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Psychisches und körperliches Schikanieren: Mobbing und wie es uns krank macht

Mobbing ist keine Krankheit, kann aber krank machen. Es verursacht Depressionen, Angst- und Schlafstörungen. Besonders häufig sind Berufstätige am Arbeitsplatz betroffen sowie etwa jedes zehnte Schulkind. Was können wir dagegen tun?
Studien deuten darauf hin, dass Sitzenbleiber ihre Mitschüler häufiger schikanieren. Sie werden aber auch selbst öfter zu Mobbing-Opfern.

Wen trifft Mobbing – und hat es in Zeiten des Internets zugenommen? Das ist schwer zu sagen, da es keine einheitliche Definition gibt. Forscher beobachten zumindest eine Zunahme der öffentlichen Wahrnehmung. Das hilft den Opfern indes wenig. Und der Blick auf die Täter kam bisher zu kurz.

1. Was versteht man unter Mobbing?

Mobbing ist keine Krankheit. »Aber Mobbing kann krank machen«, sagt Eva Rothermund vom Universitätsklinikum Ulm. In der Regel gehe es bei den feindseligen Interaktionen des Mobbings nicht nur um Täter und Opfer. »Es braucht ein soziales Umfeld, das schweigt, wegschaut und auf diese Weise (oder sogar aktiv) billigt, was geschieht«, erklärt die Fachärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. »Beim Mobbing versucht die Gruppe einen Konflikt oder ein Problem zu lösen, indem sie einer Person die Schuld daran zuschreibt und diese Person dann ausgrenzt.«

Rothermund hat therapeutisch-beratend häufig dort zu tun, wo vor gut 25 Jahren zum ersten Mal über Mobbing gesprochen wurde: in der Arbeitswelt. Immer wieder hatten Haus- oder Betriebsärzte Männer und Frauen vor sich, die aus körperlichen oder seelischen Gründen nicht mehr arbeiten konnten. Diese Versehrtheit war nicht etwa einem Unfall oder Verschleiß geschuldet. Bei genauerem Nachfragen stellte sich vielmehr heraus: Die Betroffenen waren oft über viele Jahre Opfer von Schikane und Ausgrenzung durch Kollegen und Vorgesetzte gewesen.

Der Arbeitspsychologe Heinz Leymann (1932-1999) lieferte 1993 in seinem Pionierwerk »Mobbing – Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann« eine in groben Zügen bis heute gültige Definition von Mobbing. Unter Mobbing versteht man danach negative kommunikative Handlungen (von einer oder mehreren Personen), die sich gegen eine Person (oder mehrere Personen) richten und die sehr oft über einen längeren Zeitraum vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer bestimmen.

Leymann teilte diese »negativen kommunikativen Handlungen« (die für das Opfer schwer wiegende Folgen haben können) in fünf Bereiche ein: Angriffe auf soziale Beziehungen (das Opfer wird wie Luft behandelt), Angriffe auf die Möglichkeit, sich mitzuteilen (das Opfer wird ständig unterbrochen, angeschrien), Angriffe auf das soziale Ansehen (Gerüchte verbreiten, lustig machen über Privatleben), Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation (sinnlose, ständig neue oder zu schwere Arbeitsaufgaben), Angriffe auf die Gesundheit (Androhung oder Anwendung von Gewalt).

»Der Täter will dem Opfer nicht um des Schadens willen schaden; er braucht das Opfer, er instrumentalisiert eine Person, um die eigene Position in der Gruppe zu stärken, um an Status zu gewinnen«
Mechthild Schäfer

Die aggressive, dauerhafte Attacke auf und Ausgrenzung von Menschen gab und gibt es in jeder Kultur, bei Männern und Frauen und nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch in anderen sozialen Zusammenhängen wie Schule oder Universität. Der schwedisch-norwegische Psychologe Dan Olweus nennt drei wesentliche Kriterien von Mobbing (in der Schule): Einem anderen werden absichtlich Schmerzen, Verletzungen oder Unannehmlichkeiten zugefügt; das Ganze findet über einen längeren Zeitraum statt; und es herrscht ein Machtgefälle zwischen Täter und Opfer, das Opfer ist dem Täter unterlegen.

