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Der Mathematische Monatskalender: Wie Julia Robinson allen Hindernissen trotzte

Als Frau hatte es Julia Robinson nicht leicht, sich Anfang des 20. Jahrhunderts in der Mathematik durchzusetzen. Doch sie hat sich in dem Fach einen Namen gemacht.
Eine weibliche Hand schreibt mathematische Formeln auf
Frauen hatten es in der Wissenschaft nicht einfach. Julia Robinson konnte sich aber durchsetzen.

Julia Hall Bowman wurde als zweite Tochter von Ralph B. Bowman, Eigentümer einer Werkzeugmaschinen-Fabrik in St. Louis (Missouri), und seiner Frau Helen Hall geboren. Als Julia zwei Jahre alt war, starb die Mutter; der Vater gab seine beiden Töchter in die Obhut der Großmutter, die in einer abgelegenen Siedlung in der Wüste nahe Phoenix (Arizona) lebte. Bowman verlor das Interesse daran, seine Firma fortzuführen; und da er in den zurückliegenden Jahren ein genügend großes Vermögen erwirtschaftet hatte, überlegte er, ob er zukünftig finanziell ohne weitere berufliche Tätigkeit auskommen könnte. Nachdem er dann zum zweiten Mal geheiratet hatte, setzte er seine Überlegungen in die Tat um und zog mit seiner zweiten Frau zu den beiden Mädchen nach Arizona.

Julia war ein eigenwilliges Kind, sie sprach langsam und wenn, dann kaum verständlich. Als es an der Zeit war, lesen, schreiben und rechnen zu lernen, bestand die Stiefmutter, die bis dahin die ältere Schwester Constance unterrichtet hatte, darauf, dass die Familie an einen Ort zieht, an dem eine reguläre Schule vorhanden war. Die neue Wohnsiedlung war nicht sehr groß, sodass in der Grundschule Kinder verschiedener Alterstufen zusammen unterrichtet wurden; dies wirkte sich jedoch durchaus positiv auf die Entwicklung der beiden Mädchen aus.

Als Julia neun Jahre alt war, erkrankte sie an Scharlach. Kaum erholt, folgte die nächste schwerwiegende Erkrankung, diesmal rheumatisches Fieber. Ohne die heute übliche Penicillin-Behandlung dauerte es erneut mehr als ein Jahr, bis sie aus der verordneten Isolation wieder in ihre Familie zurückkehren konnte. Mithilfe einer pensionierten Grundschullehrerin holte Julia dann in einem Jahr den Unterrichtsstoff von vier versäumten Schuljahren nach.

Nach der Junior High School wechselte sie an die Senior High School in San Diego, wo sie als einziges Mädchen die Mathematik- und die Physikklassen besuchte – und das mit großem Erfolg. Obwohl sie bei einem IQ-Test in der Schule nur auf 98 Punkte kam, hoffte sie, auch ein College erfolgreich zu absolvieren. Und so entschied sich die damals 16-Jährige für den Besuch des lokalen State College mit dem Berufswunsch, einmal als Mathematiklehrerin tätig zu werden.

Mehrere Schicksalschläge 

Das fachliche Lehrangebot des Colleges war nicht sehr umfangreich und verschlechterte sich sogar noch während des ersten Studienjahrs, weil etliche Studierende ihren Studiengang änderten. Währenddessen wuchs Julias Motivation, zu erfahren, was Mathematik wirklich ist. Dazu trug ein Buch bei, das 1937 gerade neu erschienen war: Eric Temple Bells »Men of Mathematics«. Hierin erfuhr sie, mit welchen Fragen sich die berühmten Mathematiker beschäftigt hatten; besonders fasziniert war sie von den im Buch beschriebenen Problemen aus der Zahlentheorie.

Zum zweiten Studienjahr plante Julia Hall Bowman den Wechsel an die University of California in Berkeley, als sich ihre familiäre Situation dramatisch änderte: Infolge der Weltwirtschaftskrise war von dem ursprünglichen Vermögen der Familie nichts mehr vorhanden. Vor lauter Verzweiflung beging Julias Vater Selbstmord; die Stiefmutter musste ein neues Zuhause für die Familie suchen. Dank der finanziellen Unterstützung einer Tante konnte Julia dennoch nach Berkeley wechseln.

Hier blühte sie auf – umgeben von lauter Studenten, die sich tatsächlich für das Fach interessierten, und von kompetenten Professoren, darunter auch der junge Assistenzprofessor Raphael Robinson, bei dem sie als eine von vier Studierenden eine Vorlesung zur Zahlentheorie besuchte. Ihr Kontakt beschränkte sich nicht auf die Vorlesung: Bei langen Spaziergängen führte der acht Jahre ältere Robinson die Studentin in verschiedene Teilbereiche der Mathematik ein.

Nach Ablegen der Bachelor-Prüfung suchte Julia nach einer Beschäftigung – weibliche Lehrkräfte für Mathematik waren nicht mehr gefragt, nur eine Stelle als Schreibkraft wurde ihr angeboten. Als Jerzy Neyman, ein Statistik-Professor in Berkeley, hiervon hörte, bot er ihr eine Hilfsassistenten-Stelle an, durch die sie immerhin ihren Lebensunterhalt (35 US-Dollar im Monat) bestreiten konnte. 1941 erreichte sie den Masterabschluss, Ende des Jahres heiratete sieRaphael Robinson.

