Direkt zum Inhalt

Kunst für die Konkubine: Ein Chinakohl aus Jade

Kein Exponat im Nationalen Palastmuseum in Taipeh ist so beliebt wie der Jadekohl. Aber die Geschichte der Skulptur ist rätselhaft. Eine Spur jedoch führt zum letzten Kaiser von China.
Eine kunstvolle Skulptur aus Jade, die einen chinesischen Kohl darstellt. Die Skulptur zeigt detaillierte Blätter in verschiedenen Grüntönen, die realistisch geschnitzt sind. Der Kohl ist auf einem kunstvoll gestalteten Holzständer platziert, der die Skulptur elegant präsentiert. Die Kombination aus den natürlichen Farben der Jade und der feinen Schnitzarbeit verleiht dem Kunstwerk eine lebendige und authentische Erscheinung.
Rund 19 Zentimeter lang ist die aus Jade gefertigte Skulptur. Das Stück ist mindestens 100 Jahre alt. Der einstige Zweck ist unbekannt.

Gerippte weiße und sattgrüne Blätter und wo sie umknicken, sitzen zwei Heuschrecken: Es ist ein Kohlkopf, auf dem sich zwei Insekten am Grün laben. Aber es ist nicht irgendein Kohl, sondern das wohl berühmteste Meisterwerk im Nationalen Palastmuseum von Taiwans Hauptstadt Taipeh. In dem Ausstellungshaus gibt es viele Kunstwerke, die deutlich älter sind, und einige, die Kunsthistoriker für bedeutender halten. Doch keines ist beim Publikum so beliebt wie die knapp 19 Zentimeter hohe Skulptur aus Jade in Form eines äußerst naturalistisch gearbeiteten Chinakohls.

Trotz ihrer Popularität stellt die kleine Skulptur Fachleute immer noch vor Rätsel. Vor rund 100 Jahren tauchte das Stück so unvermittelt auf, als wäre es vom Himmel gefallen. Dabei führt der Jadekohl mitten in die chinesisch-taiwanische Zeitgeschichte. Kaiser und Konkubinen spielen eine Rolle, Revolutionen und Invasionen, Bürgerkriege und Evakuierungen.

Für Götter und ewiges Leben

Warum der Jadekohl die Besucher in seinen Bann zieht, ist leicht zu verstehen. Der Bildhauer nutzte für die Skulptur ein Stück Jadeit – das ist eine von zwei Jadesorten, wie die Direktorin der Abteilung für Altertümer im Nationalen Palastmuseum Wu Hsiao-yun erklärt. Schon seit Jahrtausenden gilt das seltene Gestein in China als besonders edel, angesehener als Gold in Europa. »Jade wurde einst den Göttern geopfert«, sagt die Kunsthistorikerin. Und in der Hoffnung, ewiges Leben zu erreichen, soll Kaiser Wu (156–87 v. Chr.) jeden Tag eine Mischung aus Jadestaub und Morgentau getrunken haben.

Die Jade, aus der das Bildwerk geschaffen wurde, zeichnet sich durch besonders leuchtende Farben aus. Weiß ist das Gestein im unteren Teil, kräftig grün jenes im oberen – und überall ist es durchsetzt mit einer sanften, kaum sichtbaren Maserung. Der Künstler oder die Künstlerin nutzte die natürliche Vorlage und schuf daraus eine sowohl in den Farben als auch in den Proportionen fast schon hyperrealistische Skulptur des in Asien beliebten Chinakohls.

Die Arbeit an dem Werk dürfte einige Kunstfertigkeit verlangt haben, weil Jade nicht nur außergewöhnlich hart ist, sondern zugleich sehr spröde. Aus diesem Grund kann der Stein leicht brechen und lässt sich nicht mit Metallwerkzeugen schneiden. Stattdessen bringen ihn die Künstler mit Schnüren und einem sandhaltigen Schleifmittel in die gewünschte Form. Details arbeiten sie mit Knochen- und Bambusbohrern heraus, deren Köpfe auch aus Diamanten bestehen. Angesichts der teils als geknickt dargestellten, fein gestalteten Blätter und den beiden zierlichen Heuschrecken muss die Arbeit am Jadekohl monatelang Geduld und Konzentration erfordert haben.

