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Der Mathematische Monatskalender: Narayana Pandita

Zum Zeitvertreib widmen sich viele Menschen magischen Quadraten. Pandita entwickelte im 14. Jahrhundert bereits ein Schema, um sie zu erstellen.
Narayana Pandita

1688 veröffentlichte der französische Botschafter im Königreich Siam, Simon de la Loubère, nach seiner Rückkehr aus Ostasien ein Buch über seine Erlebnisse und Erfahrungen. In einem der Kapitel stellte er die – wie er sie nannte – siamesische Methode zur Erstellung magischer Quadrate ungerader Ordnung vor. Tatsächlich wurde diese Methode über 300 Jahre zuvor bereits von Narayana Pandita (was auf Sanskrit »der Gelehrte« bedeutet) beschrieben.

Über das Leben des Mathematikers ist fast nichts bekannt – außer, dass er zwei Bücher veröffentlichte: »Bijaganita-Vatamsa«, ein Buch über Algebra, und 1356 sein Hauptwerk »Ganita-kaumudi« (wörtlich: Mondschein der Mathematik), das 14 Kapitel umfasst.

Das letzte der Kapitel mit dem Titel »Bhadraganita« beschäftigt sich mit magischen Quadraten und Figuren. Der Zweck des Studiums magischer Figuren besteht laut Narayana darin, ein »Yantra« zu konstruieren (ein geometrisches Diagramm, das zur Meditation dienen soll), um »das Ego der schlechten Mathematiker zu zerstören und das Vergnügen der guten Mathematiker zu fördern«.

Die siamesische Methode lässt sich wie folgt beschreiben: Man trägt zunächst die Zahl 1 in das mittlere Feld der oberen Reihe ein, dann von dort aus schräg nach rechts oben fortlaufend die nächsten natürlichen Zahlen. Wenn der obere Rand erreicht ist, schreibt man die nächste Zahl in ein Feld der untersten Zeile in der nächsten Spalte. Gelangt man an den rechten Rand, trägt man die nächste Zahl in ein Feld der äußerst links liegenden Spalte in der nächsten Zeile ein. Kommt man auf ein Feld, das bereits belegt ist, oder in die rechte obere Ecke des Quadrats, dann setzt man das Verfahren im darunterliegenden Feld fort. Die Abbildung zeigt die Methode für ein 3×3-Quadrat (mit zusätzlichen Hilfsfeldern).

Narayanas Ausführungen umfassen verschiedene Verfahren zur Konstruktion von magischen Quadraten beliebiger Ordnung, darunter auch alle Möglichkeiten für magische Quadrate der Ordnung vier. Abschließend präsentiert er noch besondere geometrische Formen mit magischen Eigenschaften, darunter den »diamantenen Lotus«, bei dem je vier Zahlen einer Reihe die Summe 98 ergeben, acht Zahlen einer Reihe die Summe 196 und jedes Teilquadrat mit zwölf Feldern die Summe 294, sowie den »einbeschriebenen Lotus«, bei dem jede Blume ebenfalls die magische Summe 294 hat.

In seinem Werk »Ganita-kaumudi« beschreibt Narayana sich selbst als »bescheidenen Seefahrer im Ozean der Mathematik«. Das Buch gibt einen eindrucksvollen Überblick über den Wissensstand der Mathematiker des indischen Subkontinents am Ende des Mittelalters. Etliches davon hatte zuvor Bhaskaracharya (Bhaskara II., 1114–1185) veröffentlicht, zu dessen Hauptwerk »Līlāvatī« (Die Schöne) Narayana einen umfangreichen Kommentar verfasst hatte. »Ganita-kaumudi« enthält aber auch eine Fülle neuer Materialien.

Im ersten Kapitel gibt Narayana einen Überblick über die gebräuchlichen Gewichts-, Längen-, Flächen- und Raummaße, über die Rechenarten (einschließlich des Verfahrens zum Ziehen einer Kubikwurzel) sowie über Typen von Gleichungen. Um das Ergebnis einer Multiplikation zu überprüfen, empfiehlt er, die Reste der Faktoren (bezüglich der Division durch eine beliebige Zahl) mit dem entsprechenden Rest des Ergebnisses zu vergleichen – so, wie wir es mit der Neunerprobe kennen.

Im Umgang mit Wurzeln zeigen sich erstaunliche Fertigkeiten, zum Beispiel

Im zweiten Kapitel werden Aufgaben behandelt, die auf lineare Gleichungen führen, wie beispielsweise Mischungs- und Zinsaufgaben sowie Bewegungsaufgaben.