Bald schon freute sich das junge Paar auf eine bevorstehende Elternschaft. Doch ihre Träume fanden durch eine Fehlgeburt ein jähes Ende – schlimmer noch: Es stellte sich heraus, dass Julia Robinson aufgrund der gesundheitlichen Schäden, die sie in ihrer Kindheit erlitten hatte, keine Kinder haben konnte. Nach dieser Nachricht fiel sie in eine tiefe Depression, aus der sie erst 1946 – durch Beschäftigung mit Mathematik – wieder herausfand.

Ihr Mann hatte eine Gastprofessur in Princeton übernommen; dort unterstützte sie ihn bei der Erstellung einer Abhandlung über rekursive Funktionen. Das Thema interessierte sie schließlich so sehr, dass sie den Beitrag ihres Mannes erweiterte und veröffentlichte. Neu motiviert trat sie in Berkeley mit Alfred Tarski in Kontakt, den sie 1943 im Rahmen eines Seminars über Kurt Gödel kennengelernt hatte.

Ausflüge in die Logik

Der polnische Logiker war im August 1939 in die USA gereist, um an einer Tagung in Harvard teilzunehmen; nach Kriegsausbruch konnte er nicht mehr in seine Heimat zurück. Nur mit Mühe fand der hochqualifizierte Gelehrte schließlich eine angemessene Stelle in Berkeley. Tarski verstand es, seine Studenten für die Beschäftigung mit den logischen Grundlagen der Mathematik zu begeistern. Zu diesen gehörte dann auch Julia Robinson, die 1948 mit ihrer Arbeit »Definability and Decision Problems in Arithmetic« (Definierbarkeit und Entscheidungsprobleme in der Arithmetik) bei ihm promovierte.

In der mathematischen Logik wird eine Operation oder eine Beziehung als definierbar bezeichnet, wenn sie sich auch auf andere Weise beschreiben lässt. In ihrer Doktorarbeit zeigte Julia Robinson unter anderem, dass die Addition durch die Operationen »« (Multiplikation) und S (Nachfolger von) ersetzt werden kann. Für beliebige positive ganze Zahlen a, b, c gilt nämlich:

a+b=cS(ac)S(bc)=S[(cc)S(ab)]

Sie konnte sogar zeigen, dass sich die Addition und die Muliplikation ersetzen lassen durch die Operationen S »Nachfolger von« und / »teilt«. Die Gleichheit y zweier Zahlen x und y kann dabei definiert werden durch: x=y(x/y)(y/x).

Bezüglich der Entscheidbarkeit von Problemen gelang es ihr zu beweisen, dass es keine Rolle spielt, ob man als Grundmenge die natürlichen Zahlen oder die rationalen Zahlen betrachtet.

Mit ihrem Beitrag hat Julia Robinson einen wichtigen Schritt zur Lösung von Hilberts zehntem Problem geleistet: »Gibt es ein Verfahren, mit dem man in einer endlichen Anzahl von Schritten feststellen kann, ob eine gegebene diophantische Gleichung in ganzen Zahlen lösbar ist?« (Es geht dabei nicht um die konkrete Lösung, sondern allein um die Frage, ob man in endlich vielen Schritten klären kann, ob die Gleichung eine Lösung besitzt.)

Während der folgenden 20 Jahre arbeitete sie immer wieder an dieser Fragestellung, erzielte weitere Fortschritte, auch in Zusammenarbeit mit Martin Davis und Hilary Putnam, bis sie im Jahr 1970 mit großer Freude (und ohne Neid) erfuhr, dass der erst 22-jährige russische Mathematiker Yuri Matijasevich das Jahrhundert-Problem gelöst hatte: Ein solches Verfahren existiert nicht. In der Fachliteratur wird dieses Ergebnis als MRDP-Theorem bezeichnet – entsprechend der Bedeutung der Beiträge von Matiyasevich, Robinson, Davis und Putnam.

Als Anerkennung wurde Julia Robinson 1975 als erste Mathematikerin in die National Academy of Sciences gewählt. Die Universitätsleitung von Berkeley wurde von dieser Nachricht überrascht, kannte man sie doch nur als »die Frau des Professors Raphael Robinson«. Wegen einer Nepotismus-Regelung war es ihr bis dahin nicht erlaubt worden, an derselben Universität zu arbeiten. Trotzdem entschied man sich, ihr umgehend eine volle Professorenstelle anzubieten, um so an ihrem Ruhm beteiligt zu sein. Wegen ihrer angeschlagenen Gesundheit konnte sie diese jedoch nur in beschränktem Umfang wahrnehmen.

Weitere Ehrungen folgten, unter anderem wurde sie 1976 als erste Frau in den Vorstand der AMS (American Mathematical Society) gewählt und 1982 zu deren Präsidentin.

1984 wurde bei Julia Robinson Leukämie diagnostiziert. Schnell verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand. Als klar war, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte, bat sie ihre Schwester Constance Reid, die sich durch Biographien über David Hilbert, Richard Courant und Jerzy Neyman einen Namen gemacht hatte, auch ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben: »Julia: A Life in Mathematics«.

Am Ende des Artikels zitiert Constance Reid ihre Schwester Julia, die nie im Mittelpunkt stehen wollte: »All diese Aufmerksamkeit war erfreulich, aber auch unangenehm. In Wahrheit bin ich Mathematikerin. Anstatt als die erste Frau in diesem oder jenem Bereich in Erinnerung zu bleiben, möchte ich lieber, wie es sich für eine Mathematikerin gehört, einfach für die Theoreme, die ich bewiesen, und die Probleme, die ich gelöst habe, in Erinnerung bleiben.«

Julia Robinson

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