Das Exponat der vielen Rätsel

Doch wer war der Künstler oder die Künstlerin, die dieses Meisterwerk schuf? Wu muss passen: »Der Künstler ist unbekannt«, sagt sie bedauernd. Eine Antwort, die sich wiederholt: Wo entstand die Skulptur? Warum in Form eines Gemüses? Und wann? Alles leider nicht gesichert.

Insekten | Auf dem Kohl sitzen zwei Heuschrecken oder Grillen. Ihre genaue Bedeutung kennen Fachleute nicht.

Die Kunsthistorikerin spürte wenige Indizien auf, um zumindest einige Geheimnisse des Jadegemüses zu lüften. Bekannt ist der Ursprungsort des Materials: Jadeit stammt aus dem heutigen Myanmar. Vor allem die Machthaber der Qing-Dynastie, die zwischen 1644 und 1912 über China herrschten, ließen das Gestein heranschaffen. Während ihrer Zeit waren Jadeskulpturen von Essbarem besonders populär. Im Nationalen Palastmuseum sind beispielsweise kleine Bittermelonen aus Jade ausgestellt.

Bekannt ist auch die vorherige Besitzerin der Skulptur: Es war eine Konkubine des vorletzten chinesischen Kaisers Guangxu (1871–1908). »Wir gehen deshalb davon aus, dass der Jadekohl für sie geschaffen wurde, vielleicht im 19. Jahrhundert«, sagt Wu. Falls die These stimmt, könnte das Weiß im Gemüsestamm für die Reinheit oder Keuschheit der Konkubine gestanden haben und das satte Grün sowie die beiden Heuschrecken für ihre Fruchtbarkeit.

So wenig über die Entstehung des Jadekohls bekannt ist, so ereignisreich ist dessen weitere Geschichte. Mit der chinesischen Revolution von 1911 und 1912, die in der Gründung der Republik mündete, wurde der letzte chinesische Kaiser abgesetzt. Er durfte jedoch weiterhin im Palast der Verbotenen Stadt in Peking leben. Damit war 1924 Schluss, als ihn die Republikaner vertrieben und beschlossen, die unermesslichen Kunstschätze des Kaiserhauses der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bei der anschließenden Inventarisierung sei auch der Jadekohl zum ersten Mal aufgefallen, sagt Kunsthistorikerin Wu. Und rasch nach der Museumseröffnung 1925 in Peking wurde das Stück zum Publikumsmagneten.

Wie der Kohl nach Taiwan gelangte

Doch wenige Jahre später marschierte das japanische Kaiserreich in der chinesischen Mandschurei ein. Peking schien der Regierung zu nah an der Front gelegen zu sein, um ausgerechnet dort das kulturelle Erbe des Landes zu verwahren. Museumsmitarbeiter verpackten deshalb Hunderttausende Kunstwerke in mehr als 19 500 Kisten – darunter auch den Jadekohl. Zunächst verfrachteten sie die Kisten nach Shanghai und dann, im Lauf des Zweiten Weltkriegs, in entlegene Städte im Landesinneren. Als unmittelbar nach Kriegsende in China der Bürgerkrieg zwischen Nationalisten und Kommunisten wieder aufflammte, beschloss die Regierung, einen Teil des Schatzes nach Taiwan in Sicherheit zu bringen.

Seit 1965 werden die Kunstwerke im Nationalen Palastmuseum gezeigt. Und wie einst in Peking zählt der Jadekohl seither zu den beliebtesten Ausstellungsstücken. »Vielleicht deshalb, weil er ein Alltagsgegenstand ist, können die Besucher direkt eine Beziehung zu ihm aufbauen«, erklärt Wu. Vielleicht aber auch, weil die Skulptur eines gewöhnlichen Gemüses aus wertvollem Gestein so mysteriös wirkt. Als Kunsthistorikerin würde Wu gerne noch mehr Rätsel des Jadekohls lösen. Versucht hat sie es. Zahlreiche Dokumente aus der Zeit der Qing-Dynastie hat sie durchgesehen. Letztlich ohne Ergebnis. »Gefunden habe ich nichts«, sagt sie. So behält der Jadekohl wohl einige Geheimnisse vorerst für sich.

In den Museen der Welt schlummern unzählige Ausstellungsstücke – und jedes davon hat eine Geschichte. Was diese »Glanzstücke« erzählen, steht alle zwei Monate in »Spektrum Geschichte« und auf »Spektrum.de«.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

  • Quellen
Kieser, A., Die chinesische Kunst, 2010

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.