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Serie: Halluzinogene: Meskalin – Mystik aus Kaktusspitzen

In den 1960er Jahren experimentierten viele mit dem halluzinogenen Peyote-Kaktus. Heute ist er nur noch in Mexiko beliebt.
Blüte eines Peyote-Kaktus

Geschichte

Mitte des 20. Jahrhunderts glaubte der britische Schriftsteller Aldous Huxley, ein Mittel gefunden zu haben, welches das Bewusstsein von der gewöhnlichen Wahrnehmung befreie. Es solle »während einiger zeitloser Stunden die äußere und innere Welt so zeig(en), wie sie unmittelbar und unbedingt vom totalen Geist erfasst wird«. Bei dem Mittel handelte es sich um den psychoaktiven Wirkstoff Meskalin, der sich in den knopfförmigen Spitzen des Kaktus Peyote versteckt.

Meskalin ist womöglich das weltweit am längsten bekannte pflanzliche Halluzinogen: Bereits seit fast 6000 Jahren konsumieren die Ureinwohner Nordamerikas die psychedelische Droge. Darauf deuten Spuren getrockneter Peyoteknöpfe hin, die am Rio Grande in Texas gefunden wurden. Wissenschaftler datieren sie auf den Zeitraum 3780 bis 3660 v. Chr.

Die spanischen Missionare beobachteten im 16. Jahrhundert, wie die indigenen Völker Mexikos während nächtlicher Rituale Peyote aßen und tranken. Bei diesen Ritualen, die von fünf Uhr abends bis sieben Uhr morgens andauerten, tanzten und sangen Gruppen von Ureinwohnern, bis sie sich kaum noch auf den Füßen halten konnten, berichtete ein entsetzter spanischer Missionar.

»Für die christlichen Missionare war die Droge eine Sünde«

Weil die europäischen Einwanderer Peyote nur in getrockneter Form gesehen hatten, hielten viele ihn lange Zeit für einen Pilz. Dieser »böse Pilz« berausche so wie Wein, errege die Leidenschaften und verursache Visionen beispielsweise von Schlangen, erzählten sie. Statt eines Pilzes entdeckten die Einwanderer schließlich den stachellosen, haarigen Kaktus Lophophora williamsii: Peyote.

Dem norwegischen Ethnografen Carl Sofus Lumholtz zufolge benutzten die Ureinwohner Nordamerikas Peyote, um körperliche Leiden wie Schlangenbisse, Skorpionstiche, Zahnschmerzen, Verbrennungen, Pfeilwunden oder Rheuma zu lindern. Über die recht furchteinflößenden Visionen tauschten sie sich nach der Einnahme aus.

Für die christlichen Missionare war die Droge eine Sünde – weniger wegen der bewusstseinsverändernden Wirkung, sondern weil sie die abergläubischen primitiven Religionen verkörperte. Deswegen ordneten die Missionare an, frisch bekehrten Ureinwohnern nicht nur die Frage »Hast du Menschenfleisch gegessen?«, sondern auch »Hast du Peyote gegessen?« zu stellen.

Verbreitung

Peyote ist nur in Teilen Mexikos und im Süden Texas heimisch. Bis zur Ankunft des weißen Mannes konsumierten wahrscheinlich vor allem Stämme aus dieser Region den Kaktus. Als die Ureinwohner jedoch in Reservate verdrängt wurden, vermischten sich die Kulturen verschiedener Stämme. So verbreitete sich Peyote in ganz Nordamerika.

Viele Ureinwohner nahmen schließlich das Christentum an, behielten allerdings einige ihrer Bräuche. Es entstand eine eigene Religionsgemeinschaft: die Native American Church. Die Mitglieder dieser Kirche glauben an einen Gott, den »Großen Geist«, zu welchem sie mit Hilfe von Peyote versuchen Kontakt aufzunehmen. Weil sie Peyote als heiliges Sakrament ihrer Religion sehen, sind der Kaktus und somit auch der Wirkstoff Meskalin unter den Glaubensmitgliedern legal.

