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Der Mathematische Monatskalender: Leonardo von Pisa: Als Fibonacci bekannt

Seine Zahlenfolgen faszinieren Menschen seit Jahrhunderten – und finden sich in den unerwartetsten Zusammenhängen wieder.
Goldene Spirale im Nautilus

Im Jahr 1999 veröffentlichte Dominica, ein Mini-Staat in der Karibik (80 000 Einwohner), verschiedene Briefmarken zum Jahrtausendwechsel. Zum frühen 13. Jahrhundert findet man neben Franz von Assisi und Dschingis Khan auch das Portrait eines jungen Mannes mit Namen Leonardo Fibonacci und die Jahreszahl 1202. Der Name Fibonacci stammt aus dem Italienischen und setzt sich aus »figlio di Bonaccio« = Sohn des Bonaccio zusammen. Im Jahr 1202 schreibt Leonardo von Pisa, genannt Fibonacci, ein Buch mit dem Titel »liber abaci« (frei übersetzt: Rechenbuch) – ein Ereignis von besonderer Bedeutung für die Mathematikgeschichte Europas.

Leonardos Vater Giulielmo stammte aus der Familie der Bonacci; er arbeitete als Notar und Beauftragter der Kaufleute der Republik Pisa in der Hafenstadt Bugia in Algerien. Dort und auf den Reisen in andere Mittelmeerländer lernte Leonardo die Mathematik der Araber kennen, darunter das Rechnen im Dezimalsystem unter Verwendung der »neun Ziffern« der Inder und der Null (arabische Mathematiker hatten die von uns als »arabische Ziffern« bezeichneten Symbole im 8. Jahrhundert von indischen Mathematikern übernommen).

Er studierte auch die Schriften der Griechen (die Dank der Übersetzung durch arabische Wissenschaftler nicht verloren gegangen waren). Als Privatgelehrter kehrte er in seine Heimatstadt Pisa zurück und verfasste dort – handschriftlich – das »liber abaci». Zwar ging das Original verloren; es existiert jedoch noch ein Exemplar der Bearbeitung von 1228. Später schrieb er noch die »practica geometriae« (Sammlung geometrischer Probleme, 1220) und das »liber quadratorum« (Buch der Quadratzahlen, 1225) sowie kleinere Schriften, unter anderem »flos« (Blume). Dieses Buch enthält Aufgaben, die ihm, dem angesehenen Mathematiker, am Hofe des Staufenkaisers Friedrich II. gestellt wurden und deren Lösungen er dem Kaiser vorlegte. Von 1228 an erhielt Fibonacci ein Jahresgehalt von der Stadt Pisa – für seine Verdienste als Rechenmeister und Steuerschätzer.

Viele Aufgaben in Fibonaccis Büchern stammten aus orientalischen oder griechischen Quellen; er entwickelte jedoch oft die Lösungsmethoden weiter. Seine Bücher regten weitere Autoren an. Luca Pacioli (1445-1517) zum Beispiel übernahm 1494 zahlreiche Ideen und Probleme in seine »summa«; sogar noch in Leonard Eulers »Vollständiger Anleitung zur Algebra« von 1770 findet man einige Aufgaben wieder, die im »liber abaci« enthalten waren.

Die einführenden Kapitel des »liber abaci« beschäftigen sich mit dem Rechnen mit natürlichen Zahlen und Brüchen (er verwendet als Erster Bruchstriche). Dazu gehören auch die Verfahren zur Bestimmung eines Hauptnenners sowie Teilbarkeitsregeln (Teilbarkeit durch 2, 3, 5, 9 sowie die 7er-, 9er-, 11er-Probe). Dann folgen Aufgaben, die mithilfe des Dreisatzes gelöst werden können, und das Umrechnen von Währungen und Maßeinheiten sowie andere Aufgaben, die für Kaufleute sehr wichtig waren (beispielsweise Gewinnaufteilung unter Gesellschaftern).

Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit Mischungsaufgaben. Das Buch enthält eine Fülle von sehr unterschiedlichen Aufgaben, die man im weitesten Sinne zur Unterhaltungsmathematik zählen könnte; arithmetische Reihen werden ebenso angesprochen wie lineare Gleichungssysteme. Im 12. Kapitel dann folgt – eher beiläufig – die berühmteste Aufgabe des »liber abaci«, das »Kaninchenproblem«: Ein frisch geborenes Paar von Kaninchen wird im Alter von einem Monat fortpflanzungsfähig. Nach einer Tragzeit von einem weiteren Monat, wird der erste Nachwuchs geboren; es ist wieder ein Kaninchenpaar, das sich in gleicher Weise wie das 1. Paar vermehrt. Wie viele Kaninchenpaare leben dann im n-ten Monat?

