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Der Mathematische Monatskalender: Luca Pacioli (1445–1517): Mathematischer Rundumschlag

Auf 600 Seiten fasste Luca Pacioli vor einem halben Jahrtausend die gesamten Mathematik-Kenntnisse seiner Zeit zusammen. Die »Summa«, das erste Mathematikbuch auf Italienisch, war geboren und läutete die Blütezeit der Rechenkunst in Italien ein.
Luca Pacioli

Luca Pacioli wächst in San Sepolcro auf, einem Ort 100 Kilometer südöstlich von Florenz. Vermutlich verbringt er viel Zeit in der Werkstatt von Pierro della Francesca, denn später zeigt sich, dass er dessen Werk sehr gut kennt. Anschließend tritt er in die Dienste eines reichen venezianischen Kaufmanns, kümmert sich um dessen Handelsgeschäfte, vor allem aber um die Erziehung der drei Söhne des Kaufmanns. Gleichzeitig erweitert er seine Kenntnisse in Mathematik; im Alter von 25 Jahren verfasst er sein erstes Arithmetik-Buch. Als der Kaufmann stirbt, geht er nach Rom, um für Leone Battista Alberti, Berater des Papstes, Philosoph, Mathematiker, Architekt und einflussreicher Baumeister, zu arbeiten. Unter dem Einfluss Albertis studiert Pacioli Theologie und tritt in den Orden der Franziskaner ein.

1477 beginnt eine unruhige Phase im Leben Paciolis: Er lehrt an verschiedenen Universitäten, in Perugia, Zara (dem heutigen Zadar in Kroatien, damals zu Venedig gehörig), Neapel und Rom; der häufige Wechsel wird durch die Kriege zwischen den Stadtstaaten verursacht. Für seine Studenten verfasst er zwei weitere Bücher über Arithmetik. Im Jahr 1489 kehrt er in seine Heimatstadt San Sepolcro zurück, ausgestattet mit päpstlichen Privilegien; eifersüchtig verhindern jedoch die Vertreter anderer Orden, dass er seine Lehrtätigkeit fortsetzen kann.

In den nächsten Jahren arbeitet Pacioli an seiner »Summa«, die dann endlich 1494 in Venedig erscheint. Das Werk enthält kaum neue Ideen – die besondere Leistung Paciolis ist es jedoch, dass es ihm gelingt, das gesamte mathematische Wissen der damaligen Zeit in einem 600 (eng bedruckten) Seiten umfassenden Werk zusammenzutragen und darzustellen. Das Buch erscheint in italienischer (also nicht in lateinischer) Sprache, was zu einer starken Verbreitung führt, und: Es ist ein gedrucktes Buch, das nachgedruckt werden kann, was dann auch geschieht. Später lebende Mathematiker beziehen sich oft auf die »Summa«. Insofern beeinflusst Luca Pacioli die weitere Entwicklung der Mathematik in erheblichem Maße; man kann sogar sagen, dass das Erscheinen des Buches die kurze Zeit später beginnende Blütezeit der Mathematik in Italien begründet.

Ende des 15. Jahrhunderts haben sich die arabisch-indischen Ziffern auch in Europa durchgesetzt. Für Summen und Differenzen gibt es aber noch lange nicht die heute üblichen Schreibweisen. Pacioli schlägt vor, \(p\) kurz für »plus« (italienisch: più = mehr) und \(m\) für »minus« (italienisch: meno) zu schreiben, außerdem verwendet er das Symbol \(R\) für die Quadratwurzel (»radix«). Beziehungen zwischen Größen auszudrücken, gestaltet sich noch aufwendig. Beispielsweise muss die Gleichung \(x^4 + x = x^2 + a\) als »Censo de censo e cosa equale a censo e numero« beschrieben werden (dabei steht cosa für die unbekannte Zahl, »censo« für das Quadrat dieser Zahl, »censo de censo« für die vierte Potenz). Anders als bei al-Khwarizmi (780 – 850) erfolgt die Lösung der quadratischen Gleichungen in rechnerischer, nicht in zeichnerischer Form. Pacioli beschäftigt sich außerdem mit Gleichungen dritten und vierten Grades, die er allgemein für unlösbar (»impossibile«) hält, was nur wenige Jahre später durch Scipione del Ferro (1515, jedoch nicht veröffentlicht), Niccolo Tartaglia (1535) und Girolamo Cardano (1545) widerlegt wird.