Nicht viel gelernt habe man aus der Mobbingforschung, wenn der Blick sich stets auf das Opfer konzentriere mit der Frage: Was ist an der Person, was hat sie getan, wodurch ist sie Opfer geworden, sagt Mechthild Schäfer von der LMU München. »Der Täter will dem Opfer nicht um des Schadens willen schaden; er braucht das Opfer, er instrumentalisiert eine Person, um die eigene Position in der Gruppe zu stärken, um an Status zu gewinnen«, sagt die Entwicklungspsychologin.

»Es liegt nicht an den roten Haaren meines Kindes, sondern daran, dass es zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort ist«, so Schäfer. Es könne tatsächlich jeden treffen, Opfer von Mobbing zu werden, stimmt Eva Rothermund ihrer Kollegin Mechthild Schäfer zu. »Und gleichzeitig haben Menschen, die von den Gruppennormen abweichen, ein höheres Risiko, gemobbt zu werden. Nicht jeder Außenseiter wird gemobbt, aber die Gemobbten sind oft Außenseiter.« Allerdings nur, weil sie für die Ziele des Täters ein »leichter Fang« seien und weniger Unterstützung aus der Gruppe für das »ausgewählte« Opfer zu erwarten sei, ergänzt Schäfer. »Eine strategische Wahl zur geschickten Instrumentalisierung«, nennt es die Münchner Psychologin.

2. Hat Mobbing in Zeiten des Internets zugenommen?

Die öffentliche Wahrnehmung von Mobbing hat zugenommen, das merkt jeder, der die Nachrichten verfolgt. Doch wie sieht es mit dem Mobbing selbst aus? »Es gibt kaum aussagekräftige Zahlen oder Statistiken zum Thema, weil man sich in der Fachwelt nicht ganz einig ist, wie man das Konzept ›Mobbing‹ fassen kann«, sagt Eva Rothermund. Laut Studien am Arbeitsplatz berichten 2 bis 30 Prozent der arbeitenden Bevölkerung, mit Mobbing zu tun gehabt zu haben. Wenn aber in der wissenschaftlichen Literatur (oder anderswo) von Mobbing die Rede ist, meinen nicht alle immer unbedingt das Gleiche. Womöglich liegt darin eine Ursache der variierenden Häufigkeit.

Auch Markus Hess von der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport spricht von einer unsicheren Datenlage. In deutschen Schulen sagen 8 bis 22 Prozent der Schüler von sich, schon einmal Mobbing-Opfer gewesen zu sein, 1 bis 10 Prozent der Befragten geben sich als Mobbing-Täter aus. Laut Hess könne aus den Befragungen abgeleitet werden, dass Mobbing tendenziell eher ab- als zunehme. »Ein solcher Rückgang in Umfragen ist im besten Fall dadurch zu erklären, dass man mehr über Möglichkeiten der Prävention weiß und diese auch umsetzt«, sagt der Entwicklungspsychologe. Wolfgang Kindler geht in seinem Buch »Schluss mit Mobbing« davon aus, dass etwa jedes zehnte Kind während der Schulzeit Opfer von Mobbing werde, meist würden pro Klasse ein bis zwei Kinder gemobbt.

»Mobbing kann nun immer, rund um die Uhr stattfinden – egal, ob das Opfer online ist oder nicht. Allein das Wissen um das, was passiert und wie vernichtend es sein kann, demoralisiert mit hoher Geschwindigkeit, kostet mitunter Lebensmut«
Mechthild Schäfer

Was sicher zunimmt, sind die Ebenen, auf denen Mobbing stattfinden kann. Und womöglich gibt es heute – auch wegen des Cybermobbings – zwar weniger, dafür jedoch heftigere Fälle. Wenn Patricia nach der Schule auf der Facebook-Seite ihrer Klasse lesen muss: »Du blödes Dreckstück, wie lange willst du noch leben? Wir hassen dich alle!« Oder »Mist, Patricia lebt immer noch, kann ihr jemand helfen, Selbstmord zu begehen?«, ist davon auszugehen, dass Patricia (die Kindler in seinem Buch beispielhaft nennt) nicht nur virtuell, sondern auch im realen Schulalltag schikaniert wird. »Cybermobbing und klassisches Mobbing treten häufig gemeinsam, miteinander verwoben auf«, sagt Markus Hess.