Ewige Lebensdauer der Kaninchen und die immer währende, monatliche Reproduktion von Kaninchenpaaren (die sich nach einem Monat wieder vermehren) vorausgesetzt, finden wir: Nach 1 Monat existiert nur 1 Paar; es wird jetzt fortpflanzungsfähig, sodass am Ende des 2. Monats das erste Nachwuchspaar (Paar 2) zur Welt kommt, also 2 Paare existieren. Das 1. Paar erzeugt dann nach einem weiteren Monat wieder ein Kaninchenpaar (Paar 3) – zusammen gibt es am Ende des 3. Monats dann 3 Paare; jetzt ist auch Paar 2 fortpflanzungsfähig. Paar 2 bringt am Ende des 4. Monats ein Kaninchenpaar zur Welt (Paar 5), ebenfalls das 1. Paar; dann leben also 5 Paare und so weiter.

Die Bezeichnung Fibonacci-Folge für die Folge 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89, ... stammt vom französischen Mathematiker Edouard Lucas (1842-1891), Autor der »Récréations mathématiques« und Erfinder des Spiels »Türme von Hanoi«. Die Folgenglieder berechnen sich nach der Rekursionsformel \(f_{n-1} = f_n + f{n-1}\)

Eine der Besonderheiten der Fibonacci-Zahlen ist, dass die Quotienten je zweier aufeinander folgender Zahlen eine Folge bilden, deren Werte abwechselnd größer bzw. kleiner werden und einen Grenzwert einschachteln; dieser Grenzwert ist das Verhältnis des so genannten Goldenen Schnitts:

\(\phi = \frac{1}{2} \cdot (1+ \sqrt5) = 1,61803398...\)

Bei der Lösung quadratischer Gleichungen übernimmt Fibonacci die Methoden von Al Khwarizmi (780–850), wobei er aber auch null als Lösung zulässt. Er ist der Erste, der negative Zahlen als Lösung von Gleichungen akzeptiert (er interpretiert sie als Schulden). Beispiel: »Wenn von vier Personen der Erste eine Börse findet und behält, dann hat er doppelt soviel wie der Zweite und der Dritte zusammen; der Zweite hätte dann dreimal soviel wie der Dritte und Vierte zusammen, der Dritte viermal soviel wie der Vierte und Erste zusammen, der Vierte fünfmal soviel wie der Erste und Zweite zusammen.«

Im »liber quadratorum« prüft Fibonacci unter anderem Methoden, um pythagoreische Zahlentripel zu finden; ihm fällt auf: Geht man von einer ungeraden Quadratzahl aus und addiert dazu alle ungeraden Zahlen unterhalb dieser Quadratzahl, dann ist diese Summe selbst eine Quadratzahl, und die Summe der beiden Quadratzahlen ist wieder eine Quadratzahl. Beispiel: \(25 + (1+3+5+...+23) = 25 + 144 = 169\). Er beweist: Es gibt keine natürlichen Zahlen \(x, y\), sodass sowohl \(x^2 + y^2\) als auch \(x^2 – y^2\) Quadratzahlen sind; daher kann auch \(x^4 – y^4\) niemals eine Quadratzahl sein. Fibonacci stellt auch die Aufgabe, eine (rationale) Quadratzahl so zu bestimmen, dass, wenn man \(5\) addiert oder subtrahiert, wieder Quadratzahlen entstehen. Oder: Gesucht sind drei Zahlen \(x, y, z\) derart, dass \(x+y+z+x^2, x+y+z+x^2+y^2, x+y+z+x^2+y^2 + z^2\) Quadratzahlen sind.

In »flos« findet man u. a. die kubische Gleichung \(x^3 + 2x^2 + 10x = 20\) (»... ut inveniretur quidam cubus numerus, qui cum suis duobus quadratis et decem radicibus in unum collectis essent viginti«); diese hatte der arabische Dichter, Philosoph und Mathematiker Omar Khayyam (1048–1131) mit geometrischen Methoden durch den Schnitt eines Kreises mit einer Hyperbel gelöst. Fibonacci beweist, dass sich die Lösung nicht als Bruch und auch nicht als Quadratwurzel aus einem Bruch darstellen lässt, und bestimmt einen Näherungswert auf neun Stellen genau.

Die »practica geometriae« enthalten eine Reihe von Vermessungs- und Berechnungsaufgaben zu Längen, Flächeninhalten und Volumina, aber auch z. B. die Frage, wie ein Dreieck durch eine Gerade, die durch einen inneren Punkt des Dreiecks verläuft, in zwei gleich große Teile zerlegt werden kann (bereits von Euklid gelöst).

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