Die Summa umfasst acht Kapitel: Das erste enthält eine Zusammenfassung der Bücher Euklids über geometrische Grundkonstruktionen, Berechnungen von Flächeninhalten sowie Ähnlichkeitslehre, das zweite beschäftigt sich mit den besonderen Linien im Dreieck, das dritte mit rechtwinkligen Dreiecken und der damit verbundenen Lösung quadratischer Gleichungen (Satzgruppe des Pythagoras).

Im vierten Kapitel geht es um die Kreislehre; Sehnentafeln enthalten Angaben über die Länge von Sehnen und die zugehörigen Kreisbögen; für\(\pi\) gibt Pacioli den Näherungswert \(3 \frac{33}{229}\) an. Im fünften Kapitel wird die Teilung von geometrischen Figuren behandelt (Verhältnislehre); das sechste Kapitel gibt an, wie Oberflächen und Volumina von Körpern berechnet werden. Im siebten Kapitel werden Geräte und Methoden zur Vermessung vorgestellt. Das achte Kapitel enthält eine Reihe von Anwendungsaufgaben unterschiedlicher Art: Berechnung des Volumens eines Fasses (näherungsweise beschrieben durch zwei Kegelstümpfe), Berechnungen an regulären Körpern, Einbeschreiben von mehreren möglichst großen, aber gleich großen Kreisen im Dreieck und im Kreis. Schließlich gibt Pacioli noch eine Übersicht über die in den verschiedenen italienischen Stadtstaaten geltenden Münzeinheiten, Gewichts- und Längenmaße.

Eine andere, ebenfalls 1994 erschienene Briefmarke weist auf einen weiteren Inhalt des achten Kapitels hin: Pacioli gibt eine Einführung in die sogenannte »venezianische Methode der Buchhaltung«, das Prinzip der doppelten Buchführung. Auch wenn Pacioli das Verfahren sicherlich nicht erfunden hat, ist er der Erste, der eine geschlossene Darstellung der Methode gibt – er wird deshalb manchmal als »Vater der Buchhaltung« bezeichnet. Schließlich ist in der »Summa« eine Aufgabe enthalten, später von Montmort als »Problème des partis« und heute auch als Luca’ sches Problem bezeichnet: Wie ist der Einsatz zweier Spieler gerecht aufzuteilen, wenn ein Spiel nach einigen Spielrunden vorzeitig abgebrochen werden muss und nicht fortgesetzt werden kann? Pacioli gibt den Quotienten Anzahl der bis zum Abbruch gewonnenen Spielrunden zu Anzahl der insgesamt durchgeführten Spielrunden an – ein Ansatz, der nicht der Lösung entspricht, die schließlich Pascal und Fermat in ihrem berühmten Briefwechsel im Jahr 1654 entwickelten.

Als im Jahr 1496 Ludovico Sforza neuer Herrscher in Mailand wird, lädt er Pacioli ein, als Mathematiker an seinem Hof zu arbeiten. Dort begegnet er Leonardo da Vinci, der als Künstler und Ingenieur im Dienst des Herzogs steht, und beide freunden sich an. Pacioli arbeitet jetzt an einem neuen Werk, »Divina proportione« (Der Goldene Schnitt), für das Leonardo da Vinci dann die Zeichnungen anfertigt. Das Buch wird ebenfalls in Venedig in Druck gegeben, erscheint dort aber erst 1509.

Ausgehend von den entsprechenden Abschnitten in den Elementen des Euklid beschäftigt er sich im ersten Kapitel des Buches mit den regulären und semiregulären Polyedern. Das zweite Kapitel erläutert er die Bedeutung des Goldenen Schnitts vor allem in der Architektur; das dritte enthält eine Übersetzung von Texten Pierro della Francescas in die italienische Sprache.

In dem Buch sind außerdem Entwürfe Paciolis für Buchstaben enthalten, die einige Jahre später von Francesco Torniello, dem Pionier der mathematischen Typografie (besondere Gestaltung des ersten Buchstabens eines Textes) aufgegriffen werden.

Nach der Eroberung Mailands durch französische Truppen flieht Pacioli nach Venedig, später nach Florenz, wo er mehrere Jahre lang Geometrie an der Universität lehrt. Nach seiner Wahl zum Superior für die Romagna im Jahr 1506 tritt er in das Kloster Santa Croce in Florenz ein. 1509 zieht er weiter nach Venedig, im Jahr darauf nach Perugia und schließlich 1514 nach Rom, wo er als 70-Jähriger noch Mathematik-Vorlesungen hält. Dort oder im Kloster von San Sepolcro stirbt er; eine Sammlung mathematischer Rätsel und Tricks »De viribus quantitatis« bleibt unvollendet.

Luca Pacioli (1445 – 1517)

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