Für das Opfer gibt es durch die Omnipräsenz von Chatroom und sozialen Netzwerken kaum noch Verschnaufpausen. »Mobbing kann nun immer, rund um die Uhr stattfinden – egal, ob das Opfer online ist oder nicht. Allein das Wissen um das, was passiert und wie vernichtend es sein kann, demoralisiert mit hoher Geschwindigkeit, kostet mitunter Lebensmut«, schreibt Mechthild Schäfer auf der Seite »schülerforscher.de«, einer Informations- und Mitmach-Seite, die die Mobbingforscher aus München ins Leben gerufen haben.

3. Welche unmittelbaren Folgen hat Mobbing?

Kurz nachdem die Schulferien zu Ende sind, berichtet der Achtjährige zu Hause, dass er kaum mehr lesen könne, was die Lehrer auf die Tafel schrieben. Die Eltern gehen mit ihrem Sprössling, der wegen einer leichten Kurzsichtigkeit ohnehin eine Brille trägt, zum Augenarzt. Eine Reihe von Untersuchungen ergibt, dass mit den Augen organisch so weit alles in Ordnung ist; die zu Rate gezogenen Ärzte von der Augenklinik äußern den Verdacht, der plötzliche Sehverlust habe psychische Ursachen. Ob der Junge denn Stress erlebt habe in der letzten Zeit?

Nach intensivem Befragen offenbart sich der Grundschüler seinen Eltern. Seit Wochen wird er in der Schule gemobbt, die verbalen und körperlichen Attacken der Mitschüler sind in letzter Zeit immer stärker geworden. Die Eltern reagieren vorbildlich. Sie unterstützen und beruhigen ihren Sohn, das Thema wird in der Schule angesprochen und bearbeitet, bereits nach zwei Wochen verbessert sich die Sehkraft des Jungen und ist bei erneuter Vorstellung in der Augenklinik vollkommen normal.

»Die Folgen des Mobbings, das zeigen auch Studien, können sehr gut abgefedert werden, wenn Personen im Umfeld des Gemobbten einfühlsam und unterstützend auf das Kind, auf den Jugendlichen eingehen; das können die Eltern, aber auch ein Freund, eine Freundin sein«, sagt Markus Hess. Eltern sollten sich aufrichtig für ihre Kinder interessieren. Dazu gehört, hellhörig zu werden, wenn sich psychosomatische Symptome zeigen; wenn Bauch, Kopf oder Rücken immer wieder schmerzen, das Kind schlecht schlafen kann, Probleme mit der Haut bekommt, über Schwindel klagt oder einnässt.

»Mobbing, also Ausgrenzung aus einer Gruppe, ist ein starker Stressfaktor für uns Menschen«
Eva Rothermund

Die Situation erfordere Fingerspitzengefühl auf Seiten der Eltern, sagt Hess. »Das Kind ernst nehmen, aber auch nicht überbehüten; einschreiten – man darf das Kind nicht alleinlassen mit dem Problem –, aber auch nicht überreagieren, was sich ebenfalls negativ auswirken kann«, so der Entwicklungspsychologe.

Die unmittelbaren Folgen für erwachsene Mobbing-Opfer unterscheiden sich kaum von denjenigen, unter denen Kinder leiden. »Mobbing, also Ausgrenzung aus einer Gruppe, ist ein starker Stressfaktor für uns Menschen«, sagt Rothermund. Wenn der seelische Stress des Ausgegrenztseins auf dem Körper lastet, schmerzen mitunter Bauch und Kopf, der Blutdruck steigt, die Muskeln verspannen sich.

Die Ulmer Psychotherapeutin kennt die direkten Folgen des Mobbings aus ihrer Psychosomatischen Sprechstunde, die sie und ihre Kollegen im Rahmen von Kooperationen in Betrieben anbieten. »Für den Einzelnen kann eine solche Sprechstunde die Chance bieten, eine Abwärtsspirale aus unangenehmen Erfahrungen, erhöhter Wachsamkeit und feindseligem Verhalten zu stoppen«, erklärt die Therapeutin. Wo rechtzeitig eingegriffen wird, können Folgen für Körper und Seele auch auf lange Sicht verringert werden.

4. Welche Langzeitfolgen hat Mobbing?

»Mobbing hört selten einfach nur auf. Die Opfer tragen, gerade nach längerem Mobbing, die Ängste und Verletzungen mit sich fort. (…) Der Schaden, der ihrem Selbstwertgefühl zugefügt worden ist, bleibt«, schreibt Wolfgang Kindler in seinem Buch »Schluss mit Mobbing«. Wo sich kurzfristig Schulunlust, Kopfschmerzen oder ein Leistungsabfall einstellten, könnten auf lange Sicht ein geringes Selbstwertgefühl und depressive Verstimmungen folgen, sagt Markus Hess.

Bei den Tätern prägt sich das Mobben ebenfalls tief ein. »Häufig fallen Mobbing-Täter auch mit anderem aggressivem Verhalten auf. Einige Untersuchungen weisen darauf hin, dass das Mobbing bestimmte Beziehungsmuster auf Seiten des Täters anregt, zum Beispiel Schwierigkeiten, eine langfristige Beziehungen einzugehen, oder dass es das Risiko erhöht, eine Suchterkrankung zu bekommen«, erklärt Hess.

Eine Metaanalyse verschiedener Studien zu kurz- beziehungsweise langfristigen Folgen mit insgesamt mehr als 115 000 Männern und Frauen zeigt ein gehäuftes Auftreten von Mobbing mit Depressionen, Angststörungen oder anderen psychischen Beschwerden. Die psychische Gesundheit leidet, das zeigt auch eine Untersuchung aus Deutschland mit 2625 Personen, die ihren Arzt wegen Mobbings aufgesucht hatten. Im Vergleich zu Kontrollpersonen, die nicht unter Mobbing litten, kam es in der Gruppe der Betroffenen deutlich häufiger zum Auftreten von Depressionen, Angst- und Schlafstörungen. Die Folgen von Mobbing seien enorm und förderten das Auftreten sozialer Phobien, Depressionen, Suizidalität, Posttraumatischer Belastungsstörungen und Suchterkrankungen, schreiben die Studienautoren.

»Sowohl Täter als auch Opfer von Mobbing laufen Gefahr, an negativen gesundheitlichen und psychosozialen Folgen zu leiden«
Markus Hess

Britische Ärzte von der Abteilung für Population Psychiatry an der Swansea University fassen in einer Analyse zu den Folgen von Cybermobbing bei Kindern und jungen Menschen 25 Studien zusammen. Bei fünf davon (eingeschlossen waren 5646 Personen) zeigte sich kein negativer Einfluss des Erlebens von Mobbing, bei 20  Studien (mit insgesamt 115 056 Kindern und Jugendlichen) dagegen ein sehr deutlicher; bei Opfern von Cybermobbbing war das Risiko für selbstverletzendes oder suizidales Verhalten im Vergleich zu Personen ohne Mobbing-Erfahrung mehr als doppelt so hoch. Auch bei den Tätern steigerte sich das Risiko für suizidales Verhalten um 20  Prozent.

»Sowohl Täter als auch Opfer von Bullying (oft gleichgesetzt mit Mobbing) laufen Gefahr, an negativen gesundheitlichen und psychosozialen Folgen zu leiden. Daher ist die zeitnahe therapeutische Arbeit mit Tätern und Opfern auch über die Beendigung des eigentlichen Bullying-Prozesses hinaus ein zentrales Anliegen, das bisher in der Bullying-Forschung vernachlässigt wurde«, mahnt Markus Hess zusammen mit Kollegen aus Berlin, Potsdam und Ulm in einem Review über Therapien für Täter und Opfer von Schul-Bullying an.

5. Was kann man gegen Mobbing tun?

Was Hess manchmal ärgert, ist, dass eine hochemotionale Berichterstattung zwar eine allgemeine Erregung erzeuge, aber häufig verpuffe und zu selten in fundierte (Gegen-)Aktionen münde. »Dabei gibt es allerhand wissenschaftliche Untersuchungen und Präventionsprogramme, die Anregungen und konkrete Hilfestellung zur echten Vorbeugung von Mobbing anbieten.«

In Betrieben oder Abteilungen mit gesprächsbereiten, kritikfähigen Führungskräften, Mitspracherecht für Mitarbeiter und einer starken Identifikation der Angestellten mit ihrer Arbeit kommt es erwiesenermaßen weitaus seltener zum Mobbing als dort, wo das nicht der Fall ist und womöglich noch ein hoher Arbeits- und Konkurrenzdruck herrscht. »In einer wertschätzenden, fehlerfreundlichen Betriebskultur kann sich Mobbing-Verhalten nur schwer ausbreiten«, weiß Rothermund. Ein gutes Betriebsklima erhöhe die Wahrscheinlichkeit, Differenzen und Probleme miteinander anzusprechen, anstatt sich zu bekämpfen.

Studien zeigen ebenso, wie wichtig es im Fall von Mobbing an Schulen ist, auf verschiedenen Ebenen anzusetzen. Auf der »Schulebene« gelte es zunächst einmal anzuerkennen, ja, Mobbing gibt es an jeder, also auch an unserer Schule, sagt Hess. Wichtig sei, dass sich die Schulleitung für das Thema interessiere und in der Schule beispielsweise eine von allen getragene Agenda gegen das Mobbing entwickelt würde.

»In einer wertschätzenden, fehlerfreundlichen Betriebskultur kann sich Mobbing-Verhalten nur schwer ausbreiten«
Eva Rothermund

»Lehrer sollten außerdem befähigt werden, Mobbing zu erkennen, wirksam einzugreifen, aber auch einzuschätzen, wann Hilfe von außen zu organisieren ist«, sagt Hess. Ganz wichtig sei zudem, dass die Lehrer sich untereinander vernetzten und ihre Beobachtungen, die sie in den Klassen machen, austauschten. »Auf der Ebene der Klassen muss außerdem mit den Schülerinnen und Schülern am Thema gearbeitet werden.«

Bei der Beschäftigung mit dem Thema Mobbing habe man sich lange Zeit allein auf Täter und Opfer konzentriert. »Dabei spielt die Gruppe, das Gruppengefüge, in dem das Mobbing stattfindet, eine entscheidende Rolle«, sagt Hess. In einer Gruppe, die Schikane uncool findet, ablehnt und diese Haltung klar vertritt, wird sich ein Mobbing-Täter nicht durchsetzen können, keine Anerkennung bekommen.

Auch Mechthild Schäfer und ihr Münchner Team konzentrieren sich bei ihren Programmen auf die gesamte Gruppe und vor allem auf die Schülerinnen und Schüler, die einfach nur danebenstehen. »Der beste Erfolg kommt aus der Klasse selbst«, sagt Schäfer. Eine Klasse teilt sich ihren Angaben zufolge in einer Mobbing-Situation in drei Gruppen: Rund ein Drittel der Schüler unterstützen den Mobbing-Täter, ein Drittel sind Verteidiger, die sich auf die Seite des Opfers stellen, und die übrigen rund 30 Prozent lehnen Mobbing zwar ab, stehen aber einfach dabei und tun nichts.

In der Gruppe, die Mobbing ablehnt (zwei Drittel, die Mehrheit in der Klasse), gibt es zwei Personengruppen: die, die mitfühlen, und die, die mitleiden. »Die, die mitfühlen, die Verteidiger, sind im Prinzip bereit, auch etwas zu tun. Die, die mitleiden, frieren dagegen ein«, erklärt Schäfer. Sie reagierten extrem gestresst, bei ihnen sei ein starker Anstieg der Stresshormone Adrenalin und Kortisol messbar. Häufig wenden sich diese Menschen vom Geschehen ab, weil sie (aus anderen Vorfällen) oft schon früh in ihrem Leben gelernt hätten: »Wenn ich selbst oder ein anderer bedroht wird, bringt es mir persönlich Entlastung, wenn ich mich wegdrehe.«

Diesen »Eingefrorenen« Zivilcourage anzutrainieren, sei schwierig. Die betroffenen Jungen und Mädchen bräuchten vielmehr die Erfahrung, so Schäfer: Wenn ich etwas tue, bringt das mir und den anderen etwas. Schäfer versucht mit ihren Programmen die Verteidiger-Gruppe in der Klasse zu mobilisieren, die »eingefrorenen Wegdreher« mit ins Boot zu holen. »Du, XY, hol mal bitte Frau Z!«, »Du, ich kläre das hier, tröste du doch schon mal XY!«. Diese kleinen Schritte, Erfahrungen der Selbstwirksamkeit, und seien sie auch noch so winzig, helfen, davon ist Mechthild Schäfer überzeugt. Sie können ein System verändern und Mobbing beenden.

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