»Seit 1967 ist Meskalin in Deutschland illegal«

In den 1960er Jahren fürchtete die westliche Welt Meskalin nicht mehr. Während der psychedelischen Ära experimentierten viele mit den psychedelischen Kaktusknöpfen. Manche fühlten sich durch Aldous Huxleys Buch »Die Pforten der Wahrnehmung« inspiriert, die bewusstseinserweiternden Welten des Meskalins zu erkunden. Jim Morrison nannte etwa seine Band »The Doors« nach Huxleys Werk.

Seit 1967 ist Meskalin in Deutschland illegal. Die psychoaktive Substanz fällt unter das Betäubungsmittelgesetz. Jeder Umgang mit Meskalin ist demnach strafbar. 1971 wurde Meskalin in das Abkommen über psychotrope Substanzen aufgenommen, was es weltweit zu einer illegalen Droge macht. Der Besitz meskalinhaltiger Kakteen ist in Deutschland und vielen anderen Ländern jedoch erlaubt; strafbar wird er erst, sobald die Pflanzenteile für den Drogenkonsum aufbereitet werden.

Heutzutage wird Meskalin kaum noch konsumiert. In der Global Drug Survey 2018, welche Menschen aus aller Welt jährlich zu ihrem Drogenkonsum befragt, kommt das Rauschmittel nicht einmal mehr vor. Glaubt man der Umfrage, bedeutet das, dass weniger als 0,2 Prozent der 130 000 Befragten aus aller Welt im letzten Jahr Meskalin eingenommen haben. Andere Psychedelika waren beliebter: Rund elf Prozent gaben an, im letzten Jahr LSD konsumiert zu haben und gut neun Prozent »magic mushrooms«.

Es gab allerdings regionale Unterschiede. In Mexiko scheint Meskalin nach wie vor populär: In der Global Drug Survey 2014 teilten 6,4 Prozent der 643 Befragten aus Mexiko mit, im Jahr zuvor Peyote konsumiert zu haben.

Vorkommen und Herstellung

Neben Peyote (Lophophora williamsii) ist Meskalin auch in anderen Kakteenarten zu finden, etwa in dem San-Pedro-Kaktus (Echinopsis pachanoi) oder dem Peruanischen Stangenkaktus (Echinopsis peruviana). Diese sind vor allem in den trockenen Gegenden Südamerikas heimisch. Der Meskalinanteil unterscheidet sich jedoch stark von Pflanze zu Pflanze. Während der San-Pedro-Kaktus getrocknet bis zu 4,7 Prozent Meskalin enthalten kann, findet man im Peruanischen Stangenkaktus nur um die 0,3 Prozent.

Konsumenten essen die Kakteen roh oder getrocknet (natürlich ohne Stacheln). In getrockneter Form ist die Meskalinkonzentration höher. Einige Kakteen schmecken äußerst bitter, weshalb es üblich ist, das getrocknete Kakteenpulver in eine Kapsel zu pressen und in Pillenform herunterzuschlucken. Manche brühen das Meskalin auch mit heißem Wasser, Zitrone oder Zutaten eigener Wahl auf und trinken es als Tee oder Saft.

Meskalin kann auch im Labor hergestellt werden und sieht dann aus wie ein weißes Pulver. Als Erstem gelang die Vollsynthese dem österreichischen Chemiker Ernst Späth im Jahr 1919.

Wirkung

Der chemische Name von Meskalin ist 3,4,5-Trimethoxyphenethylamin. Es gehört genau wie die Neurotransmitter Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin zur Familie der Phenylethylamine. Wegen dieser strukturellen Verwandtschaft aktiviert Meskalin das sympathische Nervensystem, dessen Hauptakteure die drei Neurotransmitter sind. Dies äußert sich in Herzrasen, Bluthochdruck, geweiteten Pupillen, Schweißausbrüchen und einer Erwärmung des Körpers.

»Die visuellen Halluzinationen beginnen oft mit in verschiedenen Farben glitzerndem Licht und gehen dann in geometrische Formen und organische kaleidoskopische Muster sowie verzerrte Bilder der Umgebung über«

Obwohl Meskalin dem Neurotransmitter Serotonin strukturell nicht sehr ähnelt, dockt es an einem bestimmten Serotoninrezeptor an. Ähnlich wie bei LSD, Psilocybin und DMT wird die Aktivität dieses Serotoninrezeptors für die halluzinogenen Effekte von Meskalin verantwortlich gemacht.

