithmus für die Termdivision die Darstellung der Tangens-Reihe in Form eines unendlichen Kettenbruchs. Hiermit kann er zeigen, dass sich im Falle einer rationalen Zahl \(x \neq 0\) auf der rechten Seite der Gleichung eine irrationale Zahl ergibt. Und da \(\tan(\pi / 4) = 1\) eine rationale Zahl ist, folgt die Irrationalität von \(\pi/4\) und damit von \(\pi\).

Lamberts Beweis ist sehr aufwendig und kann selbst durch Carl Friedrich Gauß nur geringfügig vereinfacht werden. Erst Charles Hermite findet 1873 ein kürzeres Beweisverfahren.

Die Tangens-Reihe

\( \tan(x)=\frac{\sin(x)}{\cos(x)} =\frac{x-\frac{1}{6}x^3+\frac{1}{120}x^5-\frac{1}{5040}x^7+...}{1-\frac{1}{2}x^2+\frac{1}{24}x^4-\frac{1}{720}x^6+...} = \frac{x}{1-\frac{x^2}{3-\frac{x^2}{5-\frac{x^2}{...}}}} \)

Johann Heinrich Lambert (1728–1777)

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