Beispiel: Zwei Reisende gehen von zwei Orten A1 beziehungsweise A2, die eine Entfernung d voneinander haben, zum selben Zeitpunkt mit den Geschwindigkeiten v1 und v2 aufeinander zu. Zu welchem Zeitpunkt und an welcher Stelle treffen sie sich? Vom Ziel aus kehren sie sofort wieder an ihre Ausgangsorte zurück. Wann und wo begegnen sie einander ein zweites Mal?

Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit Folgen und Reihen. Außer den typischen Aufgaben für arithmetische und geometrische Folgen enthält es auch Summenformeln für natürliche Zahlen, für deren Quadrate und dritte Potenzen, außerdem wird die Summenfolge der Dreieckszahlen untersucht:

\[ \sum\sum r = \sum \frac{r\cdot (r+1)}{2} = \frac{n\cdot(n+1)\cdot(n+2)}{1\cdot 2 \cdot 3} \]

und das Ergebnis verallgemeinert:

\[ \sum \cdots \sum\sum r = \frac{n\cdot(n+1)\cdot(n+2)\cdot \dots \cdot (n+k)}{1\cdot 2 \cdot 3 \dots \cdot (k+1)} \]

Kapitel 4 ist das umfangreichste Kapitel des Buches; es umfasst 149 Regeln und 94 Beispiele zu geometrischen Problemen, darunter auch eine Reihe von Näherungsformeln für Kreisfiguren. Bemerkenswert ist eine von Narayana neu entwickelte Formel zur Bestimmung des Flächeninhalts eines Sehnenvierecks mit Hilfe einer so genannten dritten Diagonale.

Aus dem Sehnenviereck ABCD ergibt sich durch Vertauschen der Seiten b und c das Sehnenviereck ABED mit den Diagonalen f und g. Die Flächeninhalte der beiden Vierecke stimmen überein, da gemäß der Formel von Brahmagupta der Flächeninhalt nur von der Länge der vier Seiten des Sehnenvierecks abhängt: \(A=\sqrt{(s-a)\cdot(s-b)\cdot(s-c)\cdot(s-d)}\) mit \(s= \frac{1}{2} \cdot (a+b+c+d)\). Der Flächeninhalt des Vierecks ABED kann berechnet werden als Summe der Flächeninhalte des Dreiecks ABE mit den Seiten a, c, g und des Dreiecks AED mit den Seiten b, d, g:

\[A_{ABED} = A_{ABE} + A_{AED} = \frac{a\cdot c \cdot g}{4R} + \frac{g \cdot b \cdot d}{4R} = \frac{g}{4R} (ac + bd)\]

Andererseits gilt nach dem Satz von Ptolemäus, dass das Produkt der Längen der Diagonalen eines Sehnenvierecks gleich der Summe der Produkte der einander gegenüberliegenden Seiten des Sehnenvierecks ist, also ac +  bd = ef. Daher folgt:

\[A_{ABCD}= A_{ABED}= \frac{g}{4R} (ac+bd) = \frac{efg}{4R}\]

Eine der Aufgaben beschäftigt sich mit besonderen Dreiecken, deren Seitenlängen natürliche Zahlen sind und die sich nur um eine Einheit unterscheiden; auch die Länge der Höhe auf der Grundseite soll eine natürliche Zahl sein. Narayana erkennt, dass der linke Abschnitt der Grundseite die Länge 0,5x – 2 haben muss, der rechte Abschnitt entsprechend 0,5x + 2, denn gemäß dem Satz von Pythagoras gilt für die beiden Teildreiecke:

\[(x-1)^2 – (\frac{1}{2}x-2)^2 = y^2 = (x+1)^2 – (\frac{1}{2}x+2)^2\]

Das heißt es gilt:\( y^2 = \frac{3}{4}x^2 -3.\) Diese Gleichung hat unendlich viele Lösungen: (4;3), (14;12), (52;45), (194;168), (724;627), …

In den nächsten Kapiteln werden Anwendungsaufgaben behandelt (Ausheben von Gruben, Aufschütten von Getreide, Berechnungen von Höhen und Entfernungen mit Hilfe von Schattenlängen und vieles mehr).

In Kapitel 9 wird ausführlich die von Aryabatha (476–550) entwickelte Kuttaka-Methode zur Lösung diophantischer Gleichungen beschrieben und an Beispielen erläutert.

In Kapitel 10 geht Narayana auch auf die Lösung von später so genannten Pellschen Gleichungen ein (gemäß der Methode von Bhaskaracharya); dabei spricht er ausdrücklich die Tatsache an, dass man die Lösungspaare (a;b) von Gleichungen des Typs Nx2 + 1 = y2 dazu benutzen kann, Näherungswerte für die Wurzel aus einer natürlichen Zahl zu bestimmen: √N ≈ b/a.

Beispiel: Für die Gleichung \(10 x^2 +1 = y^2\) findet man die Lösungspaare (6;19), (228;721), (8658;27379) und so weiter. Daher gilt: \(\sqrt{10}\approx \frac{19}{6}, \ \sqrt{10}\approx \frac{721}{228}, \ \sqrt{10}\approx \frac{27379}{8658},...\)

In Kapitel 11 beschäftigt sich Narayana mit der Zerlegbarkeit einer natürlichen Zahl n (die keine Quadratzahl ist) in Faktoren. Dabei entwickelt er eine Methode, die auf der gleichen Idee beruht, die Pierre de Fermat im Jahr 1643 – also 300 Jahre später – in einem Brief an Marin Mersenne beschreibt. Ziel der Untersuchung ist es, die betrachtete Zahl n als Differenz von zwei Quadratzahlen x2 und y2 darzustellen: Aus n = x2 – y2 folgt n = (y – x)· (y + x); die natürlichen Zahlen y – x und y + x können dann ihrerseits nach dem gleichen Verfahren auf Zerlegbarkeit untersucht werden.

Um zu prüfen, ob eine natürliche Zahl n als Produkt zweier natürlicher Zahlen dargestellt werden kann, macht man den Ansatz n = a2 + r, wobei also a2 die nächstkleinere Quadratzahl ist. Ist (2a + 1) – r eine Quadratzahl b2, dann gilt \(n+b^2 = (a^2+r)+(2a+1-r)= (a+1)^2\) und somit \(n=(a+1)^2 -b^2 = (a+b+1)(a-b-1).\) Ist 2a + 1 – r keine Quadratzahl, dann geht man zur nächstgrößeren Quadratzahl über. Das macht man, indem man 2a + 3 addiert und so weiter.

In Kapitel 12 greift Narayana ein Thema auf, mit dem sich bereits Mahavira (zirka 800–870) auseinandergesetzt hatte: Welche Möglichkeiten gibt es, die Zahl 1 als Summe von Stammbrüchen darzustellen? Mahavira hatte außerdem den – später so genannten – Fibonacci-Algorithmus auch Darstellungen mit Hilfe von speziellen Teilfolgen entdeckt:

\[ \frac{1}{2} + \left( \frac{1}{3^1} + \frac{1}{3^2}+ \cdots + \frac{1}{3^n}\right) + \frac{1}{2\cdot 3^n} = 1,\] \[ \left( \frac{1}{1\cdot 2} + \frac{1}{2\cdot 3} + \cdots + \frac{1}{(2n-1)\cdot 2n}\right) + \frac{1}{2n} = 1 \]

Narayana erkannte unter anderem, dass allgemein die folgende Beziehung gilt:

\[ \frac{(k_2-k_1)\cdot k_1}{k_2 \cdot k_1} + \frac{(k_3-k_2)\cdot k_1}{k_3 \cdot k_2} + \cdots + \frac{(k_n-k_{n-1})\cdot k_1}{k_n \cdot k_{n-1}} + \frac{k_1}{k_n} = 1.\]

Das vorletzte, ebenfalls sehr umfangreiche Kapitel enthält 97 Regeln und 45 Beispiele zu vielfältigen kombinatorischen Fragestellungen, unter anderem zur Anzahl der möglichen Permutationen; in diesem Zusammenhang entwickelte Narayana einen Algorithmus, mit dem man systematisch alle Permutationen von Objekten generieren kann.

Dieses Kapitel enthält unter anderem das so genannte Kuh-Problem, das eine ähnliche Struktur hat wie Fibonaccis Kaninchen-Problem:

Eine Kuh bringt jedes Jahr ein Kalb zur Welt. Beginnend mit dem vierten Jahr bringt dann auch jedes Kalb zu Beginn eines jeden Jahres ein Kalb zur Welt. Wie viele Kühe und Kälber gibt es insgesamt nach 20 Jahren?

Das Problem lässt sich durch Anwenden der Rekursionsgleichung a(n) = a(n-1) + a(n-3) mit den Anfangswerten a(0) = a(-1) = a(-2) = 1 lösen. Es gilt: a(20) = 2745. Narayana berechnete die Anzahl mit Hilfe von Binomialkoeffizienten.

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