Die visuellen Halluzinationen beginnen oft mit in verschiedenen Farben glitzerndem Licht und gehen dann in geometrische Formen und organische kaleidoskopische Muster sowie verzerrte Bilder der Umgebung über. Während eines Meskalintrips sehen viele sowohl interne Halluzinationen – Bilder, die man bei geschlossenen Augen sieht – als auch externe Halluzinationen – Einbildungen bei geöffneten Augen. Konsumenten haben etwa davon berichtet zu sehen, wie sich Möbel verformen, eigenartige Wesen das eigene Wohnzimmer besiedeln oder die Wohnung zum Dschungel wird.

Unter Einwirkung von Meskalin berichten außerdem viele davon, intensive Emotionen zu spüren und euphorisch zu werden. Andererseits ist es aber auch üblich, Panik- oder Angstphasen durchzumachen und sich selbst und die Umgebung anders wahrzunehmen. Aldous Huxley beschrieb, wie er die Welt ohne ihre räumlichen Beziehungen wahrnahm und die Objekte in ihr erfasste, ohne ihren Nutzen zu beurteilen: »Ort und Entfernung sind nicht mehr von Interesse. Der Geist nimmt Objekte bezüglich ihrer Existenz, ihrer Tiefgründigkeit, ihrer Bedeutung und ihrer Beziehung innerhalb eines Musters wahr.«

Im Vergleich zu seinen psychedelischen Brüdern ist Meskalin jedoch das schwächste Halluzinogen. So ist es 2500- bis 4000-mal schwächer als LSD und wird daher üblicherweise in höheren Dosen konsumiert.

Risiken

Viele Menschen leiden während des Meskalintrips an Magenschmerzen, übergeben sich oder bekommen Durchfall. Bisher ist nur eine Person mutmaßlich an Meskalin gestorben: Ein 32-jähriger amerikanischer Ureinwohner, der Peyote-Tee getrunken hatte, erlag im Krankenhaus den Folgen des Mallory-Weiss-Syndroms. In dieser durch heftiges Erbrechen ausgelösten Erkrankung reißt die Speiseröhre an, wodurch die äußere Speiseröhre oder der Mageneingang zu bluten beginnen. Unklar ist, ob Meskalin die Erkrankung verursacht hat, es könnte auch der heftige Alkoholkonsum des Verstorbenen gewesen sein.

»Meskalin macht weder körperlich noch psychisch abhängig«

Die größte Gefahr geht von den Halluzinationen aus. Das Überqueren von Straßen oder das Zubereiten von Essen kann unter ihnen riskant werden. Durch die befremdlichen Visionen und die Intensität der eigenen Gefühle und Gedanken kann der Konsument paranoid, panisch oder verängstigt werden (»Bad Trip«). Dies passiert vor allem, wenn man psychisch labil ist oder sich nicht sicher und wohl fühlt (»Set und Setting«). Rund sieben Prozent derjenigen, die schon einmal Meskalin eingenommen haben, berichten von mindestens einer negativen Erfahrung.

Meskalin macht weder körperlich noch psychisch abhängig. Auch die kognitiven Fähigkeiten und die psychische Gesundheit scheint die Droge nicht zu beeinträchtigen, wie eine Forschungsgruppe um den Psychiater John Halpern von der Harvard Medical School zeigte. Er untersuchte dafür, wie gut amerikanische Ureinwohner, die regelmäßig Peyote konsumieren, bei schwierigen kognitiven Tests abschnitten. Diese erzielten ähnlich hohe Werte wie andere Ureinwohner, die bisher noch gar keine oder sehr wenig Erfahrung mit der Droge gemacht hatten. Die Forscher kamen auch zu dem Schluss, dass Peyote auf das psychische Wohlbefinden keinen Einfluss zu haben scheint.

Therapeutisches Potenzial

Derzeit interessieren sich wieder viele Forscher für den therapeutischen Einsatz psychedelischer Drogen. Es gibt bisher allerdings noch keine Studien, die einen therapeutischen Effekt von Meskalin nachweisen. Dabei besteht doch Grund zur Annahme, dass Meskalin bei psychischen Problemen helfen könnte: Denn LSD, Psilocybin und Meskalin aktivieren genau den Serotoninrezeptor im Gehirn, der eine wichtige Rolle bei klinischen Depressionen, Suchterkrankungen und Angststörungen